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In Brasilia.

© Dagmar Dehmer

Brasilien-Tagebuch: Hauptstadt als Kunstwerk

Tagesspiegel-Politikredakteurin Dagmar Dehmer ist eine Woche lang mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Brasilien unterwegs. In ihrem Online-Tagebuch schildert sie ihre Eindrücke aus dem lateinamerikanischen Land. Erste Folge: Brasiliens Hauptstadt Brasilia und ihre nigerianische „Schwester“ Abuja.

Eine Hauptstadt als Kunstwerk. Das ist Brasilia. Der weltberühmte inzwischen 105 Jahre alte Architekt Oscar Niemeyer hat diese neue Hauptstadt „in der Mitte des Landes“, wie die Brasilianer sagen, entworfen. Bis in die jüngste Zeit hat er der mit einer halben Million Menschen belebten Oscar-Niemeyer-Gedächtnisausstellung neue Kunstwerke hinzu gefügt. 2006 hat er das Nationalmuseum erbauen lassen. Eine weiße Betonkuppel mit Wandelgängen, die außen um den Gebäudekörper herumgeschwungen sind. Die Kuppel ist fensterlos und nimmt die Form des Senatsgebäudes etwa einen Kilometer weiter östlich auf. Direkt daneben steht das wohl letzte Werk Niemeyers: die Nationalbibliothek. Ein heller Betonriegel mit einer vielfach durchbrochenen und strukturierten Außenhülle. Direkt gegenüber erhebt sich das Nationaltheater, eine Pyramide, natürlich ebenfalls aus Beton. Und Niemeyer hat nicht nur das Senatsgebäude sondern auch das direkt anschließende Parlamentsgebäude zu verantworten, das eine umgekehrte Kuppel ist und wie eine überdimensionale Schale aussieht, „die Volkes Stimme auffangen“ soll. Zwischen den beiden Strukturen stehen zwei Hochhäuser mit Abgeordnetenbüros, zwischen denen morgens die Sonne aufgeht. Wenige Meter entfernt das Außenministerium mit der größten freitragenden Eingangshalle Lateinamerikas. Die  Wendeltreppe nach oben scheint frei zu schweben und ist schon manchem Staatsgast schlecht bekommen. Auch die argentinische Präsidentin Christina Kirchner ist auf der Treppe gestürzt, nachdem sie bei einem Empfang im Ministerium ein paar Cocktails getrunken hatte.

Bildergalerie "Brazilian Design"

Brasilia ist die Musterstadt der Moderne. Gebaut in den 60er Jahren ist jedem, auch den neuen Gebäuden bis hin zum WM-Stadion, das gerade gebaut wird, ein unbändiger Gestaltungswille anzumerken. Die Stadt folgt der Form eines Flugzeugs. Die Repräsentationsbauten der Regierung und der Justiz bilden die Mittelachse, Wohnquartiere haben die Form von Flügeln. Der Innenbereich des Masterplans von Brasilia ist ein Unesco-Weltkulturerbe. Jedes Detail hat symbolische Bedeutung. Die Stadt ist hell, weil die Gebäude alle hell gehalten sind. Es gibt viele Parks und einen künstlichen See hinter den „Wohnflügeln“. Auf der anderen Seeseite erheben sich extravagante Villen und bescheidenere Einfamilienhäuser auf einem kleinen Hügel. Die Lebensqualität ist hoch. Denn in Brasilia leben eigentlich nur Privilegierte. Die sozialen Probleme sind in Satellitenstädte ausgelagert, in denen ähnlich wie in den Pariser Vorstädten die Kriminalität hoch ist. Doch dorthin verirrt sich kaum je ein Abgeordneter des Kongresses, und erst recht niemand von der Regierung.

Brasilia ist ein schönes unwirkliches Raumschiff. Und die politische Elite hat dort ziemlich abgehoben. Das verbindet die Hauptstadt des lateinamerikanischen Riesenlandes mit einer anderen neu errichteten Hauptstadt weiter westlich. Auch Abuja war ein Projekt der nationalen Einigung. Die neue Hauptstadt Nigerias ist nach der Unabhängigkeit 1960 geplant und bis in die 80er Jahre hinein errichtet worden. Außer dass die beiden Städte – wie es in den 60er Jahren der neueste Schrei war – autogerecht geplant wurden und heute beide im Stau ersticken, verbindet sie auch die Abgehobenheit von der eigenen Bevölkerung. Doch in einem unterscheidet sich Abuja deutlich von Brasilia: In der nigerianischen Hauptstadt stellt die Ölelite ihren Reichtum schamlos zur Schau, ohne dass das irgendeinem architektonischen Konzept folgen würde. In Brasilia folgt das ganze einem Plan von Oscar Niemeyer.    

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