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Avatar und Co.: Oscar-Favoriten: König oder Königin

„Avatar“, „Hurt Locker“, „Inglourious Basterds“: Die Oscar-Favoriten sind hochkarätig wie lange nicht

Die faszinierendste Szenerie des an faszinierenden Szenen überbordenden filmischen Geniestreichs „Avatar“ steckt vielleicht in jenen Ewigkeitssekunden, in denen der Lebensbaum des Planeten Pandora in sich zusammenstürzt. Der – gefühlte – Hunderte von Metern hohe Koloss, luftwurzelumschlungen und mit mächtiger Krone wie die Titanen unserer Tropenwälder ist die Heimat der blauhäutigen Ureinwohner Pandoras, denen eine gewaltige Militärmaschinerie den Garaus machen will. Tief unter dem Baumriesen lagern wertvolle Bodenschätze, und da kann, so denken die Söldner des von Erdlingen betriebenen Energieunternehmens, ein zünftiger Raketenbeschuss nebst Feuerwalze nicht schaden.

Eine Untergangsmetapher von vielen im neuesten Hollywoodkino, das in dieser Sonntagnacht bei der Oscar-Gala seine Kräfte misst – und zugleich ein Bild aus einer grandios erfundenen Welt, deren visuelle Überwältigungskraft alles andere überstrahlt. Schleichender, aber ebenso wirkungsvoll, geht der aus der aktuellen Wirtschaftskrisenrealität gewonnene Horror unter die Haut, wie ihn etwa Jason Reitman in „Up in the Air“ scheinbar leichthin skizziert. Eine US-Firma schmarotzt am Massensterben großer Unternehmen, indem sie deren unerfreuliche Entlassungsgespräche gleich in Serie übernimmt. Hübscher Clou: Die Firma geht gerade selber auf Sparkurs. Eine so spitznasige wie schmallippige Arbeitsbiene entwickelt das Modell Massenkündigung per Videotelefonie – und bedroht damit den reiseintensiven Job eines Altgedienten, der es netter findet, den Gefeuerten wenigstens real gegenüberzusitzen.

Kühnes Fantasie- und Evasionskino gegen präzis aus der Aktualität gewonnene Stoffe. Gigantischer, digital generierter Bildschöpfungsaufwand wie in „Avatar“ gegen souveränes Schauspiel echter Menschen, wie Anna Kendrick und George Clooney in „Up in the Air“: Das sind die Welten, die im Kreis der erstmals zehn statt fünf konkurrierenden Kandidaten für die Top-Trophäe „Bester Film“ gegeneinander antreten.

Sie mögen von allerhand Krisen und Kriegen, Kollisionen und Katastrophen erzählen, von der Nazi-Diktatur („Inglourious Basterds“) über den Irak-Bombenterror („The Hurt Locker“) bis zu brutalen Familienstrukturen im afroamerikanischen Harlem („Precious“); in ihrer kinematografischen Kraft aber sind sie vital und vielfältig wie lange nicht. Dabei kann der Monumentalfilm ebenso politisch gelesen werden, wie das medienrealitätshungrige Kino immer wieder auf überzeitliche Bedingungen der menschlichen Existenz verweist. Und das macht die Qual der Oscar-Wahl umso schöner.

Die genannten Titel unter den zehn Nominierten Filme konkurrieren auch um die beste Regie – und tatsächlich dürfte der große Sieger unter diesen fünf zu finden sein. Den mit Abstand großartigsten Radau macht James Camerons filmischer Schöpfungsakt „Avatar“, gegen den sein Welthit „Titanic“ sich wie eine Fingerübung aus einem sehr vergangenen Jahrtausend ausnimmt. Weniger wegen seiner Kolossalfilmtonspur oder den unaufhörlichen Erfolgsmeldungen (in Deutschland steht „Avatar“ kurz vor der zehnten Zuschauermillion) als wegen der lärmenden Phalanx seiner Gegner: Amerikanische Rechte sehen das US-Militär verunglimpft, die chinesische Regierung kippt den Film aus den Kinos, weil er als Protest gegen die Kahlschlagsanierung in ihren Megalopolen verstanden wird, postsportive Feministinnen finden die Armmuskeln der Ureinwohnerinnen zu dünn, und die US-Antiraucherliga tobt, weil Sigourney Weaver im Weltraumlabor Kette rauchen darf. Viel Feind, viel Ehr’!

Zweifel an der Zugkraft von „Avatar“ sind eher an anderer, für die Filmindustrie viel empfindlicherer Stelle angebracht. Er macht prächtig Werbung und Kasse für das 3D-Erlebniskino, ist aber in dieser Hinsicht so überragend, dass er nahezu alle Konkurrenten blass aussehen lässt. Jüngstes Beispiel: Tim Burtons „Alice im Wunderland“ mag aus allerlei Gründen gefallen, seine 3D-Figuren wirken plan wie Schnittmusterpüppchen in auffaltbaren Panoramen aus Pappmaché.

Tatsächlich dürften Ereignisse wie der 400 Millionen Dollar teure, über ein Jahrzehnt lang entwickelte „Avatar“ zu selten bleiben, um Kinobesitzer massenhaft zur 3D-Aufrüstung zu verführen. Das von ihnen herbeigesehnte neue Alleinstellungsmerkmal, das die flatscreenverwöhnten Couch Potatoes zurück in die großen Säle treibt, ist ohnehin schon Makulatur. Die Entwicklung des 3D-Heimkinos geht rasant voran, und dass der neue Leinwand-Hoffnungsträger James Cameron selber dabei mitmischt, spricht Bände.

Numerisch stärkster Konkurrent von „Avatar“ ist, mit ebenfalls neun Nominierungen, der politisch und emotional gleichermaßen packende „Hurt Locker“. Schon die Regie-Nominierung für Kathryn Bigelow bedeutete für die überwiegend aus gereiften Filmleuten bestehende, rund 6000 Mitglieder umfassende Academy of Motion Picture Arts and Sciences eine ächzend emanzipatorische Anstrengung: Bigelow ist die vierte Frau in der 82 Jahre langen Geschichte der Oscar-Kandidaten, gewonnen haben bis heute nur Männer. Ihr Sieg wäre eine Sensation, „Ich bin die Königin der Welt“ könnte Camerons Ex-Frau dann ausrufen.

Nicht nur, weil das Thema Irak im Kino mittlerweile weniger en vogue ist, sondern weil der Film sein schmales 11-Millionen-Dollar-Budget zu Hause nur so eben eingespielt hat. Flops aber schätzt die Academy nicht besonders. Zumal sie nach Jahren mit ehrgeizigen Außenseiterfilmen und entsprechend mageren Einschaltquoten wieder eigenen Glanz nötig hat. Da kam dieser Tage die eher grobschlächtige Anti-„Avatar“-Rundmail eines der „Hurt Locker“-Produzenten ans Academy-Wahlvolk gerade recht: Prompt wurde er von der Gala ausgeladen.

Spannender dürfte, zumindest aus deutscher Sicht, das Rennen für Michael Hanekes „Das weiße Band“ verlaufen, der unter den fremdsprachigen Kandidaten als Favorit gilt. Der kühl konzipierte Schwarz- Weiß-Film, der eine Misshandlungs-, Missbrauchs- und soziale Untergangsgeschichte aus dem deutschen Hinterwald anno 1913 erzählt, hat zwar die Goldene Palme und den Europäischen Filmpreis gewonnen. Anders aber als die anderen gruselfinsteren Storys, die immerhin in der Verjagung der Erdlinge aus Pandora, der Selbstbefreiung eines unterjochten schwarzen Mädchens in New York oder gar dem Mord an Adolf Hitler in einem Pariser Kino gipfeln, versagt Haneke dem Publikum jedes Happy End. Muss das sein?, werden die in dieser Hinsicht traditionell sensiblen Amerikaner fragen.

Das garstigste Happy End übrigens in der Runde der Auslandsoscar-Kandidaten bietet das aufregende, am Donnerstag im Kino startende Gefängnisdrama „Ein Prophet“. In Cannes 2009 war der Franzose Jacques Audiard damit Hanekes schärfster Konkurrent – und erhielt nur den Großen Preis der Jury. Sonntagnacht könnte die Revanche gelingen.

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