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Der Radarturm auf dem Tempelhofer Feld

© Christiane Peitz

Berliner Türme (8): Radarturm auf dem Tempelhofer Feld: Keine Bewegung

Der Radarturm auf dem Tempelhofer Feld in Berlin darf nicht wackeln. Wegen der Antenne. Eine Kugel-Inspektion in luftiger Höhe.

Der Herr des Radarturms heißt Udo Kühne, seit 18 Jahren arbeitet er hier, er ist hier der Hauptmann, der Chef. Er liebt den Turm am östlichen Rand des Tempelhofer Flughafengebäudes, das ist schließlich mein Leben, sagt er hoch oben auf der Balustrade des Turms – sein Berufsleben jedenfalls. Am schönsten ist der Turm, wenn man aus dem Britzer Tunnel herausfährt, meint Kühne. Oder vom 104er Bus, ergänzt sein Kollege, der Leutnant.

Das Kunststück besteht darin, dass die Kugel oben nicht wackelt. Egal, wie sehr es stürmt. Dass die Kugel – das Radom, sagt der Fachmann – sich auch bei wildesten Winden kein bisschen bewegt, liegt am Suppenschüsselprinzip. Wie eine Schale liegt der Turmkopf auf den vier schlanken, elastischen Säulen am Columbiadamm. Wenn der Sturm an ihnen zerrt, schwanken die Pfeiler, aber der Turmkopf mit Ringbühne und Kugel obendrauf regt sich kein bisschen. Das ist deshalb so wichtig, weil das sieben mal sieben Meter große, sich unentwegt drehende Antennengeviert im Inneren der Kugel Flugbewegungen weit weg registriert, in bis zu 400 Kilometern Entfernung. Bewegt sich die Antenne nur um Millimeter, wird das Radarecho unscharf. Das verfälscht die Aufzeichnungen, erklärt Udo Kühne.

Schneeweiß und filigran steht er da, der Radarturm am Tempelhofer Flugfeld, ein leichtgewichtiges Gegenstück zum Trumm von Flughafengebäude aus der NS-Zeit. Der Turm mit den vier schlanken Pfeilern ist ein Wahrzeichen, denkmalgeschützt. Die US-Army hat ihn 1982 errichtet, knapp 72 Meter hoch, mit einem Catwalk auf 30 Metern und einer Ringbühne auf 60 Metern Höhe, nach Plänen des Ingenieurs Adolf Behrens, der die geniale Idee mit der Suppenschüssel hatte. Berlin verdankt Behrens auch das Heizkraftwerk Wilmersdorf an der Stadtautobahn. Im Kalten Krieg kontrollierte die Air Force vom Tempelhofer Standort aus den Luftraum im Ostblock, bis hinter Breslau und Prag. Ein Spähturm, eine Spitzelanlage der Alliierten. Dann fiel der Eiserne Vorhang. Am 1. Juli 1993 übergab Majorin Frances Belford den Schlüssel für die Radaranlage an Harald Herbst von der Bundeswehr. Seitdem beobachten die Deutschen von hier aus den Luftraum.

Oder genauer: der „abgesetzte technische Zug 353“ des Einsatzführungsbereichs 3 der Luftwaffe. „Abgesetzt“ deshalb, weil der Hauptstandort sich in Schönewalde/Holzdorf befindet. Das eingezäunte Tempelhofer Gelände mit dem Radarturm und den 2009 errichteten Dienstgebäuden in dessen Schatten gehört nicht zur Tempelhofer Freiheit mit ihren Picknickwiesen und der Landebahn. Sicherheit geht extra. 30 Leute sind hier stationiert, Techniker zumeist. Sie arbeiten im Vier-Schichten-Betrieb, damit die Antenne rund um die Uhr Daten liefern kann.

Schon komisch: Da schaut man seit über 25 Jahren vom eigenen Balkon über die Kreuzberger Bergmann-Friedhöfe auf die weiße Kugel, wie sie zwischen den Friedhofsbäumen hervorblitzt. Ein liebgewordener Anblick, ein Sehnsuchtsort, ein Ufo in Gestalt eines Stachelkaktus mit roter Blüte, nachts, wenn das Warnlicht leuchtet. Und jetzt, nach so vielen Jahren, schaut man zum ersten Mal in die umgekehrte Richtung. Die Nachbarin ist mitgekommen, hoch oben auf dem Turm suchen wir unser Haus.

Die Kugel: vom Golfball zum Tischtennisball

Schöner Moment, die Bundeswehr macht’s möglich. Umstandslos hat sie einen Termin zur Turminspektion vorgeschlagen; Hauptmann Kühne begleitet uns im Fahrstuhl in einem der aluminiumummantelten Pfeiler auf die obere Plattform. Im Nachbarpfeiler gibt’s Treppen, für alle Fälle. Wahnsinn, der Blick über das Feld und die Stadt, bis zum verwaisten Radom auf dem Teufelsberg. Der Wind zaust die Haare, man steht auf Gitterrosten, da wird einem schnell schummrig.

Der Antennenraum ist abgesperrt, wegen der Strahlung. Man steckt den Kopf ja auch nicht in die Mikrowelle, sagt Udo Kühne. Wobei die im Internet kursierenden Warnungen vor der angeblich geheimen Militäranlage mit gesundheitsgefährdenden elektromagnetischen Wellen „ein Schmarren“ sind, meint er. Auch die jüngsten Gutachten anlässlich der Öffnung des Flugfelds bestätigen: Außerhalb des Antennenraums wird kein Grenzwert überschritten. Die Räume im Turmkopf beherbergen Gerätschaften für die Wartung, es sieht aus wie in einer Werkstatt. Ein Holzschild trägt die Aufschrift „Teddybär“, so nennen die Soldaten ihre Antenne. Ein Blitz trennt den Berliner Bär und das Radom auf dem Wappen darunter.

Empfangen hatte Kühne uns im Besucherraum in einem der Neubauten von 2009. Ältliches Mobiliar, ein Turm-Wandgemälde im coolen Retrolook, überall Fotos aus der Zeit der Alliierten. Es gibt Kaffee aus Tassen mit Goldrand und einen Blitzkurs in Sachen Flugsicherung, Turmhistorie und moderne Radarsysteme. In all den Jahrzehnten ist nie was passiert, kein feindliches Flugobjekt gelangte je auf den Radar – beruhigende Auskunft.

In der Ecke ist die Flagge des US-Fernmeldegeschwaders aufgepflanzt, neben den Marsch-Wimpeln von 1949 – Berliner Nachkriegsgeschichte. Die Kommandozentrale der militärischen Luftüberwachung, die bis zur Tempelhof-Schließung gemeinsam mit der zivilen Flugsicherung direkt über der Abfertigungshalle residierte, sieht auf den Fotos aus wie das Kontrollzentrum in einem alten ScienceFiction-Film. Auf den Monitoren der Rechner flimmert das kreisrunde Symbol für Berlin. Mit drei Pfeilen nach Westen, den Luftkorridoren in Zeiten der Mauer.

Eine schwarz-weiße Fotoserie zeigt den Turmbau. Erkennen Sie den Unterschied?, fragt Kühne. In den Achtzigern sah die Kugel aus wie ein Golfball, mit knittriger Oberfläche. Heute ist sie glatt wie ein Tischtennisball. 2004 war sie ausgetauscht worden, besseres Material, auch die Antenne wurde erneuert. Das alte Radom haben TU-Studenten für ein Projekt in Frankreich bekommen, erinnert sich der Hauptmann. Der Golfball durfte reisen, bis in die Bretagne.

Gab es an diesem Militärstandort in drei Jahrzehnten wirklich nie einen einzigen Vorfall? Doch, ein paar durchgeknallte Typen haben in der Silvesternacht 2006 auf den Turm geschossen, wohl aus Jux, aber mit scharfer Munition. Sie wollten die roten Lichter ausschießen und trafen das Radom, deshalb die ausgebesserten Stellen in der Kugelhaut. Verletzt wurde niemand, zum Glück: Auch in dieser Nacht waren Techniker auf dem Turm.

Als der Flugbetrieb 2008 eingestellt wurde, erlosch das rote Licht – zum großen Bedauern der Bergmannstraßen-Bewohnerinnen. Aber nur kurz, denn Udo Kühne lag an der „Befeuerung“, wie es im Fachjargon heißt. Auch ein Hauptmann ist mal nostalgisch. Außerdem fliegen immer noch Hubschrauber zur Verkehrsüberwachung oder für Krankentransporte über das Feld. Deshalb darf der Turm weiter befeuert werden, zwecks Bauschutz, mit offizieller Senatserlaubnis. Auch gut zu wissen. Der nächtliche Blick vom Balkon auf die Kugel mit der kleinen roten Lichtblüte drauf ist seitdem jedenfalls nicht mehr derselbe.

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