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Die Vision einer neuen Metropolenbibliothek ist erst mal perdu. Zu Lüschers Großbaustellen gehören neben der Staatsoper auch der Alexanderplatz und das Kulturforum.

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Interview mit Regula Lüscher: Warum es neue Architektur in Berlin so schwer hat

Ob Staatsoper oder Kulturforum - Berlins Senatsbaudirektorin Regula Lüscher steht oft in der Kritik. Im Tagesspiegel-Interview spricht sie über die Brachen und Baustellen der Stadt.

Frau Lüscher, als Mitgestalterin einer der aufregendsten Städte Europas haben Sie einen Traumjob. Fragt sich nur, wie Sie bei all den Baustellen vom Alex über die Historische Mitte bis zum Kulturforum und der Europa-City am Hauptbahnhof den Überblick behalten?

Berlin besteht aus den unterschiedlichsten Orten, die nicht alle gleich behandelt werden müssen. Das hilft bei der Orientierung. Ich mache mir Skizzen, markiere die Unterschiedlichkeiten. Die Europa-City zum Beispiel ist ein internationaler Ort; es gibt die Kulturorte wie die Museumsinsel und das Humboldt-Forum, aber auch das Kulturforum – den Ost-West-Kompass habe ich immer im Kopf. Dann gibt es das Thema Brachen, in Tempelhof oder Tegel. Und bei der riesigen Wohnungsbauwelle sowie der Frage, wie bei der erforderlichen Masse Qualität und Innovation nicht zu kurz kommen, denke ich auch über den S-Bahn-Ring hinaus.

Markieren Sie das mit Buchstaben? W für Wohnen, K für Kultur?
Als Architektin bin ich eher der gestalterische Typ, also zeichne ich Piktogramme, etwa ein Sofa und ein Bett fürs Wohnen.

Waren Sie enttäuscht über das Nein zur Randbebauung des Tempelhofer Felds?
Ja. Weil sieben Jahre lang sehr viel Energie in das Projekt geflossen ist. Eine solche Absage kann auch die Quittung dafür sein, dass allzu unterschiedliche Interessengruppen ins Boot geholt werden mussten – was man nicht immer öffentlich kommunizieren kann. Manchmal muss man einsehen, dass eine Stadtgesellschaft nicht am gleichen Punkt angekommen ist wie jene, die sich täglich mit der Dringlichkeit von Veränderungen auseinandersetzen. Es ist ein bisschen wie mit der IBA 2020, für die keine Gelder bewilligt wurden. Da heißt es kill your darlings. Aber die IBA-Vorarbeiten sind in unser Urban-Living-Programm mit Pilotprojekten für das Wohnen der Zukunft eingeflossen. Ohne die Grundlagen der IBA wäre Urban Living nicht so schnell zustande gekommen.

Nicht nur in Tempelhof gab es Bürgerproteste. Warum hat neue Architektur es so schwer in Berlin?
Erstaunlicherweise wird sie weniger akzeptiert als andere Innovationen in der Kultur. Was daran liegen mag, dass Theater, Musik und Film ephemer, also flüchtig sind. Architektur hingegen ist da oder nicht da, als manifester Botschafter von Kultur und Geschichte. Weil diese Stadt eine immense materielle Zerstörung erlebt hat, ist die Sehnsucht nach Verlorenem und seiner Wiedersichtbarmachung besonders groß. Neue Architektur ist aber durchaus auch anderswo schwer zu vermitteln: Wir leben in einer bildaffinen Epoche, die Leute sehen vor allem die computergenerierten Bilder von Entwürfen. Auf denen lässt sich nicht zeigen, dass Architektur kein Bild ist, sondern Raum, Nutzung, Ton, Geruch.

Apropos Sehnsucht: Das Schloss ist Sache des Bundes. In Ihre Zuständigkeit fällt, ob der Neptunbrunnen und das Kaiser-Wilhelm-Reiterdenkmal an ihren ursprünglichen Ort zurückkehren. Sie sind dagegen?
Die Entscheidung, das Humboldt-Forum als modernes Gebäude mit zeitgenössischer Nutzung in das historische Kleid der Schlossrekonstruktion zu fassen, ist ein Projekt des 21. Jahrhunderts und seiner Gesellschaft. Deshalb sollte der öffentliche Raum der Umgebung zeitgenössisch gestaltet werden, schon weil die Straßen und Plätze heute nicht mehr von Kutschen befahren werden. Wobei in jedem Fall historische Bezüge hergestellt werden sollten. Und wer weiß, wie am Rathausforum entschieden wird: Vielleicht wird das Forum irgendwann derart überformt, dass der Neptunbrunnen dort keinen Sinn mehr macht. Es wäre aber ein Fehler, ihn jetzt zu versetzen.

Auf der Website der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt steht beim Rathausforum die schöne Vokabel Dialogprozess. Es findet sich aber kein einziger aktueller Veranstaltungstermin dazu. Müssten Sie nicht ständig Bürgerforen organisieren und als Vermittlerin auftreten?
Alle wollen jetzt Dialog- und Partizipationsverfahren, das ist richtig so. Aber die zu organisieren braucht Vorbereitungszeit. Die Finanzierer eines Projekts, die Nutzer, die politisch Verantwortlichen und die zuständigen Verwaltungen setzen sich an einen Tisch, so kenne ich das seit 20 Jahren. Dies ist bereits eine radikal andere Planungskultur als eine Top-Down-Planung, in der die Senatsbaudirektorin sagt, wie es aussehen soll. Bürgerpartizipation ist aber noch einmal etwas anderes. Die große Herausforderung besteht darin, auch diejenigen einzubinden, die nicht unmittelbar Verantwortung tragen, aber vor ihrer Haustür betroffen sind.

Die Kunst der Bürgerbeteiligung

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf ihrer derzeit umstrittensten Baustelle, der Berliner Staatsoper.
Senatsbaudirektorin Regula Lüscher auf ihrer derzeit umstrittensten Baustelle, der Berliner Staatsoper.

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Was heißt das beim Rathausforum?
Wir haben ein Kuratorium berufen, in dem bürgerschaftlich Engagierte, Institutionen, Anrainer und die Politik vertreten sind. Diese vier Gruppen sollen den Prozess mit uns steuern. Per Ausschreibung bitten wir professionelle Partner um Vorschläge für die Orchestrierung des Beteilungsprozesses. Im Herbst wollen wir das öffentlich kommunizieren. Mit anderen Worten: Partizipation braucht viel, viel Zeit, denn es geht ja um die unterschiedlichsten Zielgruppen. Wenn ich Jugendliche ansprechen will, brauche ich andere Formate als für Stadtplaner oder Bewohner. Wir wollen Menschen aktiv involvieren, und zwar bevor es konkrete Vorstellungen gibt.

Bei der Historischen Mitte haben viele Berliner sehr klare Vorstellungen. Die einen wollen DDR bewahren, die anderen dringen auf den historischen Straßenplan als Grundlage.
Diejenigen, die sich am lautesten artikulieren, vertreten nicht unbedingt die Stadtgesellschaft als Ganzes.

Sie könnten es mit Argumenten versuchen und etwa für gute zeitgenössische Architektur werben. Bei der Debatte ums Tempelhofer Feld haben wir Ihre Stimme vermisst.
Es stimmt nicht, dass ich dazu geschwiegen hätte. Gemeinsam mit dem Kulturstaatssekretär habe ich mich für die Zentral- und Landesbibliothek stark gemacht, weil ich davon überzeugt bin, dass eine solche Integrationsmaschine mit niedrigschwelligem Zugang für alle hier richtig angesiedelt wäre. Auf dem Tempelhofer Feld kommen Menschen unbesehen ihrer Herkunft, ihrer Bildung, ihrer sozialen Klasse zusammen; der Standort ist ein Geschenk für die Vision einer Metropolenbibliothek. Dafür haben wir gekämpft.

In der Öffentlichkeit kam wenig davon an.
Wo immer ich auftrat, habe ich mich deutlich dafür eingesetzt. Gut, es ist ein Projekt des Kultursenators Klaus Wowereit, da hält man sich unmittelbar vor dem Abstimmungstag auf Staatssekretärsebene auch mal zurück. Darüber hinaus hat sich wieder bestätigt, dass sich Mehrheiten nicht durch Architektur begeistern lassen, so traurig das für meine Profession klingt. Sobald ich ein Bild zeige, finden 50 Prozent es scheußlich. Und bei dem nächsten sind die übrigen 50 Prozent dagegen.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus der Erfahrung Tempelhof?
Den Volksentscheid gilt es zu respektieren. Stadtplaner sind es gewohnt, beweglich im Kopf zu sein und am Tag danach neu zu denken. Im Stadtentwicklungsplan Wohnen sind Potenziale für rund 215 000 neue Wohneinheiten lokalisiert. Wir müssen nun Orte suchen, an denen wir in kurzer Zeit Wohnungen in beachtlicher Menge realisieren können, denn die Stadt wächst rasant.

Der neue Kulturstaatssekretär Tim Renner möchte, dass die Kultur bei Bebauungsplänen mehr berücksichtigt wird. Einverstanden?
Das Thema haben wir schon mehrfach besprochen, ich stimme ihm vollkommen zu, auch wenn es ein schwieriges Unterfangen ist. Die Berücksichtigung der Kultur ist in den gesetzlichen Vorgaben nicht vorgesehen. Und wir wollen natürlich auch noch andere Anliegen sichern, wie soziale Infrastruktur, die Bewahrung der Freiräume, bezahlbare Mieten. Die Kultur ist allerdings für die Stärkung der Identität Berlins ein ohne Zweifel herausragender Aspekt.

Schneller Wohnungsbau und nachhaltiges Bauen, wie geht das zusammen?
Wir planen umsetzungsorientiert, gleichzeitig probieren wir bei Urban Living Innovationen aus. Schon deshalb, weil das rasante Wachstum von den Berlinerinnen und Berlinern eher akzeptiert wird, wenn qualitativ hochwertig gebaut wird.

Wie überzeugen Sie die Investoren davon?
Ehrlich gesagt, mit den Investoren ist es einfacher als mit den Bürgern der Stadt. Der Investor hat klare Ziele und will eine Baugenehmigung, umgekehrt kann ich die Ansprüche der öffentlichen Hand klar kommunizieren: gute Architektur, hochwertige öffentliche Räume, bezahlbare Wohnungen. Es ist ein Geben und Nehmen. Ein kluger Investor weiß, dass er im umkämpften Berliner Markt Qualität bieten muss, sonst ist er gegenüber den Mitbewerbern benachteiligt.

Frau Lüscher, haben Sie eigentlich ein Lieblingsgebäude in der Stadt?

Noch ein Hochhaus für den Alexanderplatz? Auf das Grundstück neben dem Elektromarkt soll ein 150 Meter hohes Gebäude von Stararchitekt Frank Gehry.
Noch ein Hochhaus für den Alexanderplatz? Auf das Grundstück neben dem Elektromarkt soll ein 150 Meter hohes Gebäude von Stararchitekt Frank Gehry.

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Bausünden, die Sie geerbt haben, gibt es genug, wie das Meininger Hotel am Hauptbahnhof. Sie versprechen, dass Ähnliches nicht mehr geschieht?
Architektonische Qualität kann man nicht garantieren. Ich kann nur aushandeln, überzeugen, motivieren, beraten. Wenn ein Investor beratungsresistent ist, wird sich die eine oder andere Bausünde auch künftig nicht verhindern lassen. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, eine Baugenehmigung wegen minderwertiger Architektur zu verweigern. Schönheit kann ich nicht verordnen.

Das heißt, neben dem Alexa gibt es eines Tages auch noch ein hässliches Hochhaus?
Das glaube ich nicht. In den städtebaulichen Verträgen zum Alexanderplatz ist festgelegt, dass Wettbewerbe durchgeführt werden müssen. Auch im Rahmenvertrag der Europa-City ist das für die zentralen Orte ausformuliert.

Braucht Berlin mehr Hochhäuser?
Wir sind gut bedient mit den ausgewiesenen Hochhausgebieten Alexanderplatz, Breitscheidplatz, Ostbahnhof und Hauptbahnhof. Auch an den Ausfallachsen ist das ein oder andere Hochhaus sinnvoll und vertretbar, weil wir dort nicht mit der gewachsenen Stadtgestaltung kollidieren.
Haben Sie eigentlich ein Lieblingsgebäude in der Stadt?
Das wechselt permanent. Je nachdem, womit ich beschäftigt bin, entwickle ich temporäre Zuneigungen. Kürzlich war ich im Preisgericht für die Umgestaltung der Hedwigskathedrale und einige Tage beseelt vom Innenraum der Kirche.

Bei der Sanierung der Staatsoper gleich vis-à-vis gibt es mehrjährige Verzögerungen, explodierende Kosten und keinen Eröffnungstermin. Ihr Fehler?
Ich habe mir keine Fehler vorzuwerfen. Anfangs wollten alle das komplizierte Bauvorhaben so schnell wie möglich über die Bühne bringen. Hätten wir damals gesagt, wir machen erst ein Jahr nach dem Auszug der Staatsoper eine genaue Zeitplanung, dann, wenn wir wissen, was alles marode ist, hätte das niemand akzeptiert.

Aber es wäre sinnvoll gewesen.
Hinterher ist man immer klüger. Komplizierte Dinge sind manchmal erst später kommunizierbar.

Auch eine Langzeitherausforderung: Die Brache des Kulturforums zwischen Philharmonie, Gemäldegalerie und der Neuen Nationalgalerie.
Auch eine Langzeitherausforderung: Die Brache des Kulturforums zwischen Philharmonie, Gemäldegalerie und der Neuen Nationalgalerie.

© Thilo Rückeis

Ein anderes Dauerthema ist das Kulturforum. 2009 wollten Sie nicht noch 20 Jahre warten, jetzt bitten Sie um Geduld.
Weil es keinen unmittelbaren Investitionsdruck gibt: Die Verdichtung durch weitere Nutzung dauert Jahre. Aber wir sorgen endlich für die kurzfristige Aufwertung des öffentlichen Raums: Die Parkplätze kommen weg, das Kulturforum wird als Stadtlandschaft erlebbar, so wie Scharoun es wollte. Die Leute können sich dort ins Grüne setzen, wie am Lustgarten. Ein gemeinsames Management aller dortigen Kulturinstitutionen sollte den Ort ab und zu bespielen. Die erste Stufe der Freiraumplanung werden wir 2015 umsetzen, der Förderantrag fürs Besucherzentrum ist gestellt. Und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat Raumbedarf! Wunderbar, denn genau das sorgt für Handlungsdruck.

Was wollen Sie langfristig an diesem Ort?
Ich unterstütze hundertprozentig den Masterplan der Stiftung und den Umzug der Gemäldegalerie an die Museumsinsel. Hier das Kulturforum als Ort für die Kunst des 20. Jahrhunderts mit der Neuen Nationalgalerie Mies van der Rohes, der Gemäldegalerie von Hilmer & Sattler und den Scharoun-Bauten, dort die Museumsinsel des 19. Jahrhunderts: Welche andere Stadt in Europa kann Inhalt und Architektur auf ähnliche Weise zusammenbringen?

Im Moment dreht sich die Debatte um den besten Standort für einen Erweiterungsbau zur Nationalgalerie.
Was ist besser, die Mitte des Kulturforums zu bebauen oder die Ränder? Ich finde beide Ideen verfolgenswert, wobei Ersteres architektonisch eine Riesenherausforderung bedeutet, denn es gälte, sich zwischen Mies und Scharoun zu behaupten. Es müsste ein Bau mit landschaftlichem Charakter sein, der keine weitere Ikone sein will. Das traue ich den heutigen Architekten zu. Eine Erweiterung im Rücken der Nationalgalerie wiederum müsste Hintergrundcharakter für das Baudenkmal haben: Eine Stärkung dieser hinteren Front könnte das Kulturforum ebenfalls städtebaulich weiterbringen.

Ihr Vorgänger Hans Stimmann hat einen Namen als Verfechter der Traufhöhe und der kritischen Rekonstruktion. Sie werden als Herrin der Brachen bezeichnet. Was möchten Sie der Stadt hinterlassen?
Das mit der „Herrin der Brachen“ war zynisch gemeint, aber ich kann es auch als Kompliment sehen. Ich kümmere mich um die Brachen Berlins, um die spezifische Qualität und Identität von Orten. Ich gehe die Aufgaben mit offenen Augen an, entwerferisch, da bin ich ganz Architektin. Hinterlassen möchte ich Berlin eine andere Planungs- und Diskussionskultur, eine Staatsoper, die die Menschen wieder beglückt, einen Alexanderplatz, der sich weiterentwickelt, ein Rathausforum mit Vision, die von einer breiten Mehrheit getragen ist. Und ein Kulturforum, das kein Parkplatz mehr ist.

Das Gespräch führten Nicola Kuhn und Christiane Peitz.

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