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Leuchtendes Vorbild. Will Eisner schrieb nicht nur mit der Figur „The Spirit“ Comicgeschichte, sondern schuf auch die ersten Graphic Novels.

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Ausstellung: Schlägerei im Führerbunker

„Helden, Freaks und Superrabbis“ – die große Comic-Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin erzählt von Hoffnungen, Kämpfen und einem späten Triumph.

Es ist ein Signal der Verheißung, ein Denkmal des Selbstbewusstseins. Auf dem Sockel der Freiheitsstatue steht ein maskierter Mann im Trenchcoat. Er reckt eine Fackel, das Licht der Aufklärung, in die Höhe, unter dem Arm trägt er an Stelle der Tafel mit der Unabhängigkeitserklärung einen Stoß Comic-Hefte. Ein Schiff mit Einwanderern gleitet unter ihm vorbei.

Das Aquarell „The Spirit und die Einwanderer“ von Will Eisner hängt im Eingangsbereich der Ausstellung „Helden, Freaks und Superrabbis. Die jüdische Farbe des Comics“ im Jüdischen Museum Berlin, es fasst die Geschichte, die dort mit rund 400 Exponaten, darunter 200 Originalzeichnungen erzählt wird, gewissermaßen in wenigen Pinselstrichen zusammen. Es geht um Hoffnungen, Kämpfe und einen späten Triumph. Eisner wurde 1917 als Kind jüdischer Einwanderer aus Osteuropa in Brooklyn geboren; mit der von ihm erschaffenen Figur The Spirit schuf er 1940 einen der wirkungsmächtigsten Superhelden der Comicgeschichte – einen Detektiv, der nach einem Säureangriff ein versehrtes Gesicht hat, aber unverdrossen gegen Gangster und Diktatoren kämpft. „Ich würde mich als Schriftsteller bezeichnen, der mit Bildern erzählt“, hat Eisner gesagt. Mit dem autobiografisch grundierten Buch „Ein Vertrag mit Gott“ begründete er 1978 das Genre der Graphic Novels. Das Aquarell malte er 1999, sechs Jahre vor seinem Tod. Da galt er längst weltweit als ein Meister seines Fachs, und so ist das Blatt auch ein halb ironischer Kommentar zum eigenen Ruhm.

Superman, Batman, die Fantastic Four und der debil grinsende Alfred E. Neuman, Maskottchen des „Mad“-Magazins, stammen von jüdischen Autoren und Zeichnern. Der jüdische Beitrag zur Geschichte des Comics lässt sich kaum überschätzen, trotzdem ist er schwer zu fassen. Denn lange wurde das Judentum in den Comics nur indirekt thematisiert, Comics, in denen die Schöpfer offen ihre jüdische Herkunft schilderten, kamen erst mit dem Aufblühen der Gegenkultur in den späten Sechzigern auf. Berühmt wurde die Holocaust-Fabel „Maus“, mit der Art Spiegelman 1986 das Überleben seines Vaters in Auschwitz verarbeitete.

Der amerikanische Comicforscher Paul Buhle spricht in seinem Katalogbeitrag von Comics als „jüdischer Spezialität ohne Anspruch auf Exklusivität“. Dass sich gerade in der Frühphase des Genres jüdische Verleger und Künstler hervortaten, führt er auf ihren Status als gesellschaftliche Außenseiter und die Herkunft aus dem Schtetl zurück. Pulp-Hefte wurden von jüdischen New Yorker Geschäftsleuten gegründet, weil sie aus vielen anderen Branchen ausgeschlossen waren. Aus den osteuropäischen Schtetln brachten die Einwanderer neben dem Jiddischen auch eine spezifische Form der Gewitztheit mit, um, so Buhle, „die Welt der Gier zu kommentieren“.

Die von den Jüdischen Museen in Paris und Amsterdam konzipierte, für den Berliner Auftritt deutlich überarbeitete und erweiterte Ausstellung setzt mit den farbigen Comic-Sonntagsbeilagen und schwarz-weißen Comicstreifen der Zeitungen ein, mit denen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert der Siegeslauf der Kunstform beginnt. Happy Hooligan, Katzenjammer Kids oder Yellow Kid heißen die Helden, ihr Humor ist anarchisch und oft kindlich destruktiv. Die Vitrinen und Tische des Ausstellungsmobiliars, vom Kölner Büro KatzKaiser kongenial in den Libeskind-Bau eingepasst, ziehen sich als zickzackförmiger Zeitpfeil durch die Räume. „Abie Kabibble überlistet einen Konkurrenten“, heißt ein Trickfilm von 1917, der, unterlegt von Ragtime-Musik, an eine Wand projiziert wird. Abie, ein gnadenloser, aber nicht unsympathischer Händler, verkauft einem blinden alten Mann ein Auto ohne Räder, indem er ihm mit Hilfe eines Ventilators und kräftigem Geruckel eine lange Fahrt weismacht. „Der Wagen läuft wunderbar“, freut sich der Blinde im Happyend.

Der von Harry Hershfield erfundene Abie Kabibble, der immer wieder jiddische Floskeln in sein Verkäufer-Geflöte einfließen lässt, gilt als frühester jüdischer Comic-Charakter. Sein unternehmerischer Wagemut nimmt den irrwitzigen Schöpfergeist von Professor Lucifer Gorgonzola Butts vorweg, der höchst sinnlose, doch eindrucksvoll aussehende Kettenreaktionsapparaturen konstruiert. Dieser Butts, Prototyp des „Mad Professor“, war das in den vierziger und fünfziger Jahren in Amerika höchst populäre Geschöpf des Zeichners Rube Goldberg. Die Ausstellung zeigt seinen „Babyfütterungsautomaten“ neben einer makabren Fortentwicklung: der „Auto-Destruktions-Selbstmord-Vorrichtung“ von Art Spiegelman.

In Wirklichkeit halfen Comics eher dabei, Leben zu retten. Zum Beispiel im Berlin der Blockade-Zeit. Dorthin brachten amerikanische Rosinenbomber-Piloten neben Care-Paketen auch „Shmoos“, blasenförmige Luftballons in der Gestalt einer Comicfigur des jüdischen Zeichners Al Capp. „Piloten der Luftbrücke werfen laufend Tausende solcher Fabelwesen über den Westsektoren Berlins ab. Wer Glück hat, findet in seinem Shmoo einen Gutschein über 10 Pfund Schmalz“, heißt es auf dem Cover des „Aufwärts“, das einen blonden, glücklich lächelnden Berliner Jungen mit Shmoo und Schmalzkiste präsentiert. Das war 1948 – drei Jahre nach dem Ende des Holocausts.

Am deutlichsten wird der Zusammenhang zwischen der Populärkultur der Comics und den jüdischen Bilderwelten bei den Superhelden, die Ende der dreißiger Jahre entstanden, zu einer Zeit, in der das Böse weltweit auf dem Vormarsch war. Superman, Batman, Captain America und The Spirit setzen mit ihren Abenteuern das fort, was David im Kampf gegen Goliath vorexerziert hatte: wie man das scheinbar Unbesiegbare doch niederringen kann. Sie sind sich dabei auch keineswegs zu schade, ins politische Tagesgeschäft einzugreifen.

Captain America verprügelt Hitler in seinem Führerbunker, Superman saust – „Ist es ein Flugzeug? Ist es ein Blitz? Nein, es ist Superman!“ – durch die Lüfte nach Europa, verbiegt Kanonenrohre und schnappt sich Hitler und Stalin, um sie vor Gericht zu stellen. Diese Episode schafft es 1940 sogar ins SS-Blatt „Das schwarze Korps“, versehen allerdings mit antisemitischen Schmähungen gegen den Zeichner Jerry Siegel. Die Superhelden knüpfen an die Tradition des Golem an, ganz offenkundig wird das in der zweiten Superhelden-Generation des sogenannten „Silver Age“ der fünfziger Jahre, als Monster wie das giftgrüne Ungetüm Hulk oder The Thing, das Backsteingeschöpf der Fantastic Four, dem jüdischen Mythenwesen auch körperlich immer ähnlicher werden. Sie sind naiv und unberechenbar, auch darin gleichen sie dem Golem. Vom Beschützer verwandeln sie sich blitzschnell in den Berserker.

Superman und Batman, das demonstriert die enzyklopädisch ausgreifende, stringent argumentierende Ausstellung, haben gegen Hitler und Stalin gewonnen. Die Popkultur siegte, das Böse wurde zurückgeschlagen. Nur vor dem Jüdischen Museum steckt jetzt Superman im Boden, kopfüber festgerammt in der Erde. „Auch Helden haben schlechte Tage“, heißt die Skulptur von Marcus Wittmers.

Jüdisches Museum Berlin, bis 8. August, tägl. 10-20, Mo 10-22 Uhr, Katalog 19,80 €. Mehr unter www.jmberlin.de/comic.

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