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Sechs Grammy-Nominierungen: Adele ist die Anti-Gaga

Adele ist die erfolgreichste Sängerin im Musikjahr 2011 – dabei bricht sie mit ihrer Natürlichkeit alle Konventionen. Sie erhielt doppelt so viele Grammy-Nominierungen wie Lady Gaga.

Dass Adele für sechs Grammy Awards nominiert ist, wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn es nicht nur sechs Nominierungen wären. Für die britische Sängerin bedeutet das zwar die Aussicht auf doppelt so viele goldene Grammofone, wie sie die lediglich dreimal nominierte Lady Gaga erhalten könnte. Doch es gab schon deutlich mehr Nominierungen. Eminem kam vergangenes Jahr auf zehn.

Es ist eine sanfte Dominanz, die Adele Laurie Blue Adkins im Musikgeschäft ausübt. 13 Millionen Mal hat sich ihr Album „21“ schon verkauft, es war Nummer eins der Charts in 25 Ländern. In Deutschland stellte sie einen neuen Rekord für legale Downloads aus dem Internet auf. Ihre Hits „Rolling in the Deep“, „Someone Like You“ und „Set Fire To The Rain“ wechselten einander in den Radio-Dauerschleifen ab.

Das eigentlich Spektakuläre an Adele ist, wie unspektakulär sie auf den ersten Blick daherkommt. Die 23-Jährige umhüllt ihre eher rundliche Statur meist mit schlichten schwarzen Kostümen, bei Live-Auftritten passiert nicht viel mehr, als dass sie am Mikrofon steht und im Hintergrund die Background-Sänger summen. Alles ist reduziert auf ihre tiefe, warme Stimme. In Interviews spart die Londonerin nicht mit ihrem Cockney-Dialekt und Schimpfwörtern. Trotz toupierter Frisuren und dick gespachtelter Schminke ist die rothaarige Engländerin ein Ausbund an handfester Natürlichkeit, wie man ihn in vielen britischen Pubs antrifft.

In Deutschland hält sie den Rekord für legale Downloads

Doch die wahre Sensation ist, dass sie mit diesem Paket die USA erobert hat, den Heimatmarkt der Pop-Künstlichkeit. Dort, wo Lady Gaga jahrelang alle Rekorde brach, weil sie als knallbuntes Showbonbon ihr überschaubares stimmliches Talent kompensierte. Die von Gaga bisweilen ironisierte Formel, auf viel nackte Haut zu setzen, hatte sich auch für Sängerinnen wie Rihanna und Beyoncé in den USA bezahlt gemacht. Adele hat sich anders als ihre Landsfrau Katy Perry diesem angeblichen Diktat des Marktes verweigert und und ist damit überraschend erfolgreich.Mit über vier Millionen Verkäufen ist „21“ das erfolgreichste Album in den USA, Lady Gagas „Born This Way“ ging nur halb so oft über die Ladentheke, auch weltweit liegt sie mit acht Millionen Exemplaren hinter Adele, der Anti-Gaga. „Ich könnte mir nicht vorstellen, mit Pistolen auf die Bühne zu kommen und Schlagsahne aus meinen Brüsten spritzen zu lassen“, sagte Adele einmal in einem Interview. „Ich mache keine Musik für die Augen. Ich mache Musik für die Ohren.“

Die Brüche hinter der makellosen Stimme

Den Erfolg zu erklären, vor allem in den USA, wo britische Künstler wie Robbie Williams oft scheiterten – damit tun sich Experten schwer. „Adele verkauft sich bei der demografischen Gruppe, die amerikanische Wahlen entscheidet“, ätzte ein Kritiker im „New Yorker“, „Mütter mittleren Alters, die nicht wissen, wie man Musik raubkopiert.“ Doch es ist zu einfach, Adeles Erfolg auf ihre aufreizende Alltäglichkeit zu reduzieren. Es sind vor allem die Brüche hinter ihrer makellosen Stimme und der Fassade des Mädchens vom Pub nebenan, die ihre schlicht instrumentierte Musik für so viele Menschen so berührend machen.

Adele wurde 1988 im Nordlondoner Stadtteil Tottenham geboren. Ihre Mutter war bei der Geburt erst 18. Ihr Vater, ein walisischer Klempner mit Alkoholproblemen, verließ beide, als Adele gerade vier war. Adeles Mutter hatte nach der Geburt ihr Kunststudium abgebrochen und jobbte als Masseuse und Möbelmacherin. Mehrmals zog sie mit Adele um. Dennoch bemühte sie sich, das Talent ihrer Tochter zu fördern, baute aus Lampen Scheinwerfer, während Adele ihre ersten Idole imitierte – die Spice Girls, ausgerechnet.

Den ersten Grammy gab es für das Debütalbum, das sie mit 19 machte

Das Geld für eine musikalische Ausbildung war nicht da. Doch mit 14 Jahren bekam Adele nach einem Vorsingen einen Platz an der „BRIT School“, einer Kunst- und Musikschule, die auch Amy Winehouse, Kate Nash und Leona Lewis ausbildete. Später wurde Adele mit britischen Stimmwundern wie Duffy oder Joss Stone verglichen. „Wir gehören demselben Geschlecht an, aber wir sind kein Genre“, antwortete Adele.

Adele selbst glaubte zunächst nicht an ihr Talent und richtete sich auf eine Karriere in einer Talentagentur ein, wo sie andere Künstler entdecken wollte. Stattdessen wurde sie selbst entdeckt. Ein Mitschüler stellte ihre Lieder auf die Webseite „Myspace“, im Internet wurde sie schnell zum Geheimtipp und bekam 2006 einen Plattenvertrag. Ihr Debütalbum „19“, betitelt nach ihrem damaligen Alter, nutzte sie, um sich mit dem Scheitern ihrer ersten Beziehung auseinanderzusetzen. Das tat sie so eindringlich, dass sie schon 2009 den Grammy für die beste neue Künstlerin erhielt.

Pünktlich zu ihrem Zweitwerk „21“ ging die nächste Beziehung in die Brüche, zu einem zehn Jahre älteren Mann. Die Songs habe sie teils in einem depressiven und alkoholisierten Zustand geschrieben, berichtete sie später. Doch findet die Klatschpresse keine Skandalgeschichten bei Adele. Stattdessen füllen ihre Erfahrungen den dunklen Resonanzraum ihrer Songs.

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