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Colin Firth (links) als Lektor Max Perkins und Jude Law als Autor Thomas Wolfe in Michael Grandages "Genius", der Premiere auf der Berlinale feierte und im August ins Kino kommt.

© dpa

Lektoren: Der gute Geist

Erster Leser, Seelentröster, schärfster Kritiker: Der Lektor übernimmt im Zusammenspiel mit dem Autor die verschiedensten Aufgaben. Versuch, einem geheimnisvollen Berufsbild auf die Spur zu kommen.

Der Gärtner ist immer der Mörder, und der Lektor ist immer schuld. Ein falscher Name, ein schiefes Bild, historische Irrtümer, Stilblüten, Langatmigkeit und Rechtschreibfehler – was immer an einem Buch nicht stimmt: Der Lektor ist’s gewesen. Wird er in Rezensionen erwähnt, ist „schlampig“ das Attribut, das man ihm am liebsten anklebt. Nie wird man in einer Besprechung lesen: Das hat er aber fein gemacht. Denn was der Lektor getan hat, weiß der Kritiker nicht. Außer in ein paar historischen Fällen wie bei Harper Lee oder Raymond Carver, wo Jahrzehnte nach Erscheinen spektakuläre Eingriffe in ein Manuskript bekannt wurden.

Der Kritiker soll es auch gar nicht wissen. Diskretion gehört zu den wichtigsten Tugenden des Lektoren-Berufs. Ohne sie gäbe es das Vertrauen nicht, das die Basis der Zusammenarbeit ist. Schließlich lässt der Schriftsteller den anderen in sein Allerheiligstes, seine Werkstatt hinein. Zeigt sich, auch wenn mancher Autor hinterher davon nichts mehr wissen will, nackt.

Wer ist also der Lektor, das unbekannte Wesen?

Häufig eine Frau. (Nur der Einfachheit halber wird hier das generische „er“ benutzt.) Wohl nicht zuletzt wegen ihrer Jahrtausende währenden Sozialisation zum Schattendasein. Denn der Autor ist derjenige, der im Rampenlicht steht, auch für Verdienste seines Lektors gefeiert wird. Selbst wenn dieser heutzutage schon mal als Moderator mit auf die Bühne darf – seine eigentliche Rolle bleibt die des Dieners. Nie devot, immer diplomatisch.

Lektoren sind die ersten und gründlichsten Leser

Dabei ist er als Programmmacher der Bestimmer. Und im wörtlichsten Sinne erst mal der Leser. In der Regel der allererste. Und der gründlichste. „Sandra Heinrici kennt meinen Text besser als ich“, erzählt KiWi-Autorin Eva Menasse, „sie liest ihn so oft und auf so vielen Ebenen“. Prüft Aufbau und psychologische Stimmigkeit, und wenn zweimal dasselbe lateinische Fremdwort auftaucht, fischt sie es garantiert heraus. „Wenn was knirscht“, so Jakob Hein, ist es seine Lektorin Esther Kormann, die ihn darauf aufmerksam macht.

Was er nicht ist: der Korrekturleser. Natürlich muss er (heute mehr denn je) Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik aus dem Effeff beherrschen. Muss belesen sein, um den Rahmen zu kennen, in dem ein Roman erscheint. Das ist es, was Eva Menasse an ihrer zweiten Lektorin, einem guten Geist von über 80 Jahren, so schätzt: „dass sie einen ganz langen Blick in die deutsche Literatur der letzten Jahrzehnte hat“. Fantasie braucht er ebenfalls: um sich zu vorzustellen, wie eine Geschichte sich entwickeln könnte. Als der Protagonist seines gerade erschienenen Romans „Kaltes Wasser“ das Land verlassen muss, Jakob Hein aber selber nicht klar war, warum, schlug ihm Wolfgang Hörner bei Galiani (der wie viele Verleger zugleich Lektor ist) vor, ihn ins Adelsmilieu zu verpflanzen – und plötzlich ging die Geschichte auf.

Wenn man mit Schriftstellern wie Menasse und Hein, Friedrich Ani und Aleš Šteger über ihre aktuellen Erfahrungen sprechen hört, müssen Lektoren schier übermenschliche Wesen sein, gründlich, bescheiden und schnell. Wie Aleš Šteger, selber Lektor und Autor, dessen Roman „Archiv der toten Seelen“ gerade bei Schöffling erschien, sagt: „Mit der Ausdauer eines Boxers, der Begabung zum Zen-Buddhismus.“ Außerdem verlangt der Slowene Röntgenblick und verschärftes logisches Denken. Sensibel und feinfühlig im Umgang mit Autor und Text soll er sein. Ausgestattet, empfahl Günter Kunert einmal, mit einer Elefantenhaut.

Hemmunglos rufen Autoren sogar um Mitternacht an

Denn neben pflegeleichten Schriftstellern in stabilen Lebensverhältnissen, neben jenen, die wie Bernhard Schlink offenbar druckreife Manuskripte abliefern, gibt es all jene, die zumindest in bestimmten Phasen des – sehr einsamen – Schaffensprozesses bedürftig und hypersensibel sind, die getröstet, angefeuert und aufgemuntert werden wollen. Schriftsteller leiden gern unter Größenwahn oder massivem Selbstzweifel oder beidem zugleich. Der Lektor verkörpert da die Zuversicht: dass aus einer Idee, einem Manuskript tatsächlich ein fertiges Buch wird. Hemmungslos rufen Autoren daher noch um Mitternacht ihren Betreuer an, wollen ihre Emails am Sonntagabend umgehend beantwortet bekommen. Ein Lektor ist immer im Dienst. (Ihre Partner wissen ein Lied davon zu singen.)

„Man ist Zumutungen ausgesetzt“, formuliert es Delf Schmidt, Dinosaurier der Branche, wie er sich selber nennt. Schwer zu sagen, wo die Arbeit aufhört, die Freundschaft beginnt. Als „Pingpong-Partner in jeder Lebens- und Manuskriptlage“ stehe der Lektor stets bereit, so Ursula Baumhauer von Diogenes. Es ist mehr als eine Mär aus Hemingways Zeiten, dass er auch als Coach, Therapeut und Saufkumpan auftreten muss.

„Welcher Schriftsteller ist kein Kotzbrocken?“ fragte Raimund Fellinger, Cheflektor des Suhrkamp Verlags, kürzlich im Interview mit dem „Süddeutschen Magazin“. Ein knackiger Vertrauensbruch. Schließlich soll es doch weitergehen, betreut der Lektor im Idealfall mehr als ein einzelnes Manuskript, entwickelt mit dem Autor ein ganzes Werk. Führt mit ihm einen fortlaufenden Dialog, auch wenn es nichts zu lesen gibt. „Beim Vorglühen“ ist nicht nur Eva Menasse das Gespräch mit ihrer Lektorin enorm wichtig.

Als bester Lektor gilt der, dessen Eingriffe der Autor gar nicht bemerkt

Colin Firth (links) als Lektor Max Perkins und Jude Law als Autor Thomas Wolfe in Michael Grandages "Genius", der Premiere auf der Berlinale feierte und im August ins Kino kommt.
Colin Firth (links) als Lektor Max Perkins und Jude Law als Autor Thomas Wolfe in Michael Grandages "Genius", der Premiere auf der Berlinale feierte und im August ins Kino kommt.

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Benedict Wells etwa beschreibt seine Lektorin Baumhauer als „jemanden, der sich extrem gern austauscht, Kritik und Anregungen geradezu herausfordert. Der seine Veränderungsabsichten mitteilt, einen teilhaben lässt.“ Mehrere Versionen seines gerade von der Kritik gefeierten neuen Romans „Vom Ende der Einsamkeit“ hat sie kennen gelernt. „Bei dieser Zusammenarbeit habe ich selbst wahnsinnig viel dazugelernt: Ich durfte miterleben, wie sich in zäher Arbeit und Geduld über Jahre ein Meisterwerk herauskristallisiert hat.“

Für den Kritiker mag der Lektor der Bösewicht sein, für den Autor ist er, wenn’s gut läuft, das Gegenteil: sein Verbesserer, „sein Ermöglicher“, wie Daniel Kehlmann einmal gesagt hat. Das Beste rauszuholen, was drin ist, seinen eigenen Stil und Geschmack dabei in die Abstellkammer zu verbannen, das ist der Job des literarischen Geburtshelfers, wie er gern tituliert wird. „Er muss den Text aus dem Text heraus verstehen,“ verlangt Jakob Hein.

Wie Maxwell Perkins, legendärer Lektor von Hemingway, Fitzgerald und Thomas Wolfe, Hauptfigur des Berlinale-Films „Genius“, empfahl: Man sollte nie versuchen, aus einem Mark Twain einen Shakespeare zu machen – oder umgekehrt. Als bester Lektor gilt der, dessen Eingriffe nicht mal der Autor selbst am Ende noch erkennt, der sich unsichtbar macht.

Für ein Werk brennen, andere mit der Begeisterung anstecken

Im Verlag ist er dessen Verbündeter. Für ihre Schriftsteller zu kämpfen, sagt Friederike Schilbach, die internationale Literaten beim Fischer Verlag betreut, ist ihr größtes Vergnügen. Voraussetzung: dass sie für ein Werk brennt. Muss sie sich doch Monate lang damit beschäftigen und mit ihrer Begeisterung andere anstecken; erst die Kollegen, die Rechte zu kaufen, später die Vertreter, die den Buchhändlern diesen einen Titel zwischen Abertausender anderer ans Herz legen sollen.

So intim ist diese Beziehung, dass manche sie als eheähnlich beschreiben. „Schlimmer!“, meint Aleš Šteger und lacht. Beim gemeinsamen Ringkampf wird an Formulierungen, Figuren, ganzen Kapiteln gezerrt. Und es ist eine Beziehung, die mit dem Erscheinen nicht aufhört. Als „sehr intensiv“ beschreibt Schilbach Lesereisen wie die mit Édouard Louis im letzten Jahr: Zehn Tage lang miteinander unterwegs, jeden Abend eine andere Veranstaltung, „da lernt man sich wahnsinnig gut kennen. Das schweißt sehr zusammen.“ Bei anderen kommt es zu Trennungen. Das Gefühl des Verlassenwerdens kennen beide Seiten. Aber auch das Miteinanderweggehen aus einem Verlag.

Und das sollen nun echte Menschen sein und kein romantisches Ideal? Doch: In literarischen Verlagen gibt es das noch, das gute Lektorat. Deutschland ist, trotz aller Konzentration, auch in dieser Hinsicht ein Bücher-Paradies. Anderswo werden Manuskripte einfach durchgewunken.

Der Lektor wird höchstens im Kleingedruckten des Impressums erwähnt

Natürlich ist der ökonomische Druck enorm gewachsen, gibt es immer mehr Titel und immer weniger Zeit, immer vielfältigere Aufgaben; manche Lektoren kommen sich jetzt eher wie Produktmanager vor. Häufig wird inzwischen outgesourct. Dann übernimmt ein freier Lektor die Arbeit am Text, während sich der festangestellte stärker um organisatorische Dinge kümmert. Selbst Self-Publisher heuern inzwischen freie Lektoren an. Gerade die Erfolgreichen haben gemerkt, dass es nicht reicht, sein Manuskript dem besten Freund zu lesen zu geben, der dann begeistert in die Hände klatscht.

Übersetzer haben mit Erfolg für mehr Anerkennung gekämpft, jeder Fotograf eines Autorenportraits wird genannt, so wie der Gestalter des Buchumschlags. Und der Lektor, der dem Übersetzer geholfen hat, den Ton des Originals zu treffen? Der sich Monate mit einem Werk beschäftigt? Wenn er Glück hat, wird er im kleingedruckten Impressum erwähnt. Oder in der Danksagung. Was manche als eher peinliche Ehre betrachten. Raimund Fellinger verbittet sich das, plädiert für Anonymität. (Auch wenn er sich im SZ-Magazin als Star feiern lässt.)

Am Ende bleibt es dem Leser überlassen, den Lektor, auch wenn er namenlos bleibt, selbst wenn man nie wissen wird, ob er viel oder wenig zum fertigen Text beigetragen hat, nicht zu vergessen.

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