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Künstlerischer Leiter des Musikfests Berlin, Winrich Hopp.

© Lucie Jansch

Winrich Hopp über das Programm des Musikfests 2014: „Das Festival ist Ideen-Pingpong“

Es ist wieder soweit: Berlin feiert sein Orchesterfestival, das Musikfest. Ein Gespräch mit künstlerischen Leiter Winrich Hopp über Orchesterrevolutionen, Marathonkonzerte – und Gemeinsamkeiten zwischen Festivalmachen und Zöpfeflechten

Herr Hopp, wird das „Musikfest 2014“ romantisch?
Die romantische Musik spielt in der Tat eine wichtige Rolle. Es geht aber nicht so sehr darum, eine  Epoche darzustellen, sondern es soll eher erfahrbar werden, welche Referenzgrößen die Romantiker hatten und wie ihre Musik bis ins 21. Jahrhunderts hinein wirkt. Das Musikfest ist ja ein Orchesterfestival, und das moderne Sinfonieorchester hat sich Mitte des 19. Jahrhunderts herausgebildet. Durch Werke, die eine solche Kraft hatten, dass man begann, sich für die Institutionalisierung der Orchester einzusetzen. Dieser Schub, den es in der Musikwelt um 1850 gab, ist wirklich etwas Einmaliges.

Zur Eröffnung spielt Daniel Barenboim die beiden monumentalen Brahms-Klavierkonzerte – eine aberwitzige Kraftanstrengung.
Mit dem selben Programm allerdings hatte auch Brahms selber 1896 in Berlin seinen letzten Auftritt als Dirigent, ein Jahr vor seinem Tod. Eugène d'Albert saß damals am Flügel. Aber es gibt in der Tat einen Marathon-Aspekt im diesjährigen Programm. Neben Barenboims Brahms-Doppel führt ja auch Simon Rattle mit den Berliner Philharmonikern als Finale an vier aufeinander folgenden Abenden alle Sinfonien von Schumann und Brahms auf. Pierre-Laurent Aimard spielt das gesamte Wohltemperierte Klavier von Bach, Isabelle Faust alle Partiten und Sonaten Bachs. Nachdem sein Werk jahrzehntelang vergessen war, wurde Bach für die Romantiker zur zentralen Figur.

Die Idee des Musikfests ist ja, dass hier internationale Gäste auf Augenhöhe den Berliner Orchestern begegnen.
Wie einst bei den Festwochen geht es auch beim Musikfest darum, dass zur Eröffnung der Saison die hiesigen Ensembles zusammen mit Gästen einen gemeinsamen programmatischen Strang verfolgen. Das ist auch ein Kräftemessen der Orchester untereinander, die sich durchaus dafür interessieren, was die Kollegen spielen. Mir ist es dabei wichtig, die Gäste zu ermutigen, in Berlin Programme zu wagen, die sie zuhause in ihren Abo-Reihen oder auch bei Tourneen normalerweise nicht anbieten würden. Besonders freue ich mich darum, dass das Cleveland Orchestra einen reinen Jörg-Widmann-Abend gestalten wird. Das ist ein schönes Zeichen, wenn jenes Orchester, das unter den amerikanischen Spitzenensembles als das europäischste gilt, den bekanntesten deutschen Komponisten der jüngeren Generation porträtiert. Für Widmann übrigens ist die Musik von Robert Schumann eine wichtige Bezugsgröße.

Ein weiterer Zeitgenosse, von dem mehrere Werke erklingen werden, ist Wolfgang Rihm. Auch er knüpft in seiner Klangsprache immer wieder ans 19. Jahrhundert und an den klassischen Orchesterapparat an.
Wobei in meinen Augen der Kosmos eines Komponisten weniger mit Geschichtsepochen zu tun hat als mit Wahlverwandtschaften, mit der Affinität zu bestimmten Künstlerpersönlichkeiten. Rihm interessiert sich sowohl für Richard Strauss wie auch für den Amerikaner Edgar Varèse oder den italienischen Renaissancemeister Gesualdo. Das ist geradezu ein imaginäres Museum à la André Malraux. Mir gefällt es, nach diesem Prinzip Programme zu entwickeln, Dinge zusammen zu bringen, die historisch nicht parallel laufen, aber aus einer bestimmten Perspektive zusammenpassen. Nach den Worten von Robert Schumann „das Entfernteste miteinander zu verbinden“. In diesem Sinne ist das gesamte 20. Jahrhundert vielleicht sowieso romantisch geblieben.

Kann ich Ihnen die Formulierung abringen, die Komponisten, die 2014 beim Musikfest gespielt werden, schreiben allesamt Musik, die für unerfahrene Hörer leicht zugänglich ist?
Nein! (lacht) Ich jedenfalls empfinde die Musik von Johannes Brahms wie auch die von Richard Strauss, dessen 150. Geburtstag wir ja in diesem Jahr feiern, als enorm herausfordernd. Besonders Brahms Sinfonien haben enorme Dimensionen und diese avancierte Kontrapunktik. Natürlich lässt sich auch bei Brahms ein Unterhaltungswert finden, wenn man sich von der Musik eher dazu anregen lässt, in gedanklich entfernte Welten abzuschweifen, als ihr genau zuzuhören. Ebenso ist es bei Rihm und Widmann. Ich habe ja versucht, in den vergangenen Jahren beim Musikfest zu zeigen, dass gerade die Moderne viel Potenzial hat, den Hörer zu verführen.  Wir sind ja kein Experimentierfestival, sondern eine Plattform für Orchester, sich mit ihrer Arbeit zu präsentieren. Viele Besucher kommen nicht allein der Stücke wegen, sondern, weil sie das Cleveland Orchestra hören wollen, die Bamberger Symphoniker oder die Münchner Philharmoniker. Die Werke werden durch die Präsentation in der Philharmonie gewürdigt, als zugehörig zum Repertoire. Das ist der Unterschied zu Avantgarde-Festivals, wo es darum geht, Dinge erstmalig auszuprobieren.

Eine Neuheit ist, dass 2014 der Klang eines bestimmten Instruments durch sehr viele Abende tönt.
Ja, der Klang des Horns. Das ist ein uraltes Instrument, das aber Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Einführung der Ventile revolutioniert wurde. Das archaische, auf Naturtöne angewiesene Instrument bekommt durch die technische Innovation eine ungeahnte Beweglichkeit, kann nun chromatisch über mehrere Oktaven spielen. Parallel passiert das auch bei anderen Bläsern. Dadurch bekommt auch der Klangkörper Orchester eine ganz neue Flexibilität.

Nur der olle Johannes Brahms war verstockt und wollte sich der neuen Technik nicht öffnen,...
...die in der Tat noch nicht ganz ausgereift war. Wenn Brahms ein heutiges Ventilhorn gehört hätte, wäre sein Widerstand sicher schnell dahingeschmolzen. Schumann wiederum begeisterte sich sofort für die technischen Neuerungen und komponierte ein „Konzertstück für 4 Hörner und Orchester“, das selbstverständlich beim Musikfest erklingen wird. Bei Brahms' Trio wiederum wird Teunis van der Zwart auf einem Naturhorn spielen, bei dem viele Töne „gestopft“ werden müssen, was bedeutet, dass der Spieler seine Hand in den Trichter einführt, wodurch klanglich ganz charakteristische Töne entstehen. Wir präsentieren die gesamte Bandbreite dieses Instruments: Ventilhörner, Naturhörner, Alphörner, natürlich auch das Posthorn, nämlich in Gustav Mahlers 3. Sinfonie, gespielt vom Gewandhausorchester.

Als Ulrich Eckhardt die Festwochen leitete, konnte er im September frei über die Philharmoniker verfügen, durfte in dieser Zeit eigene Dirigenten engagieren, auch solche, die Karajan nicht mochte. Sie arbeiten da anders.
Ja, wir haben eine echte Partnerschaft, die Programme entstehen im Dialog. Der Austausch mit Simon Rattle ist mir enorm wichtig. Ebenso wie der mit den anderen Künstlern. Das ist ein Ideen-Pingpong. Ich würde niemals die Künstler zu zwingen versuchen, ein bestimmtes Werk aufzuführen. 25 Ensembles sind 2014 dabei, und die müssen sich unter einer gemeinsamen Idee zusammenfinden. Das geht peu à peu, wie tektonische Plattenverschiebungen. Oft braucht es drei Jahre Vorbereitungszeit, bis klar ist, wer was und warum übernimmt. Manchmal beginnt man auch mit einem Thema und kommt am Ende zu einem völlig anderen Ergebnis als zunächst gedacht. 

Wenn das Gitternetz der gedanklichen Verbindungen so dicht geknüpft ist, sollte ich dann idealerweise alle Konzerte besuchen, um den Gedankenprozess von Winrich Hopp nachvollziehen zu können?
Nein, natürlich können Sie Ihre eigene Auswahl vornehmen. Genau das muss ein Programm möglich machen. Es ist eine offene Form mit vielen Zugängen. Da wird keine kontinuierliche Geschichte vom 2. - 22. September in einem Zug erzählt. Das Programmmachen ist für mich eher wie Zöpfe flechten: Ich habe verschiedene Stränge, die ich miteinander verbinde, so dass in einem Punkt mehrere Dinge zusammentreffen, die sich dann aber auch wieder lösen. Ich achte darauf, dass bei den Festivalprogrammen stets ein größerer zeitgeschichtlicher Horizont präsent ist. Mein Programm ist eine Einladung, die man auf verschiedene Art und Weise annehmen kann.

Das Gespräch führte Frederik Hanssen.

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