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Anti-Hass-Ambulanz. Besucher*innen des Berliner CSD.

© dpa

Christopher Street Day Berlin: Das ABC zum CSD

Von A wie Alarmstimmung über SCH wie Schrill bis Z wie Zu Fuß: Der Queerspiegel bringt alles, was man zum Christopher Street Day in Berlin wissen sollte. Und noch ein bisschen mehr.

A wie Alarmstimmung. Die herrscht jedes Jahr bei heterosexuellen Männern am Tag der Christopher-Street-Parade. Denn angesichts der vielen durchtrainierten Leiber kriegt so mancher Waschbärbauch das große Grimmen.
B wie Bermuda-Dreieck. So bezeichnen vor allem Heterosexuelle die Ausgehmeile von Lesben und Schwulen rund um die Schöneberger Motzstraße. Schwingt da etwa der Wunsch mit, die Homos mögen von der Bildfläche verschwinden? Schließlich ist das Bermuda-Dreieck dafür berüchtigt, dass Schiffe verlorengehen…

C wie Christopher Street Day. Erinnert an den 28. Juni 1969, als sich in der New Yorker Christopher Street erstmals Homosexuelle gegen Polizei-Razzien und Willkür wehrten. Es war der Beginn der weltweiten Emanzipationsbewegung.

D wie Drag - der eigenen Gender-Rolle entgegengesetzter Bekleidungsstil. Populärste Form: Männer im Fummel, auch Drag Queens oder Tunten genannt. Sie tragen gern High Heels, Perücken und Kleider. Auch das Imitieren von Idolen wie Marlene Dietrich, Madonna oder Hildegard Knef im Vollplayback-Modus ist bei ihnen beliebt. Drag Kings wiederum sind Frauen, die als Männer auftreten. Kurzhaarfrisuren und Bartimitate gehören zur Grundausstattung, ernster Blick und Machogesten sind optional.

E wie Ehe für alle. Nach dem Irland-Referendum für eine komplette Gleichstellung von homo- und heterosexuellen Ehen auch in Deutschland wieder heiß diskutiert und bei CSD natürlich ebenfalls gefordert. Das an diesem Freitag gefällte Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, gleichgeschlechtliche Ehe landesweit zuzulassen, dürfte die Debatte in Deutschland noch mehr befeuern.

F wie Feiertag. Als solcher gilt der CSD tatsächlich vielen Homosexuellen, weil diese Demonstration daran erinnert, dass Schwule und Lesben immer diskriminiert und ausgegrenzt wurden.

G wie Geschichte. Die Berliner "Flying Lesbians" waren in den Siebzigern die erste nur aus Frauen bestehende Band des Kontinents - mit tollen Hits wie "Wir sind die homosexuellen Frauen" oder "Matriarchats-Blues". Diese und ganz viele andere Kapitel der homosexuellen Kultur- und Emanzipationsgeschichte sind seit Freitag in der großen Ausstellung "Homosexualität_en" im Deutschen Historischen Museum und im Schwulen Museum zu sehen. Zum Einstimmen oder Runterkommen von der CSD-Party!

H wie High Heels. Bezeichnung für hochhackige Schuhe, die in Übergrößen kurz vor dem CSD kaum mehr zu haben sind.

I wie interkulturell. I. zu sein nimmt der Kreuzberger CSD für sich in Anspruch, wo es linker und postmigrantischer zugeht. Dort sind auch Flüchtlingsgruppen an der Parade beteiligt.

J wie ach Jottchen. Häufig verwendeter Ausruf von überraschten Zehlendorferinnen, die während des CSD zum Kaffeetrinken am Kranzler wollen, stattdessen aber in einem Pulk halbnackter, Faber-Pullen schwingender Männer steckenbleiben.

K wie Knatsch. Wie alle Familien zofft sich auch die lesbisch-schwule erstmal gerne, bevor sie zum großen Fest zusammenkommt. Letztes Jahr führte K. zu einer absurden Paradenvermehrung.

Von L wie Lesben bis Z wie Zu Fuß

Auf Augenhöhe mit der Quadriga. Feiernde auf einem Berliner CSD-Wagen.
Auf Augenhöhe mit der Quadriga. Feiernde auf einem Berliner CSD-Wagen.

© dpa

L wie Lesben. Fühlen sich seit Jahren in dem großen Zug unterrepräsentiert und von der Bilderflut knallbunter Tunten an den Rand gedrängt. Sie halten tapfer dagegen - schon am Freitag ziehen sie auf den Dyke*Marsch, der mehr lesbische Sichtbarkeit erzeugen soll.

M wie Motto. Da der Christopher Street Day eine Demonstration ist, braucht es eine politische Aussage. „Wir sind alle anders. Wir sind alle gleich.“ heißt sie in diesem Jahr. Das ist schon etwas krumm geraten, mit etwas Fantasie kann man dahinter die Aussage „Vielfalt ist schön, gleiche Rechte unverzichtbar“ entdecken. Der Kreuzberger CSD ist da schon eindeutiger: „Keine pinke Camouflage - Queer bleibt radikal“.

N wie Novize. Ist in diesem Jahr der Regierende Bürgermeister Michael Müller, der zum ersten Mal die Eröffnungsrede hält. Tritt ein großes Erbe an: Vorgänger Klaus Wowereit war beim CSD sozusagen die Mutter der Kompanie. Noch fremdelt die Gemeinde mit dem N.: Das Aktionsbündnis "Enough is Enough" forderte im Vorfeld, Müller solle nicht sprechen - er habe schließlich der Ehe für alle im Bundesrat nicht zugestimmt.

O wie Ohnmacht. Überkommt manche der Teilnehmer/innen, wenn sie erst auf den "großen" CSD gehen, dann zum Kreuzberger und zum krönenden Abschluss auf eine oder mehrere der zahlreichen Abschlusspartys.

P wie Preis. Wird jedes Jahr vergeben. Legendär das Jahr 2010, als die Star-Philosophin Judith Butler ihren P. ablehnte, weil ihr der CSD als zu rassistisch erschien (siehe auch K wie Knatsch). Der P., der inzwischen "Soul of Stonewall Award" heißt, geht dieses Jahr an die Transfrau Ebru Kÿrancÿ aus Istanbul, das Hospizdienst Tauwerk, ein nonnengeführtes Hopiz für sterbende HIV-kranke Menschen, an die Feministin Laura Méritt - und an Klaus Wowereit. Ohne ihn wäre der CSD dann doch unvorstellbar.

Q wie queer. Ursprünglich im Englischen eine Bezeichnung für Dinge, Handlungen oder Personen, die von der Norm abweichen. War "queer" wie das deutsche „schwul“ einst ein Schimpfwort, hat sich die Wahrnehmung des Wortes inzwischen gewandelt. Zunächst bezeichneten sich Homosexuelle als "queer", um sich damit von anderen Homosexuellen abzugrenzen, die ihnen zu angepasst erschienen, etwa weil sie für sich bürgerliche Lebensformen wie die Ehe anstrebten. Inzwischen wird „queer“ als Sammelbegriff für alle Personen verwendet, die nicht der heterosexuellen Geschlechternorm entsprechen.

R wie Regenbogenfamilie. Gründen immer mehr Lesben und Schwule. Damit der CSD Mama-Mami-Kind-gerecht ist, gibt es am Brandenburger Tor erstmals einen Familien- und Sport-Bereich. Für das angebotene Bungee-Jumping sollte der Nachwuchs vielleicht schon etwas älter sein.

S wie Siegessäule. Wer es bis hier hin schafft, hat es nicht mehr weit: Nur noch die Straße des 17. Juni runter, am Brandenburger Tor ist das Ziel der Parade. Die S. wird gern auch als phallisches Symbol interpretiert.

SCH wie Schrill. Begriff, der jedes Jahr zum CSD aus der Vokabeltiefkühltruhe geholt und mittels Radio- und TV-Wellen aufgetaut wird. Gern auch verwendet, wenn es die Politcal Correctness verbietet, einen Sozialpädagogen als oberpeinlich zu bezeichnen, der sich einmal im Jahr zum CSD ins Humana-Paillettenkleid zwängt und falsche Wimpern aus dem Rossmann-SB-Regal anklebt.

T wie Truck. Früher Tieflader. Bezeichnung für die großen der 53 Wagen, die den Paradenzug bilden. T.s werden von Parteien gestellt (alle sind dabei, auch die FDP macht darauf aufmerksam, dass es sie noch gibt), Vereinen (wie der Aidshilfe) oder Firmen (etwa BVG, Vivantes, Siemens, SAP). Besonders beliebt scheint der CSD beim Diplomatischen Dienst: Neben dem Auswärtigen Amt sind die Botschaften von Slowenien, Großbritannien, Kanada, den Niederlanden und den USA dabei.

U wie unschicklich. Das ist die wichtigste Verhaltensweise auf dem CSD. Über Jahrzehnte wurden Homosexuelle stigmatisiert, weil ihr Verhalten angeblich nicht schicklich sei. Deshalb gilt es für die Teilnehmer auch noch heute, sich möglichst gründlich daneben zu benehmen und so die zuschauende bürgerliche Gesellschaft ein bisschen zu schockieren. Das klappt immer noch und nicht nur bei Touristen aus Radevormwald.

V wie Verzaubert. In den 20er Jahren ein Codewort unter homosexuellen Menschen, das in den 80ern in der DDR eine Renaissance erfuhr. Ab 1991 gab es das jährlich stattfindende und mittlerweile eingestellte Verzaubert Festival für queere Filme.

W wie Winken. Mittels anmutiger Armschwenkbewegungen grüßt die queere Gemeinde das Publikum am Rand der Parade. W. zeigt an: Die Teilnehmer/innen sind freundlich gesinnt und unbewaffnet.

X wie x-beliebig. So sollte das Outfit zum Festtag wirklich nicht aussehen. Es gibt Homos, die sich wochenlang Gedanken um ihr Kostüm machen – einige wollen heute als Duschkabinen unterwegs sein.

Y wie YMCA. So hieß einer der größten Hits der amerikanischen Disco-Band Village People, deren Mitglieder sich wie schwule Archetypen kostümieren (Ledermann, Bauarbeiter, Cowboy ...) Vielen Heterosexuellen fiel das allerdings nicht weiter auf, vielleicht hielten sie die Gruppe für Karnevalsfetischisten. Der Text von „YMCA“ ist allerdings schon recht eindeutig: „It's fun to stay at the Y.M.C.A./ They have everything for you men to enjoy/ You can hang out with all the boys ... “, singen die Männer da.

Z wie Zu Fuß. Erstmals führen Fußgruppen die Parade an. Die scheinen ziemlich musikalisch: Lesbische und schwule Chöre marschieren ebenso mit wie Fans der Gruppe Rammstein, die ein Zeichen gegen Homophobie setzen wollen. Man darf gespannt sein, welches Lied sie gemeinsam anstimmen. (mit oew)

Und so sind die Routen des "großen" CSD, des Dyke*Marsch und des Kreuzberger CSD:

Die Route des "großen" CSD Berlin

Die Route des CSD Berlin 2015.
Die Route des CSD Berlin 2015.

© Schilli/Tsp

Die Route des Dyke*Marsch (findet bereits am Freitag statt)

Die Route des Dyke*Marsch 2015.
Die Route des Dyke*Marsch 2015.

© Grafi: Schilli/Tsp

Die Route des Kreuzberger CSD

Die Route des Kreuzberger CSD 2015.
Die Route des Kreuzberger CSD 2015.

© Schilli/Tsp

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