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Die beiden Berliner Atomteller-Erfinder Mia Grau und Andree Weissert. Infos und Bestellungen (für 39 Euro): www.atomteller.de

© Kai-Uwe Heinrich

Berliner Alltagsdesign: Krümel auf Krümmel

Atommeiler statt Windmühlen: Das Berliner Künstlerpaar Grau und Weissert hat etwas andere Wandteller in Delfter Blau designt. Ein Hausbesuch.

Mia Grau und Andree Weissert haben zwar noch alle Tassen im Schrank, aber nicht die Teller. Die hängen in einer langen Reihe an ihrer Kreuzberger Küchenwand – fein säuberlich mit der extralangen Wasserwaage arrangiert, über dem Tisch, dem Loriot-Sofa und überm Waschbecken um die Ecke.

Heimelig sieht das aus, auf den ersten Blick. Wäre da nicht die größte anzunehmende Irritation. Statt Windmühlen zieren Brokdorf (Abschaltung spätestens 2021), Hamm-Uentrop (Abschaltung 1988) und Biblis (Abschaltung 2011) das runde Porzellan. Die Atommeilerchen strahlen, wie es die niederländische Keramiktradition verlangt, in Delfter Blau über den Tellerrand hinaus.

Die niedliche Monstrosität der Malerei – detailreich ausgeführt von Heike Tropisch – ist auch deswegen so komisch, weil sie an die bewundernd-fassungslosen Bilder der industriellen Revolution erinnert. Hier dagegen zieren Heuballen wie Tupfen das Feld vor Mülheim-Kärlich (Abschaltung 1988), dort strahlt die Sonne hinter Obrigheim (Abschaltung 2005) wie im Logo von Golden Toast.

Die Regisseurin Mia Grau und der Architekt Andree Weissert, Ökostrom-Kunden, sehen in den Bauwerken Kathedralen einer technologischen Weltanschauung – und des Irrtums. „Was Windmühlen früher waren, sind Atomkraftwerke heute: Energiebauwerke“, erklären sie. „Ihre ikonenhaften Silhouetten prägen die Landschaft und damit unser Heimatbild.“

Produziert werden die Atomteller bei einer renommierten Porzellanfirma

Während den 39-jährigen Weissert eher die Ästhetik der Kühltürme vor Weizenfeldern interessiert, erinnern sie Mia Grau an einen prägenden Teil ihres Lebens. Als Teenagerin zog es die heute 33-Jährige, die mit den norddeutschen Zwiebelmustern und den blauen Kacheln ihres Elternhauses aufwuchs, ins Wendland. Dort versuchte sie mit etlichen anderen den Castor-Transport zu stoppen. Ein Event, ein prägendes Gemeinschaftserlebnis. Weissert dagegen ging als Junge einfach gerne nach Brunsbüttel ins Schwimmbad, „das war besonders toll, wegen der vielen Gewerbesteuern“. Gudrun Pausewang, ihre Super-GAU-Jugendromane „Die letzten Kinder von Schewenborn“ und „Die Wolke“, ach ja, da war mal was. Für „No Future“ sind beide zu jung.

Verstehen, wie Nostalgie funktioniert. Ist sie mehr als das Schwelgen im süßsauren Heimweh nach Vergangenheit? Das wollten die Schöpfer der „Atomteller“ herausfinden. Energiewende hin oder her.

Grundremmingen, in schönster deutscher Landschaft, fast schon renatuiert. Abgeschaltet wurde der Meiler 1988.
Grundremmingen, in schönster deutscher Landschaft, fast schon renatuiert. Abgeschaltet wurde der Meiler 1988.

© Kai-Uwe Heinrich

Sicher spricht das Provinzkinder aus dünn besiedelten Landstrichen eher an als Bewohner städtischer Regionen. Ein Freund des Künstlerpaares reagierte besonders stark auf den Biblis-Teller – aus seinem früheren Kinderzimmer konnte er am Horizont alle vier Kühltürme sehen.

Produziert wird der Wandschmuck von der bekannten Thüringer Porzellanmanufaktur Reichenbach, denn es ist doch mehr als eine simple ironische Spielerei. Dabei war das originale Delfter „Porzellan“ eigentlich gar kein Porzellan, sondern nur lackiertes Steingut. Im 16. Jahrhundert wurde blau bemaltes Porzellan aus China nach Europa verschifft, unter Reichen galt das Sammeln dieser zerbrechlichen Waren damals als schick. Ironie der Geschichte: Die Niederländer probierten, Billigkopien der Ware herzustellen. Was sie nicht wussten, war, dass es zur Porzellanherstellung Kaolin braucht, weiße Tonerde. Also brannten sie kurzerhand Steingut und lackierten es.

Doch auch nachdem der Porzellan-Code geknackt war, blieben die Hersteller teilweise beim Steingut. Einer hat bis heute überlebt: Royal Delft, mit Sitz in der gleichnamigen Stadt zwischen Rotterdam und Den Haag. Die Windmühlen mahlen weiter, ihr Anteil im Gesamtsortiment ist jedoch zu vernachlässigen. Vielleicht ziehen die „Atomteller“ ja bald in die Keramiksammlung des Berliner Stadtmuseums ein. Dort lagern bereits über 2500 Fayencen, unter anderem von der Königlichen Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM). Es wäre jedenfalls an der Zeit, der letzte Ankauf erfolgte in den 80er Jahren.

Muss man die Teller eigentlich als reine Dekoration betrachten, oder kann man sie auch nutzen?

Spülmaschinenfest sind sie immerhin – und wer keine Probleme mit Krümeln auf Krümmel (Abschaltung 2011) hat – guten Appetit.

Ein Teller kostet 39 Euro. Bestellungen über www.atomteller.de

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