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Stadtentwicklung: Internationale Toparchitekten und echte Pioniere

Lofts in Lagerhäusern und schwimmende Pavillons für eine nachhaltige Zukunft – die Architekturstadt Rotterdam hat sich in wenigen Jahren rasant entwickelt. Ein Besuch.

Schon seit Jahrzehnten pflegt Rotterdam seinen Ruf als Architekturhauptstadt der Niederlande. Die Architektur ist neben dem Hafen das zweite Standbein und ein echter Exportschlager geworden. Der berühmteste Architekt der Niederlande Rem Kohlhaas und dessen Büro OMA, aber auch andere weltweit tätige Büros wie MVRDV, West 8, KCAP und Neutelings Riedijk haben hier ihren Hauptsitz.

Die Liste der Weltstars, die hier in den letzten Jahren gebaut haben ist lang, aber die Kraft von Rotterdam als Motor der niederländischen Architekturszene steckt nicht nur im Ermöglichen visionärer Entwürfe internationaler Architekten. Wer Rotterdam also ausschließlich besucht, um die neusten Wolkenkratzer zu bewundern, tut der Stadt Unrecht, weil gerade ungewöhnliche Bottom-up-Projekte den Nährboden bieten für realisierte Visionen, die weltweit Beachtung finden.

Einen Katzensprung entfernt vom neuen Hauptbahnhof, der 2014 fertig gestellt werden wird, ist ein perfektes Beispiel entstanden für die Zutaten, die die Kraft und Lebendigkeit Rotterdams ausmachen, der Schieblock. Das Gebäude wird in fünf bis zehn Jahren abgerissen, aber in der Zwischenzeit wird der Spagat probiert zwischen den hohen Ambitionen für das Gebiet und der heutigen Realität mitten in einer Wirtschaftskrise. Er dient als eine Art Brutkasten für Kreative, ein Arbeitsplatz und Treffpunkt für Pioniere, die sich auf verschiedenste Weise mit Stadtentwicklung auseinandersetzen. Architekten, Ökonomen und kulturelle Unternehmer arbeiten hier interdisziplinär an neuen Sichtweisen auf städtische Entwicklungen.

Sehr interessante Entwicklungen spielen sich auch im Gebiet rund um die Laurenskirche ab – einem der wenigen Gebäude die den 14. Mai 1940 überstanden, als deutsche Bomber das historische Zentrum ausradierten – sowie nördlich und südlich der Maas, auf dem Wijnhaveneiland und im Lloydquartier, dem Kop van Zuid und auf Katendrecht.

Im Zuge der Revitalisierung der Innenstadt entsteht eines der spektakulärsten Projekte im Zentrum, die Markthalle von MVRDV, die sich im Bau befindet. Das bogenförmige Gebäude ist eine Kombination aus öffentlicher Markthalle und Wohnungen und mit seiner vollkommen neuen Typologie ein Beweis par excellence für die Experimentierfreude der Stadt.

Einige Schritte weiter steht das Bürogebäude von KCAP, Blaak 31, das durch seine Fächerform und die auskragenden Volumina mit der spektakulären stählernen Fachwerkkonstruktion einen markanten Abschluss bildet für den großen Marktplatz.

Das Wijnhaveneiland formt ein Bindeglied zwischen der Innenstadt und der Maas. Der Bebauungsplan stimuliert eine Balance zwischen Bestand und Neubau und garantiert trotz der hohen Kompaktheit ausreichend Transparenz und Besonnung. Eines der auffallendsten Gebäude ist der Red Apple – ebenso wie der Bebauungsplan entworfen von KCAP. Durch seine exponierte Lage, an drei Seiten umgeben von Wasser und seine auffallende rote Farbe zieht das Hochhaus, das Wohnungen, Büros, Läden und Restaurants enthält, die Blicke schon von weitem auf sich.

Durch die Verlagerung des Hafens weiter flussabwärts in Richtung Nordsee und die Umsiedlung von Industriegebieten an den Stadtrand entstanden nördlich und südlich der Maas große Flächen mit viel Potenzial. In diesen Gebieten ist es gelungen, eine gute Mischung zu finden zwischen hochwertiger Architektur und Raum für Pioniere.

Das Lloydquartier, ebenfalls nördlich der Maas, liegt an der Grenze zwischen der Innenstadt und Delfshaven und verteilt sich auf zwei früher durch den Hafen genutzte Piere: den Lloydpier, der eine gemischte Nutzung von Wohnen, Arbeiten und Ausgehen hat und den Müllerpier, der vor allem geprägt wird durch Wohnungsbau. Die zu Lofts umgebauten Lagerhäuser und das von Mei-Architekten umgebaute und mit Neubau ergänzte Elektrizitätswerk Schiecentrale formen eine herausragende Umgebung für ikonographische Neubauten wie zum Beispiel die Hochschule für Schifffahrt und Transport vom Büro Neutelings Riedijk. In der beeindruckenden Auskragung des 70 Meter hohen Gebäudes mit dem großen Fenster befindet sich das Konferenzzentrum mit Blick auf den Rotterdamer Hafen. Auf dem Müllerpier mit Mehrfamilienhäusern von Neutelings Riedijk, de Architekten Cie. und EGM Architekten beweisen die Rotterdamer wiederum Pioniergeist: Auf einem brachliegenden Stück Grund an der Spitze des Piers haben Anwohner einen Gemüsegarten angelegt, im Sommer grillen sie zusammen und genießen Gemüse aus dem eigenen Garten.

Das frühere Hafengebiet Kop van Zuid, südlich der Maas, ist seit 1996 durch die Erasmusbrücke, einem der Wahrzeichen der Stadt, mit dem Zentrum verbunden. Vor allem auf und um den Wilhelminapier haben internationale Toparchitekten neue Hochhäuser entworfen. Auch hier wechseln monumentale Lagerhäuser und spektakuläre Neubauten einander ab. Das höchste Bürogebäude der Niederlande, der Maastoren, ein Entwurf des niederländischen Büros Dam & Partners, mit seiner Natursteinfassade, die von dunkelgrau nach weiß verläuft, steht hier ebenso wie das höchste Wohnhochhaus von Rotterdam, der New Orleans, von Alvaro Siza, in dessen Sockel sich ein Kino befindet. Gegenüber baut OMA De Rotterdam. Das enorme Gebäude besteht aus drei dicht aneinander geschobenen Türmen und enthält eine Mischnutzung aus Büro, Hotel, Wohnen, Restaurants und Geschäften. Den Kopf des Piers markiert das altehrwürdige Hotel New York, der frühere Hauptsitz der Holland Amerikalinie, flankiert von Norman Fosters World Port Center und dem Wohnhochhaus Montevideo des Büros Mecanoo aus Delft.

Südlich des Wilhelminapier im Rijnhaven wird in den kommenden fünf Jahren ein schwimmender Ausstellungspavillon zu sehen sein, der aus futuristisch anmutenden aneinander gekoppelten transluzenten Halbkugeln besteht.

In all seinen Facetten kann man die Entwicklung und Dynamik von Rotterdam auf wunderbare Weise auf der Halbinsel Katendrecht zwischen dem Maas- und Rijnhaven erleben. Bis vor wenigen Jahren konnte man Gäste nur vor einem Besuch dieses verarmten Stadtteils warnen, sicherlich in den Abendstunden. Heute entsteht hier ein lebendiges Viertel mit Wohnen und Arbeiten.

Rund um den Deliplein findet man einen Mix von Szenerestaurants und hippen Läden. Eng verbunden mit dem Erfolg des Gebiets ist das legendäre Dampfschiff der Holland Amerika Linie, De Rotterdam. Das Schiff hat hier einen festen Liegeplatz erhalten und ist Restaurant, Hotel, Bürogebäude und Partyzentrum in einem. Noch dieses Jahr schließt sich der Kreis: Sobald durch die Brücke, die dieses Jahr fertig werden soll, das alte neue Zentrum von Katendrecht und der Wilhelminapier verbunden sind, kann man einen Spaziergang von dem umgenutzten Kreuzfahrtschiff zu dem früheren Hauptsitz der Holland Amerikalinie, dem Hotel New York machen.

Architektonisch interessant sind auch Einfamilienhäuser an der Walhallalaan, dort haben echte Pioniere, häufig Menschen aus der Kreativbranche mit einem Auge für das Potenzial des Gebiets, den Schritt in Richtung südlich der Maas gewagt, um dort nach eigenem Entwurf ein Haus zu bauen.

Dies wäre, wie Menschen die Rotterdam besser kennen, wissen, noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Das Image des Gebiets war einfach zu schlecht und erst die städtebaulichen Entwicklungen der letzten Jahre haben das Unmögliche möglich gemacht.

Rotterdam entwickelt sich in rasendem Tempo und wer nach wenigen Jahren wieder zurück kommt, kann erleben, dass wiederum einige Hochhäuser mehr entstanden sind und Pioniere neue Nischen erobert haben.

Die Autorin ist Architektin in Rotterdam und lehrt Architektur an der TU Delft.

Weitere Informationen im Internet:

www.rotterdam-archiguides.nl

www.rotterdambycycle.nl

http://en.nai.nl/

www.dutchdna2011.com

http://staedtereisen.holland.com/

Stephanie Appenzeller

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