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Pack Badehose ein. Das Strandbad Wannsee in Berlin.

© Sophia Kembowski/dpa

Berliner Ufer 7: Strandbad Wannsee: Easy Living an der Westküste

Berlins Seen gehören zu einem Sommermärchen. Das Strandbad Wannsee ist die schönste Badewanne der Stadt. Ein Ausflug an einen Ort der Mysterien.

Wer’s entspannt mag, nimmt die Bahn. Mit dem Auto ins Strandbad Wannsee? Nur was für Leute, die gerne an der Ausfahrt Spanische Allee im Schneckenkonvoi von der Avus zuckeln, um danach im Schwarm nach den wenigen freien Parklücken am Wannseebadweg zu jagen. Mit der S-Bahn reist man stilechter. Auch hier zeigt sich schnell, wer Ahnung hat und wer nicht. Der richtige Zeitpunkt zum Aussteigen ist nämlich schon am Bahnhof Nikolassee gekommen. Wer tatsächlich bis Wannsee fährt, ist wahrscheinlich Tourist.

Beim anschließenden Fußmarsch durch den Grunewald werden manche schwach und bleiben bei Easy Rider hängen („Traditions-Saisonimbiss anno ’65“). Weil sich’s hier so schön beim Kindl durch den Nachmittag chillen lässt und der Texas-Burger mit Bacon und Cheese nur 4,20 Euro kostet. Also Augen zu und weiter. Im Wald ist es auch schön. Rechts zirpen Grillen, links glitzern Spinnweben in der fleckigen Nachmittagssonne. Ein kurzer Spaziergang nur, aber er klärt den Geist. Und die würzige Nadelholzluft stimmt ein auf das, was einen erwartet. Eines der größten und schönsten Naturfreibäder Deutschlands.

Klare Kante. Die Riegelbauten sind aus den 20er Jahren, im Stil der neuen Sachlichkeit erbaut.
Klare Kante. Die Riegelbauten sind aus den 20er Jahren, im Stil der neuen Sachlichkeit erbaut.

© Kitty Kleist-Heinrich

Bald taucht das Kassenhäuschen auf. Seine spitzgiebelige Heimatarchitektur, die ornamentalen Kacheln mit Fischmotiven, Sprossenfenster und Geranien stehen in seltsamem Kontrast zur Modernität der Gebäude unten am Wasser. Beim Anblick langer Warteschlangen kriegt jeder erst mal einen Schock. Grundlos. Meist geht es schnell, nach zehn Minuten ist man drin. Berlins Seen liegen in einer eiszeitlichen Rinne, von oben hat man den Überblick. Selbst eher kühl temperierten Zeitgenossen geht beim Anblick der weiten, funkelnde Wasserfläche, die durchpflügt wird von Segelbooten und der Fähre nach Kladow, das Herz auf. Ein Gefühl von Erhabenheit, das sich unten am Fuß der Treppe schnell in Luft auflöst. Hier herrscht Dorffest. An den Futterbuden drängeln sich schlabberige Bierbäuche und drahtige Jungathleten für Pizza, Pommes und Hefeweizen. Die ganze Stadt auf einem Fleck.

Die Seen Berlins sind ein Sommermärchen

Berlin ist ja eine ziemlich seltsame Metropole. Entstanden an einem Handelsweg, aber ohne Küste, ohne Berge, die der Erwähnung wert wären, ohne bedeutenden Fluss. Nur die etwas popelige Spree, die umständlich über Havel und Elbe ins Meer mündet. Von der natürlichen Ausstattung her kann die Stadt nur mit ihren Seen prunken, und die gehören tatsächlich in ein Sommermärchen.

Der Wannsee ist der dickste Brocken. Weil er so stadtnah liegt, und weil die Sonne hier abends am gegenüberliegenden Ufer so schön im Wasser versinkt – nicht wie anderswo in den Bäumen versuppt. Der Wannsee ist die Westküste Berlins. Nicht wirklich ein See übrigens, sondern die Ausbuchtung eines Flusses, der Havel – wobei die ja selbst eher einer Seenkette ähnelt als einem fließenden Gewässer. Ehrlich ist sein Name, ohne falschen Glanz, er verführt nicht mit dem Klang von „Lago di Garda“ oder „Starnberger See“ – der übrigens früher ebenfalls einen deutlich prosaischeren Namen trug, nämlich „Würmsee“. Was fürs Münchner Bürgertum offenbar irgendwann nicht mehr tragbar war.

Der Berliner blieb bei seinen Leisten. Der Wannsee heißt einfach so, wie er heißt, eine Verkürzung von „Wannensee“, und als „Berlins Badewanne“ – ein Ehrentitel, den er sich mit der Ostsee teilen muss – ist er auch bundesweit bekannt geworden. Spätestens seit Conny Froboess 1951 die Badehose einpackte. Das Strandbad wurde in Etappen gebaut, der Sand stammt von der Ostsee. Unvorstellbar, dass der damals zuständige Landkreis Teltow das Baden im Wannsee bis 1906 verboten hatte. Unter Leitung von Stadtbaurat Martin Wagner und Architekt Richard Ermisch entstanden in den 20er Jahren die Funktionsgebäude direkt am Wasser, in Riegelbauweise, aber unter Verwendung warmer, mediterraner Farben. Pure Neue Sachlichkeit. Klare Linien und Kanten. Architektur für die Massen. Weltstädtisch.

Wer wohnt bloß in der rosa Villa?

Bei aller Rationalität bietet das Strandbad Wannsee trotzdem Raum für viele Mysterien. Eins davon: Wozu dienen die oberen Wandelgänge, die auch nach der Sanierung 2007 meist verlassen vor sich hinträumen? Wer wohnt in der schönen rosa Villa mit eigenem Bootsanlegesteg, die ganz rechts auf Schwanenwerder aus den Bäumen lugt, deren Fensterläden aber meist verrammelt sind? Warum lassen sich so viele Besucher wie Brathähnchen langsam in der Sonne verbrutzeln? Das Schönheitsideal, dem sie anhängen, ist in die Jahre gekommen, über UV-Strahlen jubelt der Hautkrebs, und die Haut hat ein gutes Gedächtnis. Sie vergisst keinen einzigen Sonnenbrand.

Sanft plätschern die Wellen ans Ufer, Uwe Johnson fiel dafür (in den „Jahrestagen“) das Wort „kabbelig“ ein. Er meinte die Ostsee, aber es passt auch hier. Enten watscheln durchs seichte Wasser. Manchmal kommen Schwäne, dann wird es kurzzeitig unangenehm, denn anders, als ihr überragender Stellenwert in Kitschromanen und Liebeslyrik suggeriert, können Schwäne ziemlich unheimliche Tiere sein, vor allem an Land. Sie trollen sich aber auch bald. So genießt man die Brise, dämmert in den Nachmittag hinein, kurz gestreift vom Gedanken, warum gewisse Worte eigentlich nur für gewisse Tiere reserviert sind, warum nur Enten „watscheln“. Ein kühles Bier lässt die Dringlichkeit der Frage schnell absinken.

Ausguck. Turm im Strandbad Wannsee.
Ausguck. Turm im Strandbad Wannsee.

© Kitty Kleist-Heinrich

Was könnte schöner sein? Vielleicht der Blick auf die versammelten Männer, sofern man ganz rechts liegt, da ist nämlich die FKK-Zone. Was wie überall auf der Welt bedeutet, dass hier auch der schwule Strand entstanden ist. Und damit ein kleiner Kulturkampf. Nicht jeder will sich mehr nackig machen, aber die Freikörper-Anhänger achten mit Argusaugen darauf. Viele von ihnen verbringen den ganzen Sommer hier. Ob sie auch wissen, wie ihre Freunde angezogen aussehen? Die Jüngeren sind gelassener, aber vor allem Alteingesessene sehen ihr Milieu bedroht und schicken schon mal die Security los. Die hat dann den unfreiwillig komischen Job, sich in Uniform vor den Besuchern aufzupflanzen und sie aufzufordern, ihre Badehose auszuziehen.

Pack die Badehose ein, sang Conny Froboess

Was wohl Conny Froboess dazu sagen würde? Sobald die Männer weg sind, ziehen sich die meisten wieder an, das sind die Regeln des Spiels. Ab und zu ein Blick in Richtung Duschen. Dort halten sich viele Badegäste auf, die alles Mögliche im Sinn haben, nur nicht das Duschen. Um den Überblick zu behalten, promenieren sie auch auf den Oberdecks. So werden die wenigstens genutzt. Was das Rätsel nicht löst, warum sie überhaupt existieren. Egal, am besten wieder aufs Handtuch sinken. Den Himmel beobachten. Die Flieger, die in Tegel landen und starten. Fernweh? Nicht hier.

Irgendwann wird der goldene Streifen, den die untergehende Sonne aufs Wasser zaubert, immer länger, und die Bademeister rufen zur rituellen Kinderarbeit auf. Wer Müll wegräumt, bekommt eine Freikarte. Dann weiß man: Es ist Zeit zu gehen. Früher gab es wenig Zwang. Da konnte man einfach bleiben, so lange man wollte, und irgendwann durchs Tor schlüpfen. Geht nicht mehr. Und das Ende kommt grundsätzlich zu früh, gefühlt nach der Regel: Je schöner das Wetter, desto eher schließt das Bad.

Lange haben die Bademeister ihre Besucher mit der Durchsage terrorisiert: „Verehrte Badegäste, in 30 Minuten ist Feierabend.“ Abgesehen von dem angesichts ständiger Erreichbarkeit seltsam unzeitgemäß daherkommenden Begriff Feierabend war daran vor allem ärgerlich, dass ein privater Grund als Druckmittel eingesetzt wurde. Verknüpft mit einem subtilen moralischen Apell: Du wirst doch nicht meinen Feierabend gefährden wollen? Gerne hätte man erwidert: „Was interessiert uns euer Feierabend, wir haben auch Feierabend, deswegen sind wir ja hier.“ Vor einiger Zeit hatten die Bäderbetriebe offenbar ein Einsehen. Die Durchsage ist modifiziert worden, sie lautet jetzt: „In 30 Minuten ist Badeschluss.“ Klingt neutraler, regt weniger auf. Gehen muss man trotzdem. Die S-Bahn fährt übrigens immer genau in dem Augenblick ab, in dem man den Bahnsteig betritt. Kein Problem, gehört auch zu einem typischen Tag am Wannsee.

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