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Jogger sollten jetzt stehen bleiben. Hektik mögen Wildschweine nicht, schon gar nicht, wenn ihr Nachwuchs dabei ist.

© Steffen Rasche/dpa

Tiere in Berlin: Was tun, wenn ein Wildschwein kreuzt?

Eine Rotte rennt auf die Straße, es kracht, Menschen sind verletzt. Eine Expertin über Lieblingsspeisen, Angriffe und die Vorzüge eines Schlüsselbundes.

Eine Wildschweinrotte rennt über die Fahrbahn, ein Autofahrer will ausweichen, prallt dabei gegen einen Wagen auf der Nebenspur – und der schleudert in den Gegenverkehr, wo er mit einem Opel zusammenkracht. Dieser Unfall ereignete sich am Donnerstag, wie berichtet, auf der Heiligenseestraße in Tegel. Vier Menschen im Alter von 13 bis 42 Jahre wurden leicht verletzt. Alltag am Stadtrand, wo jetzt so oft Wildschweine plötzlich auftauchen und in der Dämmerung nach Futter suchen. Wir sprachen mit der Biologin am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin, Milena Stillfried. Sie schließt gerade ihre Doktorarbeit ab. Das Thema: Die Ökologie von Wildschweinen in urbanen Lebensräumen am Beispiel Berlin.

Frau Stillfried, sind jetzt im Frühherbst besonders viele Wildschweine in der Stadt unterwegs?
Nein, eigentlich lockt sie zur Zeit viel mehr der Wald, weil im Grunewald oder Tegeler Forst gerade die Eicheln reif sind und zu Boden fallen. Die sind ihre absolute Lieblingsspeise. In die städtischen Siedlungen zieht es sie eher im Sommer, vor allem bei großer Hitze. Dann bieten ihnen die Wälder nur noch wenig Futter. Die Rotte, die den Unfall verursachte, kam wohl aus dem nahen Tegeler Forst.

Vielleicht wollte sie sich in den Gärten nach Nahrung umsehen.
Klar, es gibt sogar Rotten, die sich zunehmend in Siedlungen wohler als im Wald fühlen und dann ihrem Kiez in der Hoffnung auf eine leichtere Futtersuche in Gärten und Grünanlagen treu bleiben. Immer öfter bringen Bachen ja auch ihre Frischlinge in Parks oder auf Privatgrundstücken zur Welt. Deshalb ist das strenge Verbot, die Schwarzkittel zu füttern, so wichtig. Einmal angelockt, werden die Schweine zu Dauergästen und dann immer distanzloser. Wildschweine sind ausgesprochen lernfähig. Deshalb wundere ich mich aber auch, dass sie bei dem Unfall einfach über die Straße gerannt sind.

Wieso?
In der Regel lernen sie rasch, mit dem Verkehr umzugehen. Hupen, Krach, vor allem ältere, erfahrene Tiere bleiben eher am Fahrbahnrand stehen und warten, bis alle Autos weg sind.

Hat die Zahl der Wildschweine in Berlin in den vergangenen Jahren zugenommen?
Eher nicht, die Population ist recht stabil, zumal die Schweine ja auch bejagt werden. Was wir aber beobachten, ist eine verblüffende Zuwanderung vom märkischen Land. Offenbar lockt die Stadt mehr Tiere als früher aus dem Umland an. Ebenso wie für Füchse, Marder und andere tierische Emigranten wird Berlin auch für die Schweine immer attraktiver.

Umso wahrscheinlicher wird es, mal einem zu begegnen. Vor einem Jahr hat eine Bache in Konradshöhe einen Mann in seinem Garten angefallen und schwer verletzt. Was tun, wenn man einem solchen aggressiven Tier plötzlich gegenübersteht?
In der Regel greifen Wildschweine nicht von sich aus an. Die suchen viel lieber das Weite. Ich selbst habe bei meinen intensiven Forschungen nie ein aggressives Tier erlebt. Viele Geschichten von wütigen Wildsäuen gehören in den Bereich der Legende. Nur von einer Bache, die gerade Frischlinge hat, droht eventuell Gefahr, weil sie diese verteidigt. Wildschweine sind nachtaktiv, deshalb trifft man sie meistens nach Einbruch der Dämmerung an. In diesem Fall heißt es: ruhig bleiben, sich langsam zurückziehen, also auf keinen Fall hektisch werden, nicht wegrennen oder das Tier in die Enge drängen. Das alles würde es als Gefahr interpretieren und geht dann vielleicht zum Angriff über. Ein Schwein will nicht, dass wir in seinen Wohlfühlbereich eindringen, das gilt es zu akzeptieren.

Wie vermeidet man am besten solche unangenehmen Begegnungen?
Schweine sind durchaus ängstlich. Wenn man also im Dunkeln durch den Wald spaziert und dabei laut redet oder mit dem Schlüsselbund klappert, werden sie sich eher ins Gebüsch zurückziehen.

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