zum Hauptinhalt
Up

© dpa

Filmfestival: 3D-Film als Eröffnungsstreifen in Cannes

Cannes hebt "Up": Das wichtigste Filmfestival der Welt eröffnet erstmals mit einem 3D-Film. Auch sonst werden bei dem Festival viele Premieren gezeigt. 3D-Filme sind bisher vor allem etwas für Fans des Hardcore-Bewegungsfilms.

So viele Premieren bei diesem so betagten Festival! In seinen 62. Jahrgang startet Cannes nicht mit den üblichen verdächtigen Stars, sondern mit einem knurrigen Rentner namens Carl Fredricksen, einem dicken Kind namens Russell, einem noch dickeren Dackel namens Dug und dem superbunten Straußenvogel Kevin – alles Helden, mit deren Interpreten es in den nächsten zwölf tollen Tagen garantiert keine Exklusivinterviews geben wird. Mit anderen Worten: Das gute, alte Cannes eröffnet erstmals mit einem Animationsfilm und noch dazu supererstmals mit einem in 3D! Und die Zuschauer, ob morgens die Medienleute in Zivil oder abends die Premierengäste im Smoking, tragen allesamt diese kurios kleidsamen, knallroten Plastikbrillen auf der Nase!

Bei solchem Spaß an Neuigkeiten darf die tollste nicht fehlen: Festivalchef Thierry Frémaux begrüßt die internationale Presse höchstpersönlich auf der Bühne – besonders herzlich Jerzy Plazewski vom Magazin „Kino“, der zu seinem 54. CannesFestival angereist ist und folglich mindestens so alt sein dürfte wie der laut Presseheft 78-jährige Carl Fredricksen, Held des Eröffnungsfilms „Up“. Und kaum ist der Anerkennungsapplaus für den polnischen Kollegen verrauscht, zückt Frémaux, während zwei Dutzend Kameraleute in den hell erleuchteten Brillenmenschensaal hinunterfilmen, sein FotoHandy und hält das Novum selber für die Restwelt fest!

Cannes bietet "Hereinspaziert!"-Jahrmarktsvergnügen

Keine Frage, Cannes hebt up bereits am Mittwochmorgen, und anderthalb Stunden später, nach der ersten Vorführung des wunderhübschen Pixar-Märchens für Acht-bis Achtzigjährige, ist die Stimmung richtig oben. Die Weltwirtschaftskrise bleibt draußen und mit ihr all die im Vorfeld viel beraunten schlechten Nachrichten: Hotelbetten nicht komplett, sondern nur fast ausverkauft, Partys abgespeckt, Glamour-Faktor im freien Fall und so fort. Nicht nur, dass das Städtchen vor der Invasion der 40000 Filmleute aufgebrezelt wie immer erscheint: Ob da nicht so manche kräftig verdienende Filmfirma die Krise nur zum Anlass nimmt, um via Kostensenkung den Eigen-Nutzen hochzutreiben? Tatsächlich, darauf deuten die Zahlen weltweit, gilt die auf den Jahrmärkten geborene Evasionsindustrie Kino als erster Profiteur der Krise – oder dürfte zumindest von anderweitigen Schleudertraumata weitaus später betroffen sein.

Mit Pete Docters „Up“, seiner nach „Die Monster AG“ (2001) zweiten Regiearbeit für die ungemein erfindungsfrohen Pixar Studios, springt das Kino mitten hinein in das „Hereinspaziert!“-Jahrmarktsvergnügen. Der Zuschauer muss den Raum nicht mehr imaginieren, sondern die Polarisationsbrillen, die die einstigen rot und grün beschichteten Pappdinger abgelöst haben, simulieren ihn perfekt. Nur die schwarzweiße Rückblende in Carls schüchterne Jungsjugend, bevor er die abenteuerlustige Ellie ehelicht, käme ohne das technische Hilfsmittel aus. Dann aber geht es, in Farbe und meist in 3D, auf eine anrührende, bald gefährliche und durchweg kurzweilige Reise.

Ein Haus mit Tausend Luftballons

Was für bildersatte US-Kids ein mittelgruseliger Popcornspaß sein mag, gerät für den reiferen Zuschauer zur augenzwinkernden Reflexion über (Patchwork-)Familienwerte und die Macht der Anschauung gegenüber der puren Vorstellung. Der kinderlose Witwer und einstige Jahrmarktsballonverkäufer Carl sieht sein Holzhäuschen umstellt von Wolkenkratzern. Statt sich in eine Seniorenresidenz abschieben zu lassen, bricht er, Ellie zu Ehren, zur stets aufgeschobenen Traumreise aus, zu den nicht eben paradiesischen „Paradise Falls“ in Südamerika.

Das Filmbild ist so einfach wie unvergesslich: Carls Haus schwebt an Tausenden heliumgefüllten Luftballons davon. Ein perfekter Abgang – wenn da nicht auf der Veranda noch das Pfadfindlingskind Russell wäre, dem für die Kollektion seiner guten Taten nur die Hilfestellung für ein liebes Altchen fehlt.

Das Format der Story, irgendwo zwischen „Dschungelbuch“ und Science Fiction fürs generationenübergreifende Grundschulalter, reicht mühelos an die Pixar-Erfolge von „Toy Story“ über „Findet Nemo“ bis zu „Wall-E“ heran. Die Stoffe sind mit solcher Zärtlichkeit und überschäumender Fantasie erfunden, dass wohl selbst hartnäckige Verächter des Animationsfilms ihrem sorgfältig weggesperrten Vergnügungsbedürfnis freien Lauf lassen. Als Werbeträger aber für den 3D-Film, der – glaubt man den ProfiTrommlern aus Hollywood – nach Anläufen in den zwanziger, fünfziger, siebziger und achtziger Jahren nun vor seinem späten Durchbruch steht, taugt er allenfalls bedingt.

3-D ist noch nicht ganz angekommen

Für den ganz großen Schwindel ist „Up“, zumindest in der ersten Hälfte, eindeutig zu langsam. Die Abenteuer jedenfalls, die Carl und Russell ins Urwald-Imperium eines zum frankensteinartigen Bösewicht mutierten Forscheridols treiben, lassen sich auch mit gewöhnlicher Zuschauerfantasie ins Dreidimensionale hochrendern. Für den erwünschten 3DAbtaucheffekt aber – dem bebrillten Zuschauer soll die Leinwand förmlich ins Gesicht klatschen – braucht es mehr. Wer’s mag, darf demnächst etwa im Slasher-Remake von „My Bloody Valentine“ die Blut-Probe aufs Exempel machen.

Tatsächlich bleibt das dreidimensionale Kino, und das zeigt „Up“ so kunstvoll wie beiläufig, auch in seiner modernsten Form vor allem etwas für Fans des Hardcore-Bewegungsfilms: ein Schockverstärker, nicht mehr. Die jüngsten US-Kassenerfolge jedenfalls, wonach die Leute gern ein paar Dollar mehr für 3D ausgeben, dürften nicht zu überschätzen sein. Denn der pure Verblüffungseffekt durch die (Wieder-)Begegnung mit einer Technik, die die Kundschaft vom immer perfekteren heimischen Sofakino weglocken soll, verbraucht sich schnell.

Zwar rollt eine Welle von 3D-Filmen weltweit durch die Kinos; nur sind in Amerika bislang kaum drei Prozent der Säle für die digitale 3D-Projektion ausgerüstet (in Deutschland ist es bisher nur jede 150. Leinwand). Bei allem – nicht eben interesselosen – Jubel von Produzentenseite: Viele Kinobetreiber dürften an ihrer Skepsis festhalten, ob sich die Investition von rund 70 000 Euro langfristig lohnt.

Qualität ist die Richtschnur

Ob Festivals oder Alltagsgeschäft: Die sicherste Zukunft fürs Kino bleiben immer noch gute Filme. Cannes, soeben im „Spiegel“ elegant und vorschnell als Auslaufmodell geschmäht, führt in dieser Hinsicht allein im Wettbewerb so manches im Angebot – von Pedro Almodóvars „Zerrissenen Umarmungen“ bis zu Lars von Triers „Antichrist“, von Michael Hanekes „Das weiße Band“ bis zu Quentin Tarantinos „Inglorious Basterds“. Und Isabel Coixet und Ken Loach und Ang Lee und Johhnie To und Elia Suleiman und Tsai Ming-liang: Wenn diese Künstler durch das freundliche Zutun aller am filmkulturellen Zirkulationsprozess Beteiligten dann noch den Weg zum Publikum finden, umso besser.

Qualität ist ausdrücklich auch die Richtschnur der Pixar-Leute in ihren bislang zehn Filmen; mit „Up“ stellen sie dies erneut eindrucksvoll unter Beweis. Wobei sie neben der schönen 3D-Spielerei auf eine vierte Dimension setzen: Rührung. Technischer formuliert: die verbraucherseitige Produktion von Tränenflüssigkeit. Da darf das Bild sogar mal unscharf sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false