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Gerhard Richter wird 80: Was nur ein Bild vermag

Malerei ist eine andere Form des Denkens: Gerhard Richter wird am Donnerstag 80 Jahre alt – und Berlin schenkt ihm eine großartige Werkschau.

Als Maler maximus gilt er: als Deutschlands größter, vielseitigster, teuerster und scheuester. Darunter geht es nicht, wenn von Gerhard Richter die Rede ist. Nun steht der für all diese Superlative erstaunlich zierliche Mann in der großen gläsernen Halle des Mies-van-der Rohe-Baus in Berlin, den braunen Schal mit beiden Händen um die Schultern stramm gezogen, als wär’s ein Gymnastikband, wandert hierhin und dorthin, plaudert mit den Arbeitern des Aufbauteams, bespricht sich mit seinem Assistenten über die Hängung der Bilder, tauscht die am Boden lehnenden Kleinformate noch einmal gegeneinander aus. Nein, kleiner wird er nicht, der Malerstar, nur normal. Auch der Halbgott des Kunstbetriebs ist am Ende ein Mensch, selbst wenn ihm hier der Olymp bereitet wird mit einer Retrospektive in der Neuen Nationalgalerie. Höher hinaus geht es in Deutschland für einen Künstler nicht mehr.

Doch Gerhard Richter, der am Donnerstag seinen 80. Geburtstag feiert, nimmt diese Verbeugung wie all die anderen Ehrbezeugungen der letzten Jahre und Jahrzehnte, die Preisrekorde, die Einladungen in die großen Ausstellungshäuser der Welt, die hymnischen Kritiken mit der ihm eigenen Bescheidenheit hin. Nach der Londoner Tate Gallery ist die ab Sonntag für das große Publikum geöffnete Berliner Schau huldvoll „Panorama“ überschrieben, als wär’s ein Gipfelblick. Was stimmt. Die rund tausend Gemälde aus dem Richterschen Atelier in Köln, die künstlerische Produktion aus fünf Jahrzehnten, sind wie ein Gebirge, auch wenn in der Neuen Nationalgalerie nicht alle seine Berge, Pässe, Felsmassive versammelt sind, nur ein Ausschnitt von 140 Werken. Und doch bieten sie eine fulminante Rundumschau auf alle Perioden, alle Gattungen. Anders als in London, wo saalweise thematische Kapitel gebildet wurden, ist die Richter-Ausstellung in Berlin chronologisch angeordnet und lässt vor allem darüber staunen, dass der Stilpluralist zeitgleich als gegenständlicher und abstrakter Maler arbeitete. Familienbilder hängen hier neben reinen Farbsinfonien, Stadtansichten neben monochromen Werken.

Richters Porträt seiner späteren Frau Sabine Moritz von 1994 zitiert Vermeers berühmte "Briefleserin".
Richters Porträt seiner späteren Frau Sabine Moritz von 1994 zitiert Vermeers berühmte "Briefleserin".

© dapd, SMB

Wie er denn diese grandiose Präsentation seines Oeuvres erlebe? Aber nein, wehrt der Künstler ab. Er erlebe doch hier nichts; er schaue nur nach, ob alles stimmt. Dabei setzt sein legendäres keckerndes Lachen ein. Dieses Lachen war das Einzige, was einmal von einem Interview blieb, das der scheue Künstler ausnahmsweise gab und dann nicht autorisierte. André Müller, der frustrierte Journalist, schrieb darauf über die Begegnung und zitierte nur das lachende „Hehehe“. Richter, der Freundliche, der erstaunlich Zugängliche und Unkomplizierte, wie er da so inmitten seiner Bilder steht, um ihn die Betriebsamkeit der Ausstellungsvorbereitung, wird bei Fragen sogleich vorsichtig, ausweichend. Festlegen lassen wollte er sich noch nie, weder in eine künstlerische Richtung, noch in eine Deutung seiner Bilder. Ein letzter Versuch, ihm einen Kommentar zu entlocken: Wie er denn die Ausstellung finde? „Schön“, antwortet Richter da, ganz einfach und klar, mit rheinischem Singsang in der Stimme, das beim gebürtigen Dresdner zunächst überrascht. Doch fünfzig Jahre im Rheinland bilden sich nicht nur in der eigenen Malkultur, der Vernetzung mit Kollegen, Kuratoren, Kritikern und Galeristen ab, sondern auch im Sprachklang.

„Schön“, das ist der entscheidende Begriff, mit dem Gerhard Richter auch seine Kunst zu fassen sucht. Dieser in Verdacht geratene Begriff, der mit den Bilderstürmereien der letzten hundert Jahre erledigt zu sein schien und Richter als weiteres Etikett den Ruf des Konservativen eintrug, besitzt auch bei ihm eine kaum greifbare Bedeutung. Und doch stimmt man ihm sofort zu, wenn er auf das große abstrakte Gemälde mit den roten Schlieren deutet, das ganz hinten an der Wand der Nationalgalerie hängt. Gleich daneben ist das berühmte Bild seiner damals elfjährigen Tochter Betty platziert, die einen weißen Frotteebademantel mit roten Blumen und Kapuze trägt und sich zu einem der monochrom grauen Gemälde ihres Vaters umdreht. Es ist die romantische Rückenfigur schlechthin, die hier wieder auflebt, mit dem typischen Blick in die unbestimmbare Ferne. Ja, das ist schön, beide Werke auf ihre Art, in ihnen wohnt ein Glück, ein Gefühl, eine andere Wesensart, eben eine andere Welt, die nur Kunst bescheren kann.

"Die Bilder machen, was sie sollen"

Die Liebe zu Gerhard Richters Bildern – ob sie sich nun in Preisrekorden auf Auktionen (15,3 Millionen Euro im November bei Sotheby’s in New York für ein „Abstraktes Bild“ von 1997) oder Besucherstürmen in seinen Ausstellungen niederschlägt – erklärt sich in der Rettung der Malerei als Ort letzter Rätselhaftigkeit. Von Anfang an scheint es Richters Mission gewesen zu sein, sie vor schnellem Zugriff in Schutz zu nehmen. 1961 verlässt der Absolvent der Dresdner Kunsthochschule die DDR, der im Hygiene-Museum als sein Gesellenstück ein bis heute übermaltes Wandbild in Manier des sozialistischen Realismus hinterließ, um sich an der Düsseldorfer Akademie nochmals einzuschreiben.

Dort begegnet er Sigmar Polke und Konrad Lueg, mit denen er in einem Düsseldorfer Möbelhaus eine „Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“ vorführt, wie der Ausstellungstitel scherzhaft lautete. Munitioniert durch die amerikanische Pop-Art, macht sich Richter über Motive des Alltags her, die er aus Magazinen destilliert. Seine fotorealistischen Bilder mit den typisch verwischten Rändern, etwa von einem Wäscheständer, Küchenstuhl oder Kronleuchter, schwanken zwischen Banalem und Auratischem durch ihre Erhebung zur Kunst, durch die programmatische Verschleierung. Mit jedem Bild scheint Richter zu fragen: Was kann Malerei?

Eine Antwort gab er 1988 mit seinem berühmten Stammheim-Zyklus, inspiriert von schwarz-weißen Presse- und Polizeifotos von Ensslin, Baader und Meinhof, den Stuttgarter Zellen, der Beerdigung und dem Plattenspieler, in dem die Pistole für den Suizid versteckt war. In Berlin wird der heute dem New Yorker Museum of Modern Art gehörende Zyklus im Schinkel-Saal der Alten Nationalgalerie auf der Museumsinsel zu sehen sein. Elf Jahre nach dem letzten großen Akt der RAF bannt Richter hier die Gespenster der Bundesrepublik mit einem Gestus der Trauer und Anteilnahme, der so mitreißend ist, dass der Zyklus die eigentlich längst abgeschriebene Gattung der Historienmalerei wiederbelebt. Mit der malerischen Überhöhung dokumentarischer Momentaufnahmen hält Richter den Zustand eines ganzen Landes fest. „Mein Bilder sind klüger als ich“, hat er einmal in aller Bescheidenheit formuliert. Auch seine Grisaille-Familienbilder der Frühzeit, der im Krieg gefallene „Onkel Rudi“ im Wehrmachtsmantel oder jenes von ihm selbst als Baby mit seiner Tante „Marianne“, die dem Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten zum Opfer fiel, scheinen einer übergeordneten Suche nach Wahrheit zu folgen, eine Art kollektive Verarbeitung zu leisten.

„Malerei ist eine andere Form des Denkens“, sagt Richter in dem Filmporträt von Corinna Belz, das gegenwärtig im Kino läuft. Die Regisseurin beobachtet ihn in seinem selbst entworfenen Atelierhaus in Köln-Hahnwald, wo eine ganze Crew den Künstler umsorgt, Farbe bereitstellt, den Leihverkehr organisiert, die fertigen Bilder abfotografiert und in einem Modell des Mies-van-der-Rohe-Baus als Miniaturausgabe per Magnet probeweise aufhängt. Heute befinden sich die beiden monumentalen abstrakten Bilder, die er damals malte, gleich im Entree der Neuen Nationalgalerie. Wie viele Schichten satter Farbe – mit einem gigantischen Spachtel aufgetragen – hier übereinander lagern, wie viele Tage, Wochen des Probierens, Zauderns zwischen jeder Phase liegen, sieht man ihnen nicht mehr an.

Auch wenn die allgemeine Rezeption anderes vermuten lässt, so liegt doch Richters Schwerpunkt längst bei der abstrakten Malerei, die über zwei Drittel seiner Produktion bildet. „Die Bilder machen, was sie wollen“, so Richter in dem Filmporträt. Sie führen ihr eigenes Leben. Was auf ihnen zu sehen ist? „Nichts“, antwortet Richter nun in Berlin und lacht sein Lachen. Ihr Geheimnis verrät er auch diesmal nicht.

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