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Brigitte Grothum debütierte mit 19 Jahren am Tempelhofer Zimmertheater und stand ein Jahr später im Schlosspark Theater in Jean Anouilhs „Der Herr Ornifle“ zum ersten Mal auf einer großen Bühne

© DERDEHMEL-Urbschat

Schauspielerin Brigitte Grothum wird 80 Jahre alt: „Ich würde es immer wieder machen“

Sie spielte mit Kinski und Fuchsberger und steht seit Jahrzehnten auf Berliner Bühnen: Heute feiert Brigitte Grothum ihren 80. Geburtstag – natürlich auf der Bühne. Nach 60 Jahren im Geschäft hat die Schauspielerin noch immer keine Lust aufzuhören.

Sie sitzt auf dem Boden, ganz in Weiß gekleidet, um sie herum liegen Rosen und Briefe verstreut, Liebesbriefe. Sie zappelt mit den Füßen, schaut zu ihm auf, ihrem „Geliebten Lügner“, die Augen leicht zusammengekniffen, lächelt, fast schüchtern. Wie ein verliebter Teenager sieht sie in diesem Moment aus. Unglaublich, dass diese Frau am heutigen Donnerstag ihren 80. Geburtstag feiert. Und natürlich tut sie das nicht zu Hause oder mit einer großen Feier in irgendeiner schicken Berliner Location. Brigitte Grothum feiert selbstverständlich auf der Bühne.

Im Schlosspark Theater in Steglitz spielt sie derzeit das Stück „Geliebter Lügner“ von Jerome Kilty. Warum? Diese Frage stellt sie sich gar nicht. Theaterspielen sei die schönste Droge, erzählt sie, „weil sie körperlich nicht abhängig macht“. Sie hat zu Kaffee und Käsekuchen geladen in ihr Haus in Nikolassee im Berliner Südwesten. Ruhige Wohngegend, stilvoll, aber nicht pompös. Brigitte Grothum wohnt hier seit 40 Jahren. Der Tisch in einer gemütlichen Sitzecke im Wintergarten, der direkt an ein großes Wohnzimmer mit Bar und Kamin anschließt, ist gedeckt. Brigitte Grothum trinkt einen Schluck von dem Kaffee, der nichts für schwache Gemüter ist, lehnt sich entspannt zurück.

„Theaterspielen hat auf mich eine heilende Wirkung“, sagt sie. Ob mit gebrochenem Bein oder Bronchitis – das Adrenalin trage sie durch die Vorstellungen; keine Spur von Schmerz, Wehklage oder Alter. Nein. „Theaterspielen ist wie ein Lebenselixier und vertreibt das Alter.“ Seit mehr als 60 Jahren steht sie auf der Bühne, Film, Fernsehen, Theater, Regie, sie hat alles gemacht. Bekannt wurde Brigitte Grothum vor allem 1961 mit ihrer Hauptrolle in der Edgar-Wallace-Verfilmung „Die seltsame Gräfin“ an der Seite von Klaus Kinski und Joachim Fuchsberger. Und natürlich aus der Fernsehserie „Drei Damen vom Grill“ mit Günter Pfitzmann und Harald Juhnke.

Alles erreicht, könnte man meinen. Und trotzdem hat auch Brigitte Grothum noch Träume. Einen davon hat ihr Dieter Hallervorden als Intendant des Schlosspark Theaters gerade erfüllt. In „Geliebter Lügner“ spielt sie Beatrice Stella Campbell. „Ich habe mir immer gewünscht, diese Figur einmal spielen zu dürfen“, sagt Grothum. Eine Ehre, sagt sie, weil einst Elisabeth Bergner 1959 diese Figur in der deutschen Erstaufführung des Stückes kreiert hat. „Wir wollen Ihnen heute eine Liebesgeschichte erzählen …“, beginnt das Zweipersonenstück, basierend auf dem Briefwechsel zwischen Campbell und dem Dramatiker Bernard Shaw, gespielt von Achim Wolff. Eine wahre Geschichte, ein bizarrer Kleinkrieg zwischen zwei Menschen, die sich lieben und zugleich hassen. Sie reizen einander, sind bockig, ironisch, albern: ein Katz-und- Maus-Spiel, getragen von gelesenen Texten aus den Originalbriefen.

Deutlich weniger dramatisch geht es privat bei Brigitte Grothum zu. Sie ist seit 46 Jahren mit Manfred Weigert in zweiter Ehe verheiratet und hat zwei Kinder. Ihr Mann kommt ursprünglich aus München, ist ein bekannter Orthopäde und einstiger Mannschaftsarzt von Hertha BSC. Ihre Tochter Debora Weigert ist ebenfalls Schauspielerin. Eine intakte Familie fängt einen auf, sagt Grothum. „Es ist wichtig, das passende Schlüsselloch gefunden zu haben.“ Nachdenklich blickt sie hinaus durch die Fenster des Wintergartens, wo die Bäume auf den Frühling warten und den Blick freigeben auf die Rehwiese, die direkt hinterm Haus beginnt.

Aufgefangen und auch irgendwie gerettet werden musste Brigitte Grothum im vergangenen Jahr nach ihrem „Jedermann-Tod“, wie sie es nennt. Nach 28 Jahren hat sie die Leitung der Berliner Jedermann-Festspiele aufgegeben. Die letzte Vorstellung war im Oktober 2014. Am Anfang, als sie mit dieser Entscheidung noch gerungen habe, sei es für sie gewesen, wie wenn jemand stirbt. „Inzwischen geht es mir wieder gut, ich bin freier und kann mich ganz auf das Theaterspielen einlassen“, sagt sie heute. Doch die Jedermann-Festspiele bleiben ein wichtiger Bestandteil ihrer Biografie und in ihrem Herzen; sind gewissermaßen ihr künstlerisches Lebenswerk. Zum ersten Mal inszenierte und produzierte Brigitte Grothum 1987 Hugo von Hofmannsthals „Jedermann“ in der Kreuzberger Kirche am Südstern. 1988 zog die Produktion, in der sie auch selbst mitspielte, in die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Seit 1993 fanden die Aufführungen im Berliner Dom statt und wurden zu einer Institution im Kulturleben der Stadt.

Was sie am „Jedermann“ faszinierte? „Das Stück ist eine große moralische Parabel, die zeigt, dass der Mensch ohne Gewissen und ohne ein Wertgefühl nicht leben und nicht sterben kann.“ Die Geschichte sei anders als alle, die sie kenne, jeder Satz sei ein Satz fürs Leben, eine Herausforderung für Regisseur und Schauspieler.

Ursprünglich wollte Brigitte Grothum, die 1935 in Dessau geboren ist und als Teenagerin mit ihren Eltern nach Berlin kam, keine Schauspielerin werden. Pianistin war ihr Traum. Doch mit 17 Jahren brach sie sich bei einem Handballturnier den kleinen Finger der linken Hand. Aus und vorbei. Noch heute, wenn sie darüber spricht, scheint es, als ob sie die Traurigkeit von damals spüren könnte. Brigitte Grothum wäre jedoch nicht Brigitte Grothum, wenn sie sich nicht wieder aufgerichtet hätte. Es sei ein Besuch von Mozarts „Zauberflöte“ gewesen, der sie auf einen neuen Weg brachte. „Diese Oper hat mich derart fasziniert, dass ich von da an nur noch Schauspielerin werden wollte“, erzählt sie.

So studierte Brigitte Grothum nach dem Abitur Schauspiel bei Marlise Ludwig und Herma Clement, debütierte 1954 am Tempelhofer Zimmertheater und stand ein Jahr später im Schlosspark Theater in Jean Anouilhs „Der Herr Ornifle“ zum ersten Mal auf einer großen Bühne. Es folgten Engagements an fast allen Bühnen im damaligen West-Berlin. Zum Schlosspark Theater in Steglitz behielt sie jedoch seit jeher eine besondere Verbindung. „Es ist für mich ein Stück Heimat.“ Seit der Wiedereröffnung des Schlosspark Theaters 2009 durch Dieter Hallervorden spielt Brigitte Grothum hier ihr drittes Engagement.

Also, wie macht sie das, so jung zu sein? „Das liegt an dem Kind in meiner Seele“, sagt sie ganz leise und lächelt. Mit dem Alter habe sie sich ohnehin nie beschäftigt. Die Gefühle seien doch wichtig – und die sind dieselben wie früher, als sie jung war. Überhaupt vergesse sie auf der Bühne ihr Selbst. „Im Idealfall verliert man zu 90 Prozent die Kontrolle – und schaut sich zu zehn Prozent noch selbst zu“, sagt sie. Welcher andere Beruf schafft das? Für Brigitte Grothum ist klar: Sie würde es immer wieder genauso machen. Gibt es etwas Schöneres über sich selbst zu sagen an einem 80. Geburtstag?

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Zehlendorf Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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