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Das gelbe Band. Die „Luchtsingel“ (Luftgracht) verbindet den entstehenden Park Pompenburg (links) und den alten Bahnhof Hofplein (rechts) mit dem Stadtzentrum quer durch den Schieblock (Hintergrund) zum neuen Hauptbahnhof. Der Kreisel markiert das alte Stadtzentrum Rotterdams und korrespondiert mit dem Kreisverkehr Hofplein links im Bild.

© Ossip van Duivenbode

Make City in Rotterdam: Ein Laufsteg als Ausweg

Make City: In Rotterdam führt die „Luchtsingel“-Brücke zu neuem Betrieb in einstiger Einöde.

Eine Brücke kann Gräben überwinden, Menschen zueinanderbringen, ja, sie kann Impulse im Stadtraum setzen, allein durch die Tatsache, dass sie einfach da ist. So gesehen und geschehen im Norden von Rotterdam, wo am vergangenen Sonnabend die „Luchtsingel“ – die „Luftgracht“ – eröffnet wurde, eine temporäre Brücke zur Vernetzung eines leer stehenden Bürogebäudes mit seiner Umgebung.

Einst stand dieser „Schieblock“ inmitten eines quirligen Stadtviertels mit dem damaligen Hauptbahnhof in Rotterdam Noord. Doch seit mehr als 30 Jahren verwaist das Gebiet. Dazu trägt vor allem die sechsspurige, tiefergelegte Hauptverkehrsstraße Schiekade bei, die das Areal mit ihrer Straßenbahntrasse in der Mitte förmlich zerschneidet. Gekreuzt wird diese Magistrale von der künftigen Hochgeschwindigkeitstrasse. Trotz einiger Grünflächen: Keine Umgebung, in der man sich wohlfühlt. Sie ist durch Leerstand geprägt. Aber der wirkt bekanntlich wie ein Magnet auf Kreative.

„Vor 15 Jahren zogen wir in den Schieblock. Wir haben uns in dieses Bürohaus eingenistet und rasch ausgebreitet“, sagt Kristian Koreman, Gründungsdirektor des Architekturbüros ZUS (Zones Urbaines Sensibles) und Mitinitiator der 390 Meter langen Holzbrücke, die disparate Ecken dieser unwirtlichen Gegend miteinander ins Spiel bringt. „Wir wollten Aufmerksamkeit für dieses alte Stück Stadtzentrum wecken, Dinge verbinden, die getrennt sind – auch wenn die Lösung nur temporär ist.“

25 Euro für ein Brett der Brücke

Eben ist Koreman aus Berlin zurück, wo er beim „Make-City-Festival“ über das Projekt berichtet hat: „Wir haben 200 offizielle Dokumente der Stadt studiert und nur Chaos vorgefunden. Es gab keine Idee für dieses Viertel. Wir sagten uns ,Make City’ – wir nehmen die Stadt als Ausstellung“, sagt Koreman. Zunächst wurde ein neuer Boulevard geplant. Er sollte zwischen dem kürzlich eröffneten hypermodernen Hauptbahnhof und dem alten Hauptbahnhof Hofplein, liegen, der als eine der ersten Betonkonstruktionen Europas – mit Bögen unter den Bahnsteigen – Furore machte.

Um Geld für eine Brücke zu bekommen, ging Koreman mit ZUS an die Öffentlichkeit. Für 25 Euro konnte und kann man sich ein Brett der Brücke kaufen – und sich gleich darauf verewigen lassen. Die Gravur des Namens wird an Ort und Stelle ambulant von ZUS übernommen. Innerhalb weniger Wochen wurden 17 000 Bretter verkauft. Und so führte der erste Brückenabschnitt gleich über die lärmende und trennende Schiekade, den hässlichen Straßengraben.

Mächtig Vortrieb erhielt die Brücke, als Rotterdams Bürger im Jahr 2011 im Rahmen einer städtischen Initiative dazu aufgerufen wurden, Projekte zur Stadterneuerung einzureichen. Die Luchtsingel kam auf 48 Prozent der Stimmen und gewann damit deutlich. 2012 wurde die Stiftung „Stichting De Luchtsingel“ gegründet. Hier sitzen Vertreter der Stadt und Wirtschaft und Kreative beisammen, um das Preisgeld – immerhin vier Millionen Euro – sinnvoll einzusetzen.

Auf der alten Trasse wachsen Obstbäume

Inzwischen führt die gelb gestrichene Holzbrücke an zwei weiteren Hochhäusern vorbei bis zu einem Kreisel, der das alte Stadtzentrum von Rotterdam markiert. Es wurde durch deutsche Bomben im Zweiten Weltkrieg zerstört. Von hier aus zweigt die Hochbrücke ab zum 2010 stillgelegten Bahnhof Hofplein. In den Bahnbögen haben sich Designläden und Cafés angesiedelt; sie profitieren von der neuen Verbindung wie auch jene Bewohner der einst durch die Bahnlinie vom Zentrum abgeschnittenen Wohngebiete.

Der Kreisel in der Brücke markiert das historische Stadtzentrum, das im deutschen Bombenhagel vor 75 Jahren untergegangen war.
Der Kreisel in der Brücke markiert das historische Stadtzentrum, das im deutschen Bombenhagel vor 75 Jahren untergegangen war.

© Ossip van Duivenbode

Das Dach des Bahnhofs wurde mit einem Gemeinschaftsgarten begrünt, es wurde ein Reetfeld angelegt. Die Pflanzen stammen aus einem zwei Kilometer entfernten Polder. Auf der alten Trasse wachsen die ersten Obstbäume. Es wäre ein Traum, die nächsten zwei Kilometer der alten Bahntrasse bis zum Polder in das Luchtsingelprojekt zu integrieren: Dann wäre man rasch in der Natur.

Ein anderer Zweig führt in Richtung Stadt – zum neu anzulegenden Park Pompenburg. Noch stehen hier nur zwei Container. In dem einen werden Blumen verkauft, im anderen Pfannkuchen. „Es ist der Versuch, kleinen Unternehmern eine Chance zu bieten“, sagt Koreman.

Der Besitzer eines noch leer stehenden Hochhauses an der Schiekade prüft bereits, ob er einen neuen Eingang zur Brücke hin anlegen soll, um das Haus an das hölzerne Wegenetz zu bringen. „Wir überlegen, ob wir einen weiteren Abzweig zum vierstöckigen Parkhaus legen sollen, denn der Besitzer spielt mit dem Gedanken, dort Sportplätze und einen Pool anlegen zu lassen“, sagt Koreman über die nächste Ausbaustufe. Der Schieblock beherbergt jetzt rund 80 kreative Unternehmen.

Auf der Sonnenseite der Stadt

Auf dem langgestreckten Dach wurde ein offener Garten mit einigen Bienenvölkern angelegt. Die Gastronomie wird mit frischem Grünzeug beliefert, und Kinder aus der Nachbarschaft können hier ein Stück Natur kennenlernen.

Nachdem die Luchtsingel-Verbindung den Schieblock durchlaufen hat, führt sie über eine Treppe und einen niedrigen Vorbau zu einem Parkplatz. „Den haben wir zum Teil auch schon erobert, statt Autos stehen jetzt hier Container und Stände mit Gastronomie. Das hat sich ziemlich schnell entwickelt“, sagt Koreman. Angrenzende Gewerbetreibende denken bereits darüber nach, ob sie sich nicht auch zum bisherigen Hinterhof hin öffnen sollten. Andere erwägen, ihre Flachdächer zu begrünen.

Der Designladen im Schieblock verkauft mit wachsendem Erfolg lokale Rotterdamer Produkte. Überquert man den Parkplatz des Schieblocks in Richtung Hauptbahnhof, kommt man zu einer kleinen Gasse, die immer mit Eisentor verschlossen war. Nun wurde das Tor entfernt, gelbe Farbe markiert einen neuen Weg durch das Grau der Architektur. Und schon ist man dank dieser autofreien Abkürzung am neuen Bahnhof.

„Mit dieser gelben Brücke markieren wir die Sonnenseite der Stadt und bringen Licht in Fifty Shades of Grey“, sagt Koreman. Die Erlaubnis der Stadt gilt für zehn Jahre, sie kann um fünf Jahre verlängert werden. Make City – das hat in Rotterdam schon einmal gut angefangen.

Mehr im Internet: www.luchtsingel.org

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