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Vier Jahre arbeiteten Tykwer (l.) und die "Matrix"-Regisseure Lana und Andy Wachowski an der Verfilmung von "Cloud Atlas".

© X-Filme

Die Regisseure von „Cloud Atlas“: „Wir kannten uns schon von der Astralebene“

Bisher hat Tom Tykwer allein Regie geführt, „Cloud Atlas“ entstand zusammen mit den Wachowski-Geschwistern. Ein Gespräch.

Im Berliner Hotel Concorde herrscht geschäftiges Treiben. Deutsche und amerikanische Agenten regeln den Interviewverkehr zu „Cloud Atlas“. Fotografen, nationale und internationale Presse warten auf ihren Termin. Ein Hotelangestellter rollt frische Sandwiches heran, gedämpfte Stimmung wie im Sanatorium. In der Suite „Sorbonne“ geben die Regisseure Interviews, zwei Meter daneben, in der Suite „Raspail“, geben gerade die Schauspieler Ben Wishaw und James d’Arcy einer Runde von Boulevardjournalisten Auskunft. Vor der Tür warten geduldig die nächsten Gesprächspartner: Tom Hanks und Halle Berry. Kaum dass sie im Raum verschwunden sind, ertönt riesiges Gelächter – es ist der Tag nach „Wetten, dass..?“. Dann gibt es auch in der Suite „Sorbonne“ einen fliegenden Wechsel.

TOM TYKWER: Sorry, es hat ein bisschen gedauert. Wir sprengen auch bei Interviews ganz gern den Rahmen, weil wir versuchen, laufend neue Gedanken zu entwickeln. Lana hatte gerade einen Superlauf, und wir haben sie angefeuert.

LANA WACHOWSKI: Es ist schon ein Wunder, dass unser Drehbuch je fertig wurde, so viel wie wir geredet haben.

Film ist Zusammenarbeit, sagen Sie und wehren sich gegen das Bild vom einsamen Künstlergenie. Bei „Das Parfum“ haben Sie, Tom Tykwer, erzählt, dass Andrew Birkin bei der Arbeit am Skript mit dem Laptop in der Mitte saß, während Sie und Bernd Eichinger ihn von beiden Seiten zutexteten. Wie war das bei Ihnen drei?

TYKWER: Auf die Dreierkombination scheine ich abonniert zu sein…

… Ihr letzter Film hieß „Drei“.

TYKWER: Als Filmemacher musst du alles alleine entscheiden und führst im Grunde Dauermonologe. Das entspricht nicht meinem Naturell. Die Überwindung der Einsamkeit ist ein Motor all meiner künstlerischen Aktivitäten, deshalb arbeite ich gern mit den gleichen Leuten zusammen. Mit dem Kameramann Frank Griebe oder dem Ausstatter Uli Hanisch verbinden mich langjährige Freundschaften. Nun fand ich es spannend, mich in dieses dialoggetriebene kreative System der Wachowskis einzuklinken.

LANA W.: Zu dritt Regieführen ist nicht kompliziert, es ist ohnehin eine hochgradig soziale Angelegenheit. Aber das Schreiben zu dritt war eine Herausforderung, denn Andy und ich spielen seit unserer Kindheit zusammen und haben uns das Spielerische beim Schreiben bewahrt.

Wie sah er denn konkret aus, der Trialog beim Drehbuchschreiben?

LANA W.: Zuerst waren wir in Costa Rica und versuchten herauszufinden, ob man David Mitchells Romanpalindrom mit sechs ineinandergeschobenen Geschichten in eine filmische Struktur übersetzen kann. Wir kauften alle Karteikarten von Costa Rica auf, 400 bis 500 Stück. Es waren sechs verschiedene Sorten, toll, das war kein Zufall! Dann schrieb jeder seine Lieblingsszene auf, weil wir herausfinden wollten, ob wir dasselbe im Roman mögen. In der nächsten Phase mussten wir kürzen, einen Erzählfluss kreieren. Ich führte das Ergebnis auf, wie ein Hörspiel, am Anfang war es schrecklich holprig.

ANDY WACHOWSKI: Aber es gab schon diese Momente voller Energie…

TYKWER: … und einige Übergänge, die fast magisch waren. So wollten wir es überall hinbekommen, dieses Driften zwischen den Genres und Jahrhunderten.

LANA W.: Aufregend war, dass unser Spiel mit den Karteikarten genau dem entsprach, worin schon Sergej Eisenstein das Wesen des Kinos ausmachte: im bewussten Gegenüberstellen von Szenen. Zwischen sechs Geschichten hin- und herzuspringen, das bedeutet, die Montage noch einmal neu zu erfinden. Wir merkten, dass es möglich ist, über das klassische Geschichtenerzählen hinauszukommen.

TYKWER: Wir konnten eine Geschichte in der Zukunft beginnen und mit einer anderen Figur in der Vergangenheit beenden. Es ist faszinierend, die Fesseln des linearen Erzählens abzustreifen.

"Als Filmemacher hast du nie Zeit für deine Freunde"

Was ist eigentlich gegen das klassische Erzählen einzuwenden? Nicht nur in „Lola rennt“, auch in der „Matrix“-Trilogie ging es um die Entgrenzung von Zeit und Raum.

LANA W.: Das klingt jetzt so negativ. Nein, ich liebe klassische Romane und die alten Filme. Manche sagen jetzt: Tom Hanks mit all diesem Make-up und den Gesichtsprothesen, das ist doch unglaubwürdig, purer Fake! Wieso bitte ist es glaubwürdiger, dass er in zig Filmen die verschiedensten Typen spielt oder dass Denzel Washington in „Flight“ ein Flugzeug kopfüber fliegt? Jeder Roman, jeder Film ist eine Einladung, dass du deine Weltsicht versuchsweise aufgibst.

Das Internet hat uns an ein anderes Tempo beim Wechsel zwischen den Welten gewöhnt. Wir klicken den ganzen Tag hin und her. Ist „Cloud Atlas“ der Film für die Internetgeneration?

TYKWER: Es gibt die jüngeren, postmodernen Zuschauer, die vom täglichen Umgang mit den Onlinemedien Simultanität gewohnt sind. Die freuen sich, dass es jetzt einen Film gibt, der dem entspricht. Und es gibt das ältere, genreerfahrene Publikum, das wie wir mit Kubricks „2001“ oder den Kinoepen von David Lean aufwuchs und offen für Experimente ist.

LANA W.: Die sagen zu uns, so ein Film hat uns lange gefehlt. Und die Jüngeren sagen, auf so was haben wir gewartet. Weil sie die Überwindung traditioneller Barrieren aus dem Internet und Videospielen kennen.

Haben Sie Tom Tykwer kennengelernt, als Sie in Berlin „Speed Racer“ drehten?

ANDY W.: Wir haben uns schon früher auf der Astralebene zwischen Berlin und Chicago getroffen und uns in unseren Filmen geheime Botschaften geschickt. Allein „Lola rennt“! Als Filmemacher weiß man, wie schnell man in Bildern erzählen kann, aber das hier war ein RamonesSong, one, two, three, four… Ein unglaubliches Tempo! Und dann kam Tom unter dem Vorwand auf uns zu, er hätte einen Song für unser „Matrix“-Sequel. Es war Liebe auf den ersten Blick.

TYKWER: Als Filmemacher hast du nie Zeit für deine Freunde. Deshalb habe ich 1994 die Firma X-Filme mit Wolfgang Becker, Dani Levy und Stefan Arndt gegründet, damit wir uns öfter sehen. Nicht mal das hat richtig geklappt. Wenn Filmemacher Zeit miteinander verbringen wollen, muss man schon zusammen drehen. Zumal Film wie gesagt eine Gemeinschaftskunst ist. Da sitzen wir im Schneideraum mit dem Cutter Alexander Berner, vier Leute, die sich den Kopf über die bestmögliche Lösung zerbrechen. Wir haben uns geschworen, keine Szene durchgehen zu lassen, an der auch nur einer von uns zweifelt. Und egal wie abseitig die Ideen der anderen erschienen, wir nahmen sie ernst.

Sie haben sich nie gestritten?

ANDY W.: Unser Cutter war meist schneller darin, einen Vorschlag mal eben auszuprobieren, als dass wir ihn ausdiskutieren konnten. Das einzige, was die Arbeit im Schneideraum verlangsamte, war seine Nikotinsucht.

Das Schwierigste war ja offenbar die Finanzierung des Films. Wie haben Sie die 100 Millionen Dollar aufgetrieben?

ANDY W.: Es war unglaublich, denn die Besetzung stand ja schon. Wir hatten ein Filmprojekt mit Tom Hanks, Halle Berry, Ben Wishaw, Hugh Grant etc. und die großen Studios sagten Nein.

Aus dem Bösewicht wird ein Guter - der die Welt rettet

Wie haben Sie „Cloud Atlas“ denn gepitcht, also kurz erklärt, worum es geht?

LANA W.: Kunst widersteht der Reduktion, aber um den Film zu verkaufen, mussten wir ihn auf ein Produkt reduzieren. Jetzt, wo wir ihn ins Kino bringen, ist es wieder so, vor allem bei TV-Interviews: Bitte, den „Cloud Atlas“ in einem Satz. Die Wiederkehr des Immergleichen...

ANDY W.: …, denn wir kannten das vom ersten „Matrix“-Film. Damals endete das meistens so: Verstehe, es geht um Keanu Reeves in einem Cyberpunk-Film, ist dasselbe wie „Johnny Mnemonic“, hat nicht funktioniert, interessiert uns nicht.

TYKWER: Wir hatten anfangs diese Metaerzählung: Wie wäre es, wenn einer der fiesesten Charaktere im Roman, Dr. Goose auf dem Sklavenschiff im 19. Jahrhundert, dieselbe Figur wäre und von demselben Schauspieler dargestellt würde wie der am Ende edelste Charakter, Zachry, der Ziegenhirte im 24. Jahrhundert? Wenn dieser von Tom Hanks gespielte Mann sich im Lauf der Zeit aus seiner Bösartigkeit hinauskatapultieren würde, indem er immer wieder Halle Berry trifft und sich in der fernen Zukunft endlich in sie verliebt? Das brachte uns auf den Pitch. Bitte, Lana, das musst du jetzt sagen.

LANA W.: Wir gingen also wieder zu Warner Brothers…

ANDY W.: …, die „Cloud Atlas“ mit „The Fountain“ verglichen. Wieder so ein Film, der von Jahrhundert zu Jahrhundert springt und von Unsterblichkeit handelt, das konnte in ihren Augen nur ein Flop werden. Also sagten wir diesmal:

LANA W.: „Tom Hanks ist ein Bösewicht, trifft Halle Berry, wird ein guter Mensch und rettet die Welt.“ Das hat prima funktioniert. Wir haben uns damit getröstet, dass so ein Satz unseren Film weniger auf ein Produkt reduziert, als dass er ihn zugänglicher macht, für Geldgeber und fürs Publikum. Wobei wir bei aller Philosophie ja reichlich klassisches Kino bieten, Romanzen, Verfolgungsjagden, Komik.

TYKWER: Einfachheit kann etwas Schönes sein. Es gibt ja auch Unterkomplexes im „Cloud Atlas“. Nach einer Stunde dürfte jeder Zuschauer begriffen haben, dass die Figur von Hugo Weaving…

… der böse Mr. Schmidt aus „Matrix“...

TYKWER: … auch Jahrhunderte später kein netter Mensch wird.

Glauben Sie an Seelenwanderung, oder ist das ein tolles Gedankenspiel für den Film?

LANA W.: Wenn du als Geschichtenerzähler nicht ernst nimmst, was du schreibst oder woran deine Figuren glauben, wird es unglaubwürdig. Der Roman enthält eine Fülle von undogmatischen Philosophien, er hat eine ontologische Offenheit, jeder kann sich einklinken. Und der Film zitiert die weltliche Deutung José Saramagos, der gesagt hat, die Natur der Unsterblichkeit bestehe darin, dass die Konsequenzen unserer Worte und Taten sich in alle Ewigkeit fortsetzen. Eine schöne Art zu beschreiben, was andere Karma nennen. Und wer an die Wiedergeburt glaubt, findet einen anderen Zugang.

TYKWER: Man kann es auch den genetischen Code nennen. Die Schauspieler mochten das sehr. Halle Berry meinte, sie müsse sich die Vorgeschichte und die Zukunft ihrer Charaktere sonst immer ausdenken. Diesmal konnte sie sie spielen.

LANA W.: Oder nehmen Sie die Szene, in der Tom Hanks dem Kannibalen Hugh Grant die Kehle durchschneidet. Da flackert in seinen Augen der böse Dr. Goose auf und all die Schuld, die er in Jahrhunderten auf sich geladen hat.

"Dein Menschsein überschreitet Zeit und Raum, deinen Stamm, deine Spezies"

Das wäre auch ein toller Pitch: Tom Hanks ist ein Bösewicht, aber am Ende schneidet er Hugh Grant die Kehle durch.

ANDY W.: Hanks killt Grant, das gab es im Kino noch nie! (Gelächter)

Als Sie anfingen, an „Cloud Atlas“ zu arbeiten, wurde Barack Obama ins Präsidentenamt eingeführt. Jetzt wurde er gerade wiedergewählt. Registrieren Sie die Wirklichkeit noch, wenn Sie mit Karteikarten auf Costa Rica sitzen?

LANA W.: Unsere Auffassung von Realität beschränkt sich gern auf das Hier und Jetzt. Ich sitze im Hotelzimmer, mit Wattepads auf den Augen, das ist mein süßes epikureisches Leben. Unser Film sagt, dieses süße epikureische Leben hat Folgen. Dein Menschsein überschreitet Zeit und Raum, deinen Stamm, deine Spezies. Es gibt eine Verbindung zwischen der Baumwollplantage des 19. Jahrhunderts und der Fabrik, in der heute die Wattepads hergestellt werden, eine Verbindung zwischen denen, die unterdrückt sind, und zwischen den Weavings und Hugh Grants dieser Welt.

Sind Sie optimistisch? Zu Beginn der Finanzkrise konnte man meinen, die kapitalistische Welt werde sich ändern. Aber die Schmidts sind alle noch da.

TYKWER: Das Buch endet mit einer philosophischen Debatte über den Sinn und die Vergeblichkeit des Kampfs für eine bessere Welt. Mit dem Einwand, dein Leben sei doch nur ein Tropfen in einem grenzenlosen Ozean. Aber der allerletzte Satz lautet: Was ist ein Ozean anderes als eine Vielzahl von Tropfen? In diesem Sinne bin ich optimistisch. Es ist gar nicht möglich, den Kampf nicht wenigstens zu versuchen.

ANDY W.: Aufzugeben hätte bedeutet, dass „Cloud Atlas“ nie zustande gekommen wäre...

LANA W.: Jede Kunst ist ein Akt des Optimismus...

Lassen Sie diesen Optimismus auch angesichts des Risikos von „Cloud Atlas“ walten? Am Startwochenende in den USA hat Ihr 100-Millionen-Dollar-Independentfilm weniger als zehn Millionen Dollar eingespielt. Macht Sie das nervös?

ALLE DREI: Der Film ist die Belohnung.

LANA W.: Natürlich wollen wir unseren Investoren das Geld zurückzahlen, denn sonst gibt es eines Tages im Kino nur noch die 27. „Twilight“-Folge und den 99. BondFilm. Sartre hat gesagt, alle materialistischen Philosophien reduzieren Kunst auf das Objekthafte. Genau das geschieht, wenn man „Cloud Atlas“ am Einspielergebnis bemisst. So funktioniert Unterdrückung, so will der Markt es regeln: Er reduziert Menschen auf Zahlen und Bilanzen. Aber die Kunst existiert jenseits der Frage, ob man mit ihr Geld machen kann. Von „Moby Dick“ haben sich anfangs nur 100 Exemplare verkauft. Aber was für eine Kraft hat Melvilles Roman mit seiner Montage verschiedener Erzählformen, gemischt mit historischen und philosophischen und obsessiv psychologischen Exkursen! Ohne „Moby Dick“ würde es Joyce’ „Ulysses“ nicht geben, die gesamte postmoderne Literatur, auch „Cloud Atlas“ nicht. Es ist doch armselig, „Moby Dick“ an seiner Startauflage zu bemessen.

TYKWER: Sehen Sie, jetzt hat es Lana wieder davongetragen.

– Das Gespräch führte Christiane Peitz.

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