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Virtuosen der Verweigerung. Vater und Sohn in der Episode „Der schlechte Hausaufsatz“.

© Erich-Ohser-Stiftung, Plauen

Der Zeichner von "Vater und Sohn": Wie e.o.plauen aus der Reihe tanzte

Erich Ohser alias e.o.plauen ist vor allem als Zeichner der Cartoon-Serie „Vater und Sohn“ berühmt. Sein widersprüchliches Leben ist weniger bekannt. Nun erhellen eine Biografie und eine Ausstellung auch die düsteren Seiten seines Lebens - 70 Jahre nach seinem Freitod in NS-Haft.

Sein Tod ist eine Flucht. Als Erich Ohser, inhaftiert im Gefängnis von Berlin-Moabit, am Abend des 5. April 1944 die Vorladung des Volksgerichtshofs zum Prozessauftakt am nächsten Morgen erhält, entschließt er sich, diesen Morgen nicht mehr erleben zu wollen. Denn der Ausgang des Verfahrens wegen „Wehrkraftzersetzung“ und „landesverräterischer Feindbegünstigung“ steht von vornherein fest: Todesurteil. Der Gefangene schreibt einen wütenden Brief an das Gericht, in dem er seine Richter als „Mörder“ beschimpft und um Gnade für den mitangeklagten Freund Erich Knauf bittet, der unschuldig sei. Den Abschiedsbrief an seine Frau Marigard beendet er versöhnlich: „Ich gehe mit glücklichem Lächeln.“ In den frühen Stunden des 6. April wird sein Leichnam in der Zelle entdeckt. Das Protokoll vermerkt: „Um 6 Uhr früh fand der Nachtdienstbeamte Ohser am Fenstergitter erhängt vor. Er hatte sich aus dem Handtuch eine Schlinge gefertigt.“

So endet vor 70 Jahren das Leben des Schöpfers der berühmten „Vater und Sohn“-Bildgeschichten: mit einem Selbstmord, der eigentlich ein Justizmord war. Seinen Mitgefangenen Knauf konnte Ohser nicht retten. Der Journalist, der zuletzt als Pressechef bei der Produktionsgesellschaft Terra Film gearbeitet hatte, wurde am 2. Mai 1944 im Zuchthaus Brandenburg enthauptet.

Erich Ohser und Erich Knauf kannten sich seit den frühen zwanziger Jahren aus Leipzig, wo Ohser an der Kunstakademie studiert hatte. Zusammen mit Erich Kästner waren „die drei Erichs“ bald dichtend, zeichnend, schreibend zu lokalem Ruhm aufgestiegen. Zum Verhängnis wurde Ohser und Knauf die Schwerhörigkeit des Künstlers. In ihrer Wohnung in Berlin-Kaulsdorf und im Luftschutzkeller erzählten sie einander lautstark Witze über den „Dümmsten aller Emporkömmlinge“ (Hitler) und seinen „Zwerg“ (Goebbels). Ein Nachbar, den sie für vertrauenswürdig hielten, war SS-Mitglied. Er protokollierte die Gespräche und reichte sie an die Gestapo weiter.

Künstlerpaar. Erich Ohser und seine Frau Marigard Bantzer im Jahr 1943.
Künstlerpaar. Erich Ohser und seine Frau Marigard Bantzer im Jahr 1943.

© Erich-Ohser-Stiftung Plauen

Erich Ohser starb als Regimegegner. Aber er gehört nicht zu den Helden des Widerstands, sein Fall liegt komplizierter. Wie windungsreich und widersprüchlich dieses Leben war, das mit 41 Jahren endete, das lässt sich jetzt in der ersten Biografie über den Zeichner nachlesen, die gerade erschienen ist. Die Autorin Elke Schulze konnte bei ihren Recherchen auf bislang unbekanntes Material aus dem Künstlernachlass zurückgreifen, sie spricht von einem „Zwiespalt“, was Ohsers Rolle in der NS-Zeit angeht. Man könnte auch härter diagnostizieren, denn der Karikaturist, der die Nationalsozialisten verachtete, ließ sich dennoch von ihnen vereinnahmen und in die Propagandamaschinerie des Dr. Goebbels einspannen.

Nach Hitlers Machtantritt änderte sich seine Auftragslage dramatisch

Bereits in der Endphase der Weimarer Republik hatte es Erich Ohser zum gefragten Star-Zeichner gebracht. Seit 1927 in Berlin ansässig, schuf er Illustrationen für die sozialdemokratische, von Erich Knauf geleitete „Büchergilde Gutenberg“ und belieferte Blätter wie den „Vorwärts“, die „Neue Revue“ und den „Querschnitt“ mit Witzzeichnungen und Karikaturen. Doch nach Hitlers Machtantritt 1933 änderte sich die Auftragslage für ihn dramatisch. Bücher, die er für Erich Kästner illustriert hatte, wie „Herz auf Taille“ oder „Gesang zwischen den Stühlen“, landeten auf dem Scheiterhaufen, und der „Reichsverband der deutschen Presse“ verweigerte ihm die Aufnahme, was einem Berufsverbot gleichkam. Ohser wurde vorgeworfen, „unerhörte Zeichnungen gegen die nationalsozialistische Bewegung“ im „Vorwärts“ veröffentlicht zu haben. In dieser Zeit fiel der Ehefrau Marigard Bantzer, die Kinderbücher und Adventskalender produzierte, die Rolle der Familienernährerin zu.

„Vater und Sohn“ wurden Ohsers Rettung. Im Herbst 1934 wird der Zeichner von Kurz Kusenberg, Redakteur des Ullstein-Verlags, angesprochen, der auf der Suche nach einer „stehenden Figur“ für sein Erfolgsblatt „Berliner Illustrirte“ ist. Nach dem Vorbild der Comics in amerikanischen Zeitungen soll Woche für Woche eine fortlaufende Bildgeschichte erzählt werden. Ohser liefert den Entwurf eines Abenteuers, das einen kugelrunden Mann und ein strubbelköpfiges Kind als Helden hat. Doch die erste Folge von „Vater und Sohn“ kann erst erscheinen, nachdem der politisch verdächtige Künstler eine Ausnahmegenehmigung vom Propagandaministerium erhalten hat. Goebbels persönlich bestimmt, dass der Grafiker ausschließlich als „unpolitischer Pressezeichner“ zu arbeiten habe – unter einem Künstlernamen. So erfindet Ohser sich neu als e.o.plauen, eine Reverenz an die vogtländische Stadt, in der er aufgewachsen ist.

Vater und Sohn waren anarchische Rebellen. Aber Ohser hat auch Hetzkarikaturen gegen die Alliierten gezeichnet, in der Zeitschrift "Das Reich".

Im Erich-Ohser-Haus in Plauen läuft bis 19. Oktober eine große Ausstellung anlässlich von e.o.plauens 70. Todestag.
Im Erich-Ohser-Haus in Plauen läuft bis 19. Oktober eine große Ausstellung anlässlich von e.o.plauens 70. Todestag.

© dpa

Vater und Sohn, schon von zeitgenössischen Kritikern als „Parterre-Akrobaten des Lebens“ gerühmt, sind Virtuosen der Verweigerung. In einer Welt, die im Gleichschritt marschiert, tanzen sie aus der Reihe. Sie trotzen allen Uniformträgern und sonstigen Autoritäten, dem spitzbärtigen Lehrer in der Episode „Der schlechte Hausaufsatz“, dem Parkwächter in „Hoffnungsloser Fall“ oder dem Polizisten in „Täuschende Nachahmung eines Kindes“. Drei bis acht Bilder benötigt Ohser, um eine Geschichte zu erzählen, und meist kommt er dabei ohne Worte aus. Dieser Minimalismus erklärt den anhaltenden Erfolg der Serie, die bis heute im Schulunterricht eingesetzt und selbst in China und Indien gedruckt wird.

"Vater und Sohn" waren ein Hit: Es gab sie auf Tassen und als Porzellanfiguren

Schon die zeitgenössischen Leser der „Berliner Illustrirten“ waren begeistert von den anarchischen Rebellen. Die Auflagen von Sammelbänden gingen in die Hunderttausende, bald gab es „Vater und Sohn“ als Porzellanfiguren, auf Tassen oder in der Werbung für Zigaretten und Kaffeefilter. Als Ohser, der es inzwischen zu Reichtum und einem Atelier am Tauentzien gebracht hatte, der Rummel zu viel wurde, beendete er 1937 die Serie.

„Ich zeichne gegen die Alliierten – und nicht für die Nationalsozialisten“, so hat Ohser gegenüber seinem Freund Hans Fallada seine Arbeiten im „Dritten Reich“ gerechtfertigt. 1940 war dem Zeichner die Mitarbeit an der neu gegründeten Wochenzeitung „Das Reich“ angeboten worden, die von Goebbels als politisch gemäßigtes Vorzeigeblatt konzipiert worden war. Ohser nahm an, wohl auch um seine UK-Stellung zu behalten und nicht an die Front zu müssen.

Nun zeichnete er Woche für Woche aggressive, ressentimentgeladene Karikaturen, die Russland als bösartigen Wolf oder Churchill als verschlagenen Betrüger zeigten. Ohser verstand sich als Patriot und war eingefleischter Antikommunist. Bei einer Reise mit Erich Kästner nach Moskau und Leningrad hatte er 1930 gesehen, in welcher Armut und Angst die Intellektuellen dort lebten. So wurde aus den Kompromissen mit dem NS-Regime langsam eine Kapitulation. „Weit entfernt von der Freundlichkeit von Vater und Sohn wird Ohsers Virtuosität nunmehr böse“, urteilt die Biografin Elke Schulze.

Wer den ganzen Erich Ohser kennenlernen möchte, der sollte nach Plauen fahren. Im Erich-Ohser-Haus, das seit 2004 den Nachlass des Künstlers verwahrt, ist die Ausstellung „Vom Paradies der Kindheit“ zu sehen. Erstmals werden dort Erich Ohsers dynamisch bewegten Karikaturen die harmonischen, detailliert ausgeführten Kinderbuchillustrationen seiner Frau Marigard Bantzer gegenübergestellt. Das Museum befindet sich in einem mittelalterlichen Wehrturm. Oben steht der wuchtige Schreibtisch des Zeichners mit seinem Tuschefässchen, daneben sind die „Vater und Sohn“-Cartoons aufgereiht, dann steigt der Besucher vorbei an expressionistisch angehauchten Zeichnungen und Grafiken der zwanziger Jahre buchstäblich hinab in einen Abgrund. Denn im Untergeschoss ist Ohsers andere Seite ausgebreitet, seine Vorliebe für das Schaurige, Groteske und Schwarze.

Neben einer Radierfolge, in der Gehenkte von Krähen attackiert werden, hängen auch die Karikaturen für „Das Reich“. Stalin an einem Verhandlungstisch voller Geköpfter, Churchill als Kolonialmörder. Ein Gruselkabinett über die Verführbarkeit der Kunst.

Elke Schulze: Erich Ohser alias e.o. plauen. Ein deutsches Künstlerschicksal, Südverlag, Konstanz 2014, 144 S., 24 €.

Die Ausstellung Erich Ohser und Marigard Bantzer: Vom Paradies der Kindheit im Erich-Ohser-Haus Plauen läuft bis 19.10. Infos: www.e.o.plauen.de

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