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Ledermann für jedermann. Jagger 2007 bei einem Konzert in Oslo.

© AFP

Mick Jagger wird 70: So sexy! Purer Sex! Er ist göttlich!

Mick Jagger wird 70. Der Frontmann der Rolling Stones hätte auch Banker oder Politiker werden können, doch der Mann mit den teuflischen Lippen sagte: „Ich singe gern“.

Ein magischer Moment der Rockgeschichte ereignete sich im Herbst 1961 auf der Bahnstrecke zwischen London und Dartford, einem Pendlerstädtchen in der Grafschaft Kent. Auf dem Bahnsteig kreuzen sich die Wege von Mick Jagger und Keith Richards. Sie kennen sich flüchtig von der Primary School, nun kommen sie zum ersten Mal miteinander ins Gespräch. Und zwar wegen der Platten, die Jagger unter dem Arm trägt, kostbaren Importen aus Amerika, darunter „Rockin’ at the Hops“ von Chuck Berry und „The Best of Muddy Water“. Beide sind Rock’n’Roll-Fans und – mehr noch – Blues-Fans. Sie fahren zusammen nach Hause. „Ich hab noch mehr solcher Alben zu Hause“, sagt Mick. Keith lädt ihn auf eine Tasse Tee zu sich ein. Und erzählt, dass er Gitarre spielt, eine elektrische Hofner. „Was kannst du?“, fragt Keith. Mick antwortet: „Ich singe gern.“

Die Episode aus dem Zug gehört zu den Gründungsmythen der Rolling Stones. Jagger und Richards, die in Dartford als Hörer von Radio Luxemburg vom neuen scheppernden Sound aus den USA infiziert worden waren, begannen als Plattensammler, wurden Musiker und entwickelten sich schließlich zu einem der erfolgreichsten Songwriter-Gespanne des Pop. Die Stones, die am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee Club ihr erstes Konzert gaben, sind noch immer unterwegs. Gerade hat sie ihre weltumspannende Jubiläumstournee auf das englische Glastonbury-Festival geführt.

Mick Jagger, der heute seinen 70. Geburtstag feiert, gilt als ewiger Rebell. Dabei hat er nie wirklich rebelliert. „Ich hatte keine wilde Jugend“, sagt er. Die Familie, in die er am 26. Juli 1943 hineingeboren wurde, gehörte zur gehobenen, poshen Mittelschicht. Sein Vater war ein Sportlehrer und Fitnessfanatiker. Der Sohn schaffte den Sprung an die elitäre London School of Economics, er hätte auch Banker oder Politiker werden können. Als er sich mit Brian Jones und Keith Richards ein möbliertes Apartment mit fließend kaltem Wasser in Kensington teilte, verbrachten die anderen beiden ihre Tage mit dem Hören und Nachspielen von Blues-Platten. Jagger besuchte weiter seine Vorlesungen und fuhr nach Dartford, um saubere Wäsche zu holen.

Mick Jagger funktioniert nur im Kontext der Rolling Stones. Sein letztes Soloalbum verkaufte sich schlecht.

Rock’n’Roll-Geschäftsmann, Jetset-Promi, Kontrollfreak, Geizhals – das sind Etiketten, mit denen Jagger leben muss. Die Zuneigung des Publikums gehört eher Richards, dem unbeugsamen Gitarristen, der jahrelange Heroinsucht überlebte und zu einem mit Totenkopfring und Kajalstift geschmückten Kauz wurde. Aber ist das gerecht, dass Keith als würdevoll gealterter Dandy gilt, Mick hingehen bloß als gewöhnlicher Sterblicher? So fragt der New Yorker Autor Marc Spitz in seiner 2012 auf Deutsch erschienenen Jagger-Biografie. Zu diesem Bild hat Richards erheblich beigetragen. Er nannte Jagger einen „Kühlschrank“ und sparte in seiner Autobiografie „Life“ nicht mit spitzen Bemerkungen, bis hin zum Spott über die Größe der Genitalien des Sängers. Jagger hat längst aufgehört, sich rituell zu verteidigen, sein Image scheint ihm egal zu sein.

Ursprünglich waren die Rolling Stones die Band von Brian Jones. Der ehrgeizige Leadgitarrist war ein begnadeter Arrangeur. Dass er als Anführer der Band ausgebootet und durch Jagger ersetzt wurde, lag am Manager Andrew Oldham, der die Stones von kompromisslosen Adepten des Delta-Blues zu Popstars verwandeln wollte. Er setzte auf das Autorenduo Jagger/Richards, das seine erste selbstgeschriebene Nummer, die Ballade „As Tears Go By“, allerdings Marianne Faithfull überließ, Jaggers zeitweiliger Geliebter. „Aftermath“, 1966 erschienen, war das erste Album, das ausschließlich Kompositionen von Jagger und Richards enthielt. Von da reicht die Liste der großen, kanonischen Stones-Platten bis 1972/73, bis zu „Exile on Main Street“ und „Goat’s Head Soup“. Brian Jones, der wegen Drogeneskapaden aus der Band geflogen war, starb 1969 im Swimmingpool.

„Sie sind so sexy! Purer Sex. Sie sind göttlich!“, schrieb der Schriftsteller Tom Wolfe schon 1965 über die Stones. Gemeint war vor allem Mick Jagger, der Mann mit den „teuflischen Lippen“. Seinen hoch energetischen, exhibitionistischen Tanzstil hat er von Tina Turner abgeschaut. Bis heute ist Jagger der Motor der Band, die es ohne sein stetes Drängen auf neue Projekte wohl nicht mehr geben würde. In den Phasen ohne Auftritte und Aufnahmen soll die Kommunikation zwischen den Musikern auf Eis liegen. Mick Jagger hat fünf Soloalben veröffentlicht, das letzte hieß „Goddess in the Doorway“. Als es 2001 herauskam, wurden in der ersten Woche in Großbritannien nur 900 Stück verkauft. Ein kommerzielles Fiasko.

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