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Unveröffentlichte Bilder: Marilyn Monroes Fotograf: Der letzte Augenzeuge

Der Amerikaner Lawrence Schiller fotografierte Marilyn Monroe kurz vor ihrem Tod – und hat einige Aufnahmen bis heute gut gehütet. Jetzt sind sie erstmals zu sehen.

Von Barbara Nolte

Marilyn Monroe lächelt halbnackt und überlebensgroß von der Wand. Davor steht ein kleiner, massiger Mann in fliederfarbenem Sommerhemd, der missmutig schaut, beinahe lauernd, vielleicht, weil die Zuschauerreihen so spärlich besetzt sind. Nur Hartgesottene setzen sich an einem lauen Sommerabend wie diesem in einen Keller, selbst wenn es der mit dunkelroten Samtsesseln bestuhlte Keller des Soho House ist. Nein, sagt der Mann mit leiser Stimme, die Monroe habe ihn nicht besonders beeindruckt.

Lawrence Schiller, 2012.
Lawrence Schiller, 2012.

© David Margolick / Taschen

Der kleine Mann heißt Lawrence Schiller. Er zählte in den 60ern zu den profiliertesten Magazinfotografen der USA. Damals, sagt Schiller, sei es für ihn ein ganz normaler Auftrag gewesen, die Schauspielerin am Set von „Something’s Got to Give“ abzulichten. Keiner konnte ahnen, dass Marilyn Monroe nur wenige Wochen später sterben würde, mit nur 36 Jahren, und Schillers Fotos fortan historischen Wert besäßen. „Monroe eröffnete mir die Möglichkeit, meinen Geschäftssinn einzusetzen“, sagt Schiller – und gibt sich betont wenig betört von der Schauspielerin. Einmal nahm sie ihn mit in ihrem Sportwagen, Champagner einkaufen. Monroe erzählte Schiller von ihren Sorgen, Schiller entwarf derweil Vermarktungsszenarios für seine Fotos.

Einige Negative hat er lagern lassen - wie guten Wein

Eines verkaufte er für 25.000 Dollar an den „Playboy“. Eine aus heutiger Sicht niedliche Summe. Mittlerweile bringen Fotos von Stars, die durch die ganze Welt zirkulieren, zweistellige Millionenbeträge. Doch noch nie zuvor hatte der „Playboy“ so viel Geld für ein Bild bezahlt. Einige der Negative hat Schiller ein halbes Jahrhundert lang in seinem Archiv ruhen lassen – wie guten Wein, der an Wert gewinnt, wenn man die Geduld hat, ihn aufzuheben. In einer Sonderedition hat der Taschen- Verlag jetzt unter anderem 63 dieser noch nie veröffentlichen Fotos herausgebracht. 750 Euro kostet das Buch „Marilyn & Me“.

Zum Interview bittet Schiller in sein Hotelzimmer. Er sitzt an einem hölzernen Schreibtisch, auf dem ein bis auf einige Kiwischeiben leer gegessener Teller steht. „Ich habe Filme mit Maximilian Schell, Klaus Maria Brandauer und Hanna Schygulla gemacht“, eröffnet er das Gespräch. „Ich war daran beteiligt, russische Spione auszubilden. Ich hatte mit Atomkraftwerken und Erdbeben zu tun.“ Eine obskure Aufzählung, die er ein wenig lustlos vorträgt. Mitunter bleibt er vage. Nach dem Supergau in Fukushima habe ihn „eine der größten Firmen der Welt“ nach Japan einfliegen lassen, damit er Manager im Umgang mit der Presse schulte.

Schiller begreift die Zeitgeschichte als eine Ware

Die Badende. Gerade auch erotische Fotos der Monroe machen jede Bildersammlung zur Publikumsattraktion.
Die Badende. Gerade auch erotische Fotos der Monroe machen jede Bildersammlung zur Publikumsattraktion.

© Lawrence Schiller, Courtesy Taschen

Lawrence Schiller, so viel wird schnell klar, will sein 75 Jahre währendes Leben unter keinen Umständen auf ein paar Schnappschüsse von einer fotogenen Schauspielerin reduziert sehen. Er habe sich als Fotograf nie als Künstler begriffen, sagt er. „Ich war ein guter Verkäufer. Die Kamera ist ein technisches Gerät. Jeder kann die Technik lernen.“

Schiller, der Verkäufer, begreift die Zeitgeschichte als eine Ware, die immer gefragt ist, auch wenn die Medien sich verändern. In den 70er Jahren fing Schiller an, die Zeitungen nach Geschichten zu durchforsten, von denen er annahm, dass sie das Zeug zur großen Erzählung hätten. Er handelte mit Betroffenen und Zeugen Exklusivverträge aus, interviewte sie oft wochenlang, ging in Vorkasse. 1975 hat er den Dokumentarfilm-Oscar gewonnen, 1986 den Emmy. Doch das Umsatteln auf andere Medien hatte eine Grenze: Schiller ist Legastheniker. Er beauftragte Autoren, aus seinen Recherchen Bücher zu machen. Zum Beispiel lieferte er die Fakten zu Norman Mailers Buch „Gnadenlos“ über einen zum Tode verurteilten Mörder. Mailer bekam dafür den Pulitzer-Preis.

Schiller setzt die Brille ab und lässt sie um einen Bügel kreisen. Er wirkt wie ein sanfter alter Mann. Doch seine Methoden erscheinen mitunter grenzüberschreitend. Die Witwe des Comedians Lenny Bruce, die er für ein Buch über ihren verstorbenen Mann befragte, beschuldigte ihn beispielsweise, dass er sie angeblich mit Drogen versorgt habe, damit sie sich weiter mit ihm unterhalte.

Er besitzt noch tausend Kisten mit Negativen: Muhammad Ali, Hitchcock, Adenauer

Auch dieses Bild war bislang unveröffentlicht: Das kleine Foto zeigt MM mit Yves Montand auf dem Set von "Let’s Make Love", 1960.
Auch dieses Bild war bislang unveröffentlicht: Das kleine Foto zeigt MM mit Yves Montand auf dem Set von "Let’s Make Love", 1960.

© Lawrence Schiller, Courtesy Taschen

Besonders zwielichtig ist seine Rolle im Mordprozess gegen den Footballspieler O. J. Simpson. Ein gemeinsamer Bekannter verschaffte Schiller Zugang zum Gefängnis, wo er Simpson über 30 Stunden lang interviewte. Schiller machte ein Buch daraus, in dem Simpson seine Version der Tragödie schilderte. Mit dem parteiischen Buch errang Schiller das Vertrauen der Verteidiger. Auf der Party, die Simpson gab, nachdem er freigesprochen worden war, machte Schiller die Fotos. Doch in einem weiteren Buch wechselte er die Seiten. Er deckte beispielsweise auf, dass die Verteidigung Simpsons Haus umdekoriert hatte, als eine Besichtigung der Geschworenen anstand. Ein Nacktfoto von Simpsons letzter Geliebten wurde abgehängt und ein Bild des Sportlers mit dessen Mutter aufgehängt. Das Buch, das Schiller streckenweise alleine geschrieben haben will, wurde von den Kritikern hoch gelobt. Schiller soll geweint haben, als er eine der Rezensionen las. Er, der Legastheniker, war zum anerkannten Autor geworden.

Ein Gefühlsausbruch, den man sich bei dem durch und durch nüchtern wirkenden Schiller gar nicht vorstellen kann. Nach dem Vortrag im Soho House steht er mit ernstem Gesicht neben seiner fünften Ehefrau, die ihn um einen Kopf überragt und eine Kamera über der Schulter trägt. Vielleicht ist diese Sachlichkeit seine Stärke: dass keiner so kaltblütig die großen emotionalen Geschichten Amerikas angegangen ist wie er.

Schiller fotografiert seit den 70er Jahren nicht mehr. „Es war eine Karriereentscheidung“, sagt Schiller. „Das Zeitalter der Magazine war vorbei.“ Er besitzt aber noch tausend Kisten mit Negativen: Fotos unter anderem von Muhammad Ali, Alfred Hitchcock, Konrad Adenauer, die nie publiziert worden sind. Auch von Marilyn Monroe, sagt Schiller, seien noch unbekannte Bilder darunter.

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