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Berliner Parks (14): Hasenheide: Der gerupfte Schwan

Sie ist die Proletarierin unter Berlins Grünflächen: ruppig, rau, trotzdem herzlich, etwas verwildert und garantiert nicht gentrifizierbar. Eine Liebeserklärung an die Hasenheide.

Turnvater Jahn sieht merkwürdig aus. Der Kopf des Bronze-Manns ist unter einem Astronautenhelm verschwunden, ein böser Scherz, entpuppt sich der Helm bei genauerem Hinsehen doch als festgeklebter blauer Gymnastikball, aus dem die Silikonmasse auf Jahns Gehrock heruntertropft. Es geschah in der Nacht vom 22. auf den 23. Oktober, schon viermal in diesem Jahr wurde das Denkmal für den Pionier der Leibesertüchtigungen verunstaltet. Bernd Kanert seufzt. Nicht leicht, den Kopfputz zu entfernen, ohne die Statue zu beschädigen.

Als Leiter des Neuköllner Grünflächenamts ist Kanert der oberste Dienstherr der Hasenheide. Seit über 25 Jahren arbeitet er hier. Wenn einer sich auskennt auf den 50 Hektar Grünfläche zwischen dem besseren Teil von Kreuzberg und dem Problemkiez Nord-Neukölln, zwischen Columbiadamm und dem Boulevard Hasenheide, dann er. Bernd Kanert weiß über die gut 50 Baumarten Bescheid, die Eschen und Eiben, Birken und Linden, den Berg- und den Spitzahorn und natürlich die Eichen, deren Laub für den wunderbar modrigen Herbstgeruch sorgt. Er spricht pragmatisch über die „BTM-Problematik“: BTM wie Betäubungsmittel – bekanntlich ist die Hasenheide Berlins größter Drogenumschlagplatz, in den Büschen warten Dutzende Dealer auf Kundschaft. Und er verteidigt die Gepflogenheit der Besucher, die rund 200 Parkbänke munter auf die Wiesen zu tragen. Solange sie nicht demoliert werden, geht das in Ordnung. Und solange man drauf sitzen kann, dürfen auch ramponierte Bänke bleiben und werden nicht entsorgt.

Bernd Kanert hat andere Sorgen. Das Geld ist knapp im Bezirk, Baumschnitt, Rasenmähen und Spielplatzwartung werden mittlerweile von Auftragsfirmen erledigt, seine Leute können sich nur noch um die „Havarien“ kümmern, um Vandalismus wie beim behelmten Turnvater Jahn. Ein Park, der nicht gepflegt wird, verwahrlost schnell, sagt er. Zumal hier nicht mehr wie früher die Streetworker unterwegs sind.

Die Bäume ficht das nicht an. Nicht die mächtige, von einer runden Holzbank umfriedete Jahn-Eiche an der Fontane-, Ecke Karlsbader Straße, mit 350 Jahren der Methusalem hier. Das leuchtende Herbstlaub der anderen Baumveteranen im Südostteil des Parks trotzt dem grauen Oktoberhimmel, sie haben gut 200 Jahre auf dem Buckel, mehr nicht. Denn der Weidegrund fürs Bauernvieh war im 17. Jahrhundert zum kurfürstlichen Jagdrevier samt Hasenzwinger umgewandelt worden, bis Preußens Militär das Gelände für einen Schießplatz abholzen ließ.

Das schafft Platz, bis heute. Für die Bongotrommler, Frisbeewerfer und Sonnenanbeter, Tai-Chi-Jünger und Multikulti-Kicker wie das Little Africa Allstar Team. Auch die Grillfreunde kamen gerne hierher, bis die Tempelhofer Freiheit auf der anderen Seite des Columbiadamms attraktivere Grillplätze bieten konnte. Die schnelleren Sportarten sind ebenfalls abgewandert, einschließlich der Kids, die Drachen steigen lassen. Dank der Öffnung des Flughafengeländes hat auch die Hasenheide neue Freiheiten gewonnen. Der Park kommt wieder zu sich.

Die Bauern prozessierten seinerzeit übrigens gegen den Kurfürsten. Das ist unsere Weide, klagten sie vor Gericht. Ein echter Volkspark ist die Hasenheide bis heute, ein Alltagspark mit

Gebrauchswiesen, Spieltischen für Skatdrescher und Schachspieler, mit Schilfteich, Tiergehege und großen Spielplätzen, Rosengarten und Rhododendronhain, dem unverwüstlichen Minigolfplatz, der beliebten, betonüberdachten Hasenschenke aus den fünfziger Jahren und dem Freiluftkino im früheren Naturtheater mit seinen 1100 Plätzen.

Zu Beginn der Sommerferien werfen die Anrainer regelmäßig Kaninchen und Meerschweinchen

Berlin ist hier sehr berlinerisch: ruppig, rau, trotzdem herzlich, etwas verwildert und garantiert nicht gentrifizierbar. Dafür sorgen schon die Neuköllner Maientage mit Karussells, Kirmesbuden und Fassanstich durch Bürgermeister Buschkowsky. Nach dem Rummel ist die Wiese in der Senke in schöner Regelmäßigkeit zertrampelt, versteppt. Die Senke, an deren Ende Rasse-Vierbeiner und Straßenköter im Hundeauslaufgebiet tollen, erinnert bis heute ein wenig an das Urstromtal der Spree. Die Hasenheide, sagen die Geologen, liegt an der Geländekante.

2006 wurde bei einer Drogenrazzia der Polizist Uwe Lieschied erschossen, aber in der Regel geht es hier nicht gewalttätig zu. Meist werden weiche Drogen verkauft, Haschisch und Marihuana, aber auch Heroin gibt es hier. Die Dealer bleiben diskret und lassen sich so gut wie nie mit größeren Mengen erwischen. Schläfrig beäugen zwei Trampeltiere hinter ihrem Zaun die beiden Schwarzafrikaner an der Wegkreuzung, die sich gerade mit Pappbecherkaffee aufwärmen.

Auch an einem trüben Werktag tummeln sich Jogger, Radler, Walker und Spaziergänger im Park. Ein paar Mountainbiker kurven um junge Mütter herum, die zwecks Rückengymnastik samt Kinderwagen am Wegrand aufgereiht stehen. Die muschelkalksteinerne Trümmerfrau schaut in die Ferne, jemand hat der Malocherin mit Hammer und Kopftuch Gräser in den Schoß gelegt. Früher stand sie auf der Rixdorfer Höhe, dem 68 Meter hohen Trümmerberg im Westen,aber sie wurde ständig beschmiert. Also setzte man sie um, an den Nordausgang zur Graefestraße. Seitdem verirrt sich kaum noch jemand auf den Hügel: Das hochgewachsene Grün verwehrt jeden Weitblick.

Ein leichter Nieselregen setzt ein. Vor der Hasenschenke trinken zwei Rentner ihr Bierchen, ein Eichhörnchen glotzt, am Teichrand planscht eine Blaumeise. Aus dem Schilf tauchen zwei Schwäne auf, einer zuckt mit dem Flügel, nackte Federstiele ragen heraus. Nichts Schlimmes, sagt Bernd Kanert, der Schwan ist nur ein bisschen behindert. Ein gerupfter Schwan, typisch Hasenheide. Auch die Störche im Tiergehege sind behindert, sie stammen aus dem Storchendorf Linum und genießen Asyl. Ein Herz für Versehrte hatte der Park schon immer. So meldete der Tagesspiegel am 15. Juni 1969, demnächst werde die „Freiluftliegestätte“ eröffnet, „die nur Schwerstbeschädigten und Rekonvaleszenten mit ärztlicher Bescheinigung zur Verfügung steht“.

Zu Beginn der Sommerferien werfen die Anrainer regelmäßig Kaninchen und Meerschweinchen über den Zaun, damit die Tierpfleger sich kümmern. Das war schon so, als das Gehege mit den Pfauen, Rehen und Heidschnucken noch vom Bezirk verwaltet wurde. Seit 2009 kümmert sich das Private Museum für Tierkunde, beherbergt neuerdings Lamas, Emus und einen Esel, ein Streichelzoo wurde gebaut. Und am Wochenende liegt das Glück zahlreicher Mädchen auf dem Rücken der Ponys, die im Kreis herumgeführt werden. Zurzeit wird kräftig gewerkelt, neue Volieren entstehen und ein InfoPavillon. Je mehr Tierliebhaber, desto weniger Drogenkunden, so die Idee.

Schon um 1800 diente die Hasenheide, die Proletarierin unter Berlins Parklandschaften, dem Volksvergnügen. Damals siedelten sich Gartenlokale an, Tanzsäle, Kegelbahnen und Tabagien, in denen geraucht werden durfte. Dann kamen die Turner, vor 200 Jahren errichtete Friedrich Ludwig Jahn im Park Preußens ersten Turnplatz, er galt als Deutschtümler, wurde verhaftet, aber nach dem Ende des Verbots ertüchtigten die Männer sich wieder im Park. Die von Turnvereinen aus der ganzen Welt gestifteten Ehrentafeln unter seinem Denkmal künden davon.

An sonnigen Wochenenden kommen bis zu 30 000 Leute, hat die Humboldt- Uni gezählt, Verweildauer im Schnitt eine Stunde. Manche verbringen den ganzen Sommer hier. Die

Filmemacherin Nana Rebhan hat 2009/10 eine Doku über sie gedreht, eine Liebeserklärung an die Nudisten und Fassbrausetrinker, Sportskanonen und Hundehalterinnen. Hartz-IV-Park wird die Hasenheide manchmal genannt oder Deutschlands größtes Hundeklo. Das schert sie nicht weiter, seinen schlechten Ruf hat der Park bislang gut überlebt. Der Ginkgo-Baum, den sie auf dem neuen Lehrpfad gepflanzt haben, kann 1000 Jahre alt werden.

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