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Siegertyp. Göttervater Zeus, hier – leider ohne Kopf – auf dem Ostfries, sendet Regenwolken und schleudert Blitze - einer steckt im Oberschenkel des geschlagenen Gegners links.

© bpk / Antikensammlung, SMB / Johannes Laurentius

Der Gigantenfries am Pergamonaltar: Rettung in letzter Sekunde

Der Pergamonaltar lässt sich verstehen als Vision vom Palast des Zeus, verteidigt gegen den Ansturm der Giganten. Eine Erläuterung von Andreas Scholl, Direktor der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin.

Die ins Monumentale gesteigerte Inszenierung des großen Zeus-Altars im Mittelsaal des Museums lädt nicht gerade zur Betrachtung von Einzelheiten ein. Vor allem die plastische Wucht des detailreichen Frieses der Sockelzone mit der Darstellung des brutalen Kampfes um die Weltherrschaft zwischen den olympischen Göttern und dem mythischen Geschlecht der Giganten beeindruckt seit der Antike als Kunstwerk von höchstem Rang.

Zur Erinnerung: Die Giganten sind gewalttätige Riesen der griechischen Mythologie mit übermenschlichen Kräften. Aus der Erde, die durch das Blut des entmannten Uranos befruchtet wurde, entstehen die halb menschen-, halb schlangengestaltigen Unholde. Von ihrer Mutter Gaia gesandt, versuchen sie die junge Herrschaft des Zeus und der Olympier zu brechen.

Der Große Fries schildert dieses kosmische Geschehen, das man schon in der Antike als eine Metapher für den Triumph von Kultur und Ordnung über Chaos und Barbarei verstand. Dabei werden sich die vielschichtigen Überlegungen des pergamenischen Königshauses und seiner Künstler beim Entwurf des Altares im 2. Jh. v. Chr. niemals vollständig ergründen lassen. Es gibt jedoch nach 130-jähriger Forschung ausreichend Hinweise, um hier eine gänzlich neue, übergreifende, die Architektur und den Skulpturenschmuck berücksichtigende Gesamtdeutung zu skizzieren.

Geschichtsträchtig. Der Pergamonaltar im ausnahmsweise menschenleeren Saal. Mit 1,26 Millionen Besuchern 2013 ist das Pergamonmuseum das beliebteste Berliner Ausstellungshaus.
Geschichtsträchtig. Der Pergamonaltar im ausnahmsweise menschenleeren Saal. Mit 1,26 Millionen Besuchern 2013 ist das Pergamonmuseum das beliebteste Berliner Ausstellungshaus.

© bpk / Antikensammlung, SMB / Hans Christian Krass

Zunächst zur architektonischen Gestalt des Altars. Mit ihm haben wir die gebaute Vision des mythischen Zeuspalastes vor uns, den sich die Griechen des Altertums auf dem Olymp vorstellten, in Pergamon gestaltet aus dem Formenvorrat der klassischen und hellenistischen Architektur. Dass der Vater der Götter und Menschen auf dem Olymp in einem wundervoll ausgestatteten Palast herrschte, war jedem Griechen – und damit erst recht den bildungsseligen Pergamenern – aus Homers Werken geläufig. Bei Homer findet das Haus des höchsten Gottes vielfache Erwähnung.

"Heilige Scheu fasst mich, wenn ich es sehe"

Vor allem zum Verständnis des Großen Frieses, der immer im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dem Pergamonaltar gestanden hat, ist schon früh die im 7. Jh. v. Chr. verfasste „Theogonie“ des Dichters Hesiod herangezogen worden. Dieser beschreibt ausführlich die „Abstammung der Götter“. Die Anordnung der Götter im Großen Fries folgt wesentlich den von Hesiod beschriebenen verwandtschaftlichen Beziehungen. Homer selbst hat für die Erklärung des Pergamonaltars bislang keine Rolle gespielt. Dabei formuliert der berühmteste Dichter des klassischen Altertums gleich an mehreren Stellen ein faszinierendes dichterisches Bild vom Palast des Zeus auf dem Olymp. Etwa in der „Odyssee“: „Das Funkeln von dem Erz rings in den hallenden Häusern, und von dem Gold und Bernstein und Silber und Elfenbein! So mag der Hof des Zeus, des Olympiers, sein im Inneren, wie dies unendlich Viele hier. Heilige Scheu fasst mich, wenn ich es sehe.“ Diese Erfindung Homers hat den Architekten des Pergamonaltars und den entwerfenden Meister des Großen Frieses offenkundig entscheidend angeregt.

Besonderes Interesse verdient das von Homer zur Charakterisierung des Zeuspalastes gewählte Wort aulé. Dieser Begriff bezeichnet bereits in der frühgriechischen Dichtung den offenen Hof oder die Halle eines herrschaftlichen Gebäudes, zu dessen Grundausstattung ein Brandopferaltar gehörte. Ein solcher befand sich erwiesenermaßen im Säulenhof des Pergamonaltars.

Lag es nicht nahe, ein so spektakulär gelegenes Zeus-Heiligtum wie den Pergamonaltar als Palast zu inszenieren, wie er gerade für den Göttervater jedem Griechen aus den homerischen Versdichtungen geläufig war? Neben dem Bild der Palastfront wird dieser Gedanke durch die Tatsache gestützt, dass die Säulenhöfe zeitgenössischer hellenistischer Königspaläste des 3. und 2. Jh. v. Chr. sogar in vielen architektonischen Einzelheiten mit dem in der Berliner Rekonstruktion von 1930 leider nicht wiederhergestellten Säulenhof des Pergamonaltars vergleichbar sind.

Endloses Schlachtengewoge

Eine Erklärung des Baus als gelehrt konstruiertes Bild des olympischen Zeus-Palastes wird auch durch die lange Darstellungstradition des Gigantenkampfes in der griechischen Kunst gestützt. Diese lässt die Schlacht zwischen Göttern und Giganten – in Widerspruch zur literarischen Tradition – schon seit dem frühen 5. Jh. v. Chr. regelmäßig auf dem Gipfel des Olymp, ja sogar vor dem Palast des Zeus stattfinden.

Der hohe Sockel des Pergamonaltars markiert im hier skizzierten Erklärungsmodell die steile Gipfelzone des Olymp mit dem Palast des Zeus, dessen Außenmauern umtost werden von der Gigantenschlacht in ihrer entscheidenden Phase. Die maximale Ablösung der Figuren von ihrem architektonischen Träger unterstreicht den Eindruck eines schier endlosen Gewoges nahezu rundplastischer Skulpturen um den Sockelbau. Ihren Höhepunkt findet die in zahlreichen Kampfgruppen vorgeführte Entscheidungsschlacht in den beiden Enden des Großen Frieses in den Treppenzwickeln, die der antike Besucher des Altars erst beim Besteigen der Treppe sah. Auf den einander gegenüberliegenden Innenseiten der Nord- und Südflügel haben einige Giganten die Säulenfront des Palastes fast erreicht und werden erst von den Adlern des Zeus an der Erstürmung des Säulenhofes mit dem Zeusaltar gehindert.

Kurz vor dem Eingang. Das Relief des nördlichen Treppenzwickels zeigt Zeus in Adlergestalt bei der Abwehr eines geflügelten, schlangenbeinigen Giganten.
Kurz vor dem Eingang. Das Relief des nördlichen Treppenzwickels zeigt Zeus in Adlergestalt bei der Abwehr eines geflügelten, schlangenbeinigen Giganten.

© bpk / Antikensammlung, SMB / Johannes Laurentius

Im besser erhaltenen Zwickel der südlichen Treppenwange (Foto links, Mitte) schlägt Zeus in Gestalt eines Adlers seine Klauen in den Unterkiefer der Beinschlange eines geflügelten Giganten. Auf der anderen Seite sind dem Meergott Okeanos zwei Giganten bereits enteilt (Foto links, unten). Die ausholende, an den Zeus des Ostfrieses (Foto unten) erinnernde Bewegung, mit der Okeanos eine Waffe gegen die Unholde schleudert, unterstreicht die Dramatik der Situation. Sich gegen die nachdrängenden Meergötter verteidigend, setzen die Giganten zum Sturm durch den Eingang an. Auch hier verhindert Zeus in Adlergestalt den Durchbruch.

Der Retter heißt Zeus

So machen erst die Enden des Großen Frieses klar, dass der Kampf um die Weltherrschaft im letzten Moment durch das Eingreifen des Zeus entschieden wurde. „Die übrigen Giganten schmetterte Zeus mit Donnerkeilen nieder; und alle, die auf diese Weise gefällt waren, erschoss Herakles mit seinen Pfeilen. Als nun die Götter den Sieg über die Giganten erfochten hatten, ließ sich Gaia, noch heftiger erzürnt, von Tartaros umarmen und gebar ihm in Kilikia den Typhon“, erzählt der Autor Apollodor den Mythos weiter.

Der Innenraum dieses Heiligtums ist geschmückt mit einem zweiten, viel kleineren Relieffries, der vor allem den Heros Herakles feiert – in Gegenwart des am Opferaltar als immer anwesend gedachten Zeus. Ohne die Hilfe des Herakles, dessen Darstellung im Großen Fries leider völlig zerstört ist, hätten die Götter nach antiker Überlieferung im Gigantenkampf nicht siegreich sein können. Dem Herakles kommt im Kleinen Fries des Altares der Ehrenplatz zu in der nach homerischem Vorbild geschaffenen aulé, dem Hof des Zeus, als Retter der Welt und als Vater des pergamenischen Stadtgründers Telephos. Diese hervorgehobene Rolle des Herakles leitet über zur Geschichte Pergamons und seiner Könige, die hier unweit ihrer eigenen Residenz dem rettenden Zeus einen eigenen Palast errichtet haben.

Dieser Text ist in unserer Samstagsbeilage Mehr Berlin erschienen. Prof. Dr. Andreas Scholl ist Klassischer Archäologe und Direktor der Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin.

Andreas Scholl

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