zum Hauptinhalt

Berliner Hip-Hop-Gipfel: Liebe ist auch nur ein Reim

"Wir beaten mehr": Beim deutschen Soul- und Hip-Hop-Gipfeltreffen ist die Berliner O2-World erfüllt von Verbrüderung und Harmonie. Kitsch wird von Schmackes abgelöst.

„Versöhnen statt spalten“ – das Motto des Protestanten Johannes Rau scheint auch den gläubigen Christen Xavier Naidoo bei seiner Idee für ein deutsches Soul- und Hip-Hop-Gipfeltreffen beseelt zu haben. Statt des ewigen Aufeinander-Rumgehackes, durch das sich vor allem die Rapper gern hervortun, setzt „Wir beaten mehr“ auf die positive Kraft des gemeinsamen Gesangs. Und so ist die fast ausverkaufte Berliner O2-World erfüllt von Harmonie und nachweihnachtlicher Friedfertigkeit. Es wird viel gelächelt und umarmt auf der Bühne, die Zeremonienmeister Naidoo in ein großes Gemeindehaus verwandelt.

Mit seinen Söhnen Mannheims macht er den Anfang. Nach zwei Songs werden sie abgelöst von Max Herre, der mit Akustikgitarre, Bart und Wollmütze einen gewissen Hillbilly-Charme verbreitet. Sein Song „Wo rennen wir hin“ will nicht recht zünden – anders als der alte Freundeskreis-Titel „Leg dein Ohr auf die Schiene der Geschichte“, bei dem Xavier Naidoo die zweite Stimme übernimmt. Es ist ein Abend der Duette. Naidoo, der sich in den knapp drei Stunden zwei Mal umzieht und dabei immer unschicker wird, ist in zahlreichen Kombinationen zu hören. Zusammen mit Cassandra Steen schraubt er das Schnulzigkeitsniveau im ersten Konzertdrittel stark nach oben. Ich + Ich-Sänger Adel Tawil kann es mühelos halten und zeigt immense Bühnenpräsenz. Man merkt, dass er mit Hallen dieser Größe vertraut ist. Als sich Sido an seine Seite gesellt, um „Der Himmel kann warten“ aufzuführen, geht ein Begeisterungsblitz durch die Menge, die umgehend aus der Pop-Schlagereinlullung erwacht. Anschließend verschwindet Sido gleich wieder, was mit Murren quittiert wird. Er ist der einzige, der nur ein Stück vortragen darf. Ob das sein Konkurrent Azad veranlasst hat? Der hatte sich vor einigen Jahren mal heftig mit dem Berliner geprügelt. Jetzt tritt Azad direkt nach Sido auf und bekommt deutlich mehr Bühnenzeit.

Eine Enttäuschung ist die Performance von Joy Denalane, einer von lediglich zwei Frauen im „Wir beaten mehr“-Programm. Sie entfaltet zwar als Erste ein überzeugendes Soul-Feeling, doch weshalb sie mit Xavier Naidoo „You’ve Got a Friend“ covert, bleibt ihr Geheimnis. Der einzige englischsprachige Song des Abends steht völlig unverbunden im Raum. Die sechsköpfige, kaum geforderte Begleitband darf eine Pause einlegen, als Kool Savas die Bühne betritt. Die Krone für den besten Rapper des Abends holt der Ex-Berliner sich quasi im Vorbeigehen ab. „Immer wenn ich rhyme“ und „Futurama“ sind Höhepunkte des Mini-Festivals, das in seiner zweiten, weniger kitschlastigen Hälfte mitreißender wirkt.

Das liegt auch an Jan Delay, der zur Begrüßung ins Mikro näselt: „Jetzt bring ich hier mal ein bisschen Schmackes in die Bude.“ Der kleine Hamburger hopst im karierten Anzug, mit Hütchen, Schlips und Sonnenbrille ganz vorne auf dem Laufsteg herum. Er knallt sein größtes Ass in den Raum: „Klar“, diesen funky Überhit, mit dem er vor vier Jahren seinen Stilwechsel in Richtung Tanzmusik einleitete. Er funktioniert immer noch prächtig – selbst wenn die Bläser vom Band kommen.

Den Abschluss darf dann Marteria machen, den Delay als Berlins einzigen Popstar ankündigt. Das ist natürlich stark übertrieben, was spätestens bei Peter Fox‘ umjubeltem Erscheinen deutlich wird. Zusammen singen sie „Sekundenschlaf“, wobei der Zeitlupen-Flow des Neu-Kreuzbergers Marteria verblasst neben dem von Fox gesungenen Refrain. Aber das macht gar nichts an diesem Abend der Verbrüderung. Alle haben sich lieb, und Xavier Naidoo hat seine gute Tat für diese Woche vollbracht. Nadine Lange

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false