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Einstürzende Neubauten: Der Lieblingslärm des lieben Gottes

Schuften fürs Weltkulturerbe: Blixa Bargeld und seine Spießgesellen feiern in Berlin das 30-jährige Jubiläum der Einstürzenden Neubauten.

Von Jörg Wunder

Wenn man Westdeutschen die West-Berliner Subkultur vor dem Mauerfall erklären möchte, muss man ihnen nur alte Songs der Einstürzenden Neubauten vorspielen. Als Blixa Bargeld und seine Spießgesellen 1980 mit radikal-dilettantischem Gelärme aus verschimmelten Kellerlöchern gekrochen kamen, perpetuierten sie nicht nur den Bürgerschreck-Gestus des Punk, sondern schufen auch – eher zufällig – die adäquate Klangkulisse für die hermetische Frontstadt-Szene, die sich in einem postindustriellen Kiez-Utopia eingerichtet hatte.

Damals wäre jeder ausgelacht worden, der prophezeit hätte, dass die Neubauten zu einer der langlebigsten deutschen Bands werden würden: Ausgeschlossen bei dem selbstzerstörerischen Furor, mit dem sie nicht nur bei Konzerten zu Werke gehen! Doch da stehen sie nun und können in der ausverkauften C-Halle ihr 30-jähriges Bandjubiläum feiern: sechs nicht mehr ganz junge Herrschaften, von denen immerhin drei, Sänger Bargeld, Bassist Alexander Hacke und Geräuschemacher Andrew Unruh, seit den Anfangstagen dabei sind.

Auch die Späteinsteiger, Schlagzeuger Rudolf Moser, Gitarrist Jochen Arbeit und Keyboarder Ash Wednesday, sind nach einem Generationswechsel schon über ein Jahrzehnt an Bord. So wurde Kontinuität zu einer der hervorstechendsten Eigenschaften einer Band, die für den Moment zu brennen schien und stattdessen zu einer im In- und Ausland respektierten Institution avancierte.

Mit diesem Status, der ihren ursprünglichen Avantgarde-Anspruch konterkariert, gehen die Neubauten souverän um. Nie hat man das Gefühl, hier versuchten ein paar Altrocker das Rad der Zeit zurückzudrehen. Allerdings haben Blixa und Co. ihren Fokus im Lauf der Jahre verändert, weg von den schroffen Industrial-Collagen hin zu einem schwerblütigen Romantizismus, der in Gestalt von düsteren Balladen wie „Nagorny Karabach“, „Susej“ oder „Ein leichtes leises Säuseln“ einen beträchtlichen Teil des Konzerts ausmacht.

Dabei erweist sich, welch grandioser Sänger Blixa Bargeld ist: Im schwarzen Anzug barfuß über die Bühne schreitend, deklamiert er mit großer Geste und Inbrunst sinnschwere Textzeilen, brummelt sich in tiefste Bassregionen hinab und schwingt sich elegant in höhere Register empor.

Seine Gesangsmanierismen haben von Ben Becker bis Rammsteins Till Lindemann etliche deutsche Interpreten beeinflusst, ohne dass sich einer mit ihm messen könnte – und das nicht nur, weil Bargeld über eine unnachahmliche Extrawaffe verfügt: einen Schrei im schrillsten Diskant, der Glas zerspringen lassen könnte.

Wie sehr den Einstürzenden Neubauten die Historisierung ihrer alten Stücke bewusst ist, wird klar, als von Fans eingeforderte Lieblingssongs wie „Sehnsucht (zitternd)“ oder „Yü Gung“ lediglich als selbstironische Zitate angespielt werden. So ist es ein kluger Schachzug, dass sie bis auf wenige Ausnahmen – das majestätische „Haus der Lüge“ und den zur zehnminütigen Berlinmeditation geweiteten 50-Sekunden-Kracher „Draußen ist feindlich“ vom ersten Album „Kollaps“ – auf die vermeintlichen Klassiker der frühen Jahre verzichten.

Was nicht bedeutet, dass sie ihren Kulturauftrag nicht ernst nehmen würden. Wenn die Einstürzenden Neubauten ihrem Ruf gerecht werden und grundmauernerschütternden Lärm fabrizieren, gehen sie mit streng handwerklichem Ethos zu Werke. Vermutlich könnte Andrew Unruh all die schnarrenden, scheppernden, kratzenden, schabenden Geräusche auch mit einem Sampler erzeugen. Doch es wäre eben kein Neubauten-Konzert, stünden nicht seltsame Eigenbau-Instrumente auf der Bühne.

Eine Schütte, aus der klirrende Metallstäbe gekippt werden, die obligatorische Schleifmaschine, ein Hamsterkäfig, eine Tüte mit Herbstlaub, diverse Plastikkanister oder ein Abflussrohr-Vibraphon. Dazu drischt Rudolf Moser stoisch auf Trommeln, Stahlkabeln und Eisenplatten herum, während Alex Hacke, der mit Feinripp-Unterhemd und Dschingis- Khan-Bart den Tattoo-Proll markiert, knurrend verzerrte Bassläufe pumpt und Jochen Arbeit und Ash Wednesday zerscherbte Gitarrenakkorde und giftige Sequenzer-Schlieren verrühren.

Zum Vergnügen wird der Auftritt, weil dem Treiben bei aller weltkulturerbehaften Bedeutungsschwere etwas Verspieltes anhaftet: erwachsene Männer, die sich im vollen Bewusstsein ihres Tuns der Lächerlichkeit stellen. Durch diese Risikobereitschaft verschiebt sich die endgültige Musealisierung der Einstürzenden Neubauten bis auf Weiteres. Und man verzeiht ihnen gern, wenn Blixa Bargeld das begeisterte Publikum nach zweieinhalb Stunden mit einer ordentlichen Portion Größenwahn verabschiedet: „Wenn ihr eines Tages eurem Schöpfer gegenübersteht, könnt ihr ihm sagen: ,Ich habe deine Lieblingsband gesehen.’“

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