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Fotografie: Schweinelinsen und Gummibeine

Die Tollheit hat hier Methode:  Schlomographie ist Fotografieren mit Humor und Eigenbau-Kameras. Optiken baut man aus Wackelpudding, verfremdende Effekte sind absolut gewollt. Ein Ziel: die komplett essbare Kamera. Ein anderes: Irritationen auslösen.

Nostalgisch veranlagte Fotografen, die mit analoger Kameratechnik und Zitaten vergangener Kunstepochen arbeiten, stellt man sich anders vor. Nicht so fröhlich und experimentierfreudig wie Charly Paps, Olf Engelbrat und George Große. Die drei Berliner sind die Gründer der Schlomographischen Aktion Berlin. Gut, es gibt noch einen viertes Mitglied. Aber das ist nur Hülfsschlomograph. Das Ü ist wichtig.

Wie überhaupt kleine Verschiebungen wichtig sind. So auch im Fall des Modsch, dem Monat der Schlomografie, der gerade im Kunstraum Sprechsaal in Mitte stattfindet und sich natürlich grundlegend vom Monat der Fotografie unterscheidet, der noch bis zum 25. November berlinweit stattfindet. Und sei es nur dadurch, dass er sich auf eine erste große Retrospektive dieser Künstlervereinigung seit der Gründung 1996 beschränkt. Neben den Bildern an den Wänden sind da in zwei Vitrinen auch die Kameras ausgestellt, mit denen die Schlomografen arbeiten. Sie tragen so hübsche Namen wie Schlomoscill, Auroskop oder Multimomentexponator. Jede ist Marke Eigenbau.

Womit wir beim Kern dieser Kunst wären: Für die Schlomographen ist nicht nur das Bild am Ende wichtig. Wie entsteht es? Wie kann man es schon während der Belichtung manipulieren? Diese Fragen interessieren sie. Also schrauben sie mit großer Entdeckerlust die Deckel der Apparate auf, schauen hinein und nehmen die Optik auseinander.

Jedes Einzelteil wurde schon durch ein anderes ersetzt. Eine neue Erfindung sind Wackelpudding-Fotolinsen – aus Schweinegelatine. Das Motto: „Durch Schweinelinsen schlomographiert kann jeder eine coole Sau sein!“ Erstaunlicherweise ergeben sich tatsächlich scharfe Aufnahmen. Lange genug haben die drei Künstler daran getüftelt. Bei ihren Recherchen zum Brechungsgrad von Gelatine sind sie sogar auf einen lebensmitteltechnischen Aufsatz aus dem Deutschen Kaiserreich gestoßen. Ihre Linsen bieten sie in den Geschmacksrichtungen Kirsche, Waldmeister und Zitrone an.

An der komplett essbaren Kamera wird derzeit auch schon gebastelt. Der Korpus soll aus Waffelplatten bestehen, lichtdicht umhüllt von feiner, dunkler Schokolade. Aber noch klappt es nicht ganz. „Die Fertigstellung“, räumt Olaf Engelbrat ein, der eigentlich Rolf Engelbart heißt, „ist an die Fertigstellung des Kleinflughafens Willi- Winzig gekoppelt.“ Es könnte also noch ein Weilchen dauern. Was haben die Schlomographen nicht schon alles herumprobiert in ihrem Labor! Der Lebkuchen wurde so lange im Ofen gebacken, dass man ihn nur mit einer Tischkreissäge zerteilen konnte. Aber beim Trocknen hat er sich dann doch verzogen.

Wer so tickt, für den ist digitale Fotografie uninteressant. Was können Brüder im Geiste der Pioniere Nièpce und Daguerre an einer Digitalkamera schon verändern außer den Menüeinstellungen? Für die Schlomographen ist klar: „Wir sind keine Menü-Kellner.“ Das Handgemachte an ihrer Kunst haben sie in ihrem Logo festgehalten. Es zeigt eine flache Hand. Die steht im deutschen Handalphabet auch für „sch“ – womit gleich klar ist, dass es hier nicht um Lomografie geht, eine etablierte Fotografierichtung, bei der Schnappschüsse und schlechte Optik gewünscht ist; die weltweit Anhänger hat, eigene Kongresse, Botschafter, und zehn goldene Regeln. Den drei Berlinern ist das natürlich nicht fremd, aber Abgrenzung ist nun mal immer schön. Also haben sie ihre eigene Gesellschaft gegründet. Natürlich mit Manifest. In dem sprechen sie sich unter anderem gegen Krieg und Tütensuppen aus.

Alles gaga? Mitnichten. Der Kunstraum Sprechsaal, in dem die Schlomographen zurzeit ausstellen, ist eine seriöse Adresse für Fotografie, die Gerätschaften der Schlomographen produzieren nicht nur scherzige Effekte: So ist es mit dem Multimomentexponator möglich, zwei Personen in einem Porträt zu kombinieren. Das Bild wird vorab in 63 Rasterfelder unterteilt, die alle einzeln belichtet werden. Während dieses Prozesses müssen die Porträtierten ausgewechselt werden. So verschmelzen Mann und Frau, Mann und Mann, Frau und Frau. „Bei Paaren ist das beliebt“, sagt George Große. „Aber dann sind sie doch immer erschrocken über das Ergebnis.“ Das machen die Schlomographen gerne, die Kamera und Irritationen gleichzeitig auslösen.

Seit Beginn der Retrospektive melden sich so immer wieder Fotostudenten bei den drei Autodidakten. Die Drei, die als Mitglieder im schwulen Fotoclub „Mannsbilder“ bisher vor allem als Protagonisten der queeren Subkultur der Stadt bekannt waren, haben mit ihrer analogen Kunst breites Interesse geweckt. Die beschränkt sich indes nicht auf das fertige Bild: Bei ihren jährlichen Aktionen auf dem lesbisch-schwulen Straßenfest in Schöneberg streifen sie sich gerne Arztkittel über und stellen den abgebildeten Personen Pässe, Gutachten und Urkunden aus, die sie anhand der Porträtfotos anfertigen. Der Hülfsschlomograph assistiert. Mit dem Auroskop etwa kann man psychedelische Strahlenkränze um die Köpfe der Porträtierten zaubern. Diese lesen die Schlomographen wie bei medizinischen Diagnose-Verfahren, bestätigen anhand der Farben und Muster zarte, romantische Seelen oder sprudelnde Kreativität. Da blitzen dann noch die wahren Berufe durch. Thomas „George“ Große arbeitet in der Charité. „Und ich stelle Urkunden aus, aus alten Kirchenbüchern und mit Siegeln“, sagt Rolf Engelbart.

Die Herren haben also durchaus Ahnung von dem, was sie tun. Der Dritte im Bunde, Harald Hoffmann, ist Ingenieur, in seiner Werkstatt finden die Experimente statt, bei ihm werden die Geräte entwickelt. So auch das Cameraphon, bei dem der Bildträger durch einen sich über den Film bewegenden Schlitz wie bei einem Scanner belichtet wird. Das Ganze dauert drei Sekunden. Wichtig ist, dass sich das Modell in gleichbleibendem Tempo innerhalb dieser Zeitspanne einmal um die eigene Achse dreht. Denn nur dann zeigt auf dem Foto sein Kopf nach vorne, die Füße nach hinten. Dazwischen sind Gummibeine. Schlomographie ist Präzisionsarbeit.

Und trotzdem: Immer wieder offenbaren sich im Entwicklerbad Effekte, die sich die Drei auf den ersten Blick selbst nicht erklären können. Das sind die ganz besonderen Momente ihrer Kunst, in denen Dada und Naturwissenschaft aufeinanderprallen. Gerne werden die Phänomene dann in zeichnerischen Erklärungsmodellen dargestellt, mit x- und y-Achsen und Kurven. Die Schlomographen halten sich ganz an Shakespeare: „Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.“

Galerie Sprechsaal, Marienstr. 26, bis 7. Dez., Do-So 14-22 Uhr. Katalog 19 Euro.

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