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Kunstgewerbemuseum öffnet wieder: Neuer Schrein in alten Bäuchen

Das Berliner Kunstgewerbemuseum wird nach drei Jahren Bauzeit mit frischem Design wiedereröffnet.

Abkratzen würde sie die Farbe am liebsten. Das helle Grau wegmachen, damit das Betongrau der Säulen darunter zur Geltung kommt. Was ein bisschen verwundert: Schließlich war Sabine Thümmler bis 2010 Leiterin des Deutschen Tapetenmuseums und also vertraut mit der Tradition der westlichen Hemisphäre, kahle Stellen im Haus am besten sofort schmückend abzudecken.

Wenn sie nun als Direktorin des Berliner Kunstgewerbemuseums für die brutalistische Architektur ihrer Institution schwärmt, muss etwas passiert sein. Der Kreis der Fans, die das von Rolf Gutbrod gebaute 60er-Jahre-Manifest am Kulturforum schätzen, war bislang überschaubar. Und es macht sich auch wirklich nicht gut – dieses flache, geduckte Konstrukt aus Sichtbeton und rotem Ziegel, dessen Wiedereröffnung nach langer Umbauphase am Freitagabend gefeiert wird. Dann aber öffnet sich dieses Relikt der Spätmoderne, die Museen wie Kaufhäuser bauen wollte, um Kultur zu nivellieren und die Massen anzuziehen, erneut. Und könnte die hochfliegenden Pläne von damals nun Wirklichkeit werden lassen.

Neu gestaltet wurden das Foyer, die Modeabteilung und zwei Sammlungsbereiche

Es genügt ein Blick ins Foyer, um die überwiegend klugen Eingriffe der Architekten von Kuehn Malvezzi zu erfassen. Gutbrod wollte ein offenes Haus, das von der Ästhetik der Oberflächen ebenso lebt wie von Durchblicken und Sichtachsen. Die Kehrseite: Der Blick hat keinen Halt, irrt herum, übersieht die Exponate. Das Berliner Büro entschied sich für eine Klärung, ohne Gutbrods Ideen zu verwerfen und plante Räume-in-Räume, damit man sich fokussieren kann. Mit diesem Konzept gewannen Kuehn Malvezzi 2004 den Wettbewerb zur Umgestaltung des Hauses. Doch erst 2012 schloss das Museum. Gemessen an der Gutbrodschen Zeitschleife, die den Entwurf von 1967 mit so viel Verspätung in die Realität entließ, dass das Gebäude schon zur Eröffnung 1985 völlig überaltert wirkte, ist das eine minimale Verzögerung. Dennoch fiel in dieser Zeit eine maßgebliche Entscheidung, mit der sich die Umbauer arrangieren mussten: Der Etat wurde empfindlich gekürzt und bei 4,45 Millionen Euro eingefroren. Als Konsequenz beschränken sich die Eingriffe nun auf das Foyer, die neu eingerichtete Modeabteilung und die Umgestaltung zweier Sammlungsbereiche. Highlights wie der Welfenschatz oder das Lüneburger Ratssilber, die zahlreichen Wunderkammer-Objekte und David Roentgens spektakulärer Kabinettschrank für den Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. empfangen einen dagegen in nahezu unveränderter Atmosphäre; unter Neonlicht, auf flauschigem Teppich und vor ermüdend beiger Stoffbespannung.

Innenerneuert. Blick ins Foyer des Kunstgewerbemuseums mit seinem Wegeleitsystem.
Innenerneuert. Blick ins Foyer des Kunstgewerbemuseums mit seinem Wegeleitsystem.

© SMB/Achim Kleuker

Sabine Thümmler kann auch dieser Präsentation etwas abgewinnen, doch der Rundgang überzeugt nicht ganz. Gerade wenn man zuvor durch den neuen, dunklen Parcours flaniert ist, in dem sich alles auf die Mode ab dem frühen 18. Jahrhundert konzentriert. Er beginnt am Ende des taghellen, aufgeräumten Foyers, das bloß noch die unvermeidbaren Funktionsbereiche versammelt: Kasse, Garderobe, Leitsystem. Wie ein Schlauch saugt einen dann der schwarze Gang in die Modesammlung, die bislang im Depot ein Schattendasein führte. Auch jetzt ist ein Bruchteil jener knapp 1600 Objekte umfassenden Kollektion Kamer/Ruf zu sehen, die das Haus 2003 für sechs Millionen Euro angekauft hat. Ein Schatz, betont Sabine Thümmler, denn der Schweizer Kostümbildner Martin Kamer und der Luzerner Textilhändler Wolfgang Ruf erwarben nur Ungetragenes. Entsprechend gut erhalten sind etwa die hauchzarten Lederschuhe vornehmer Damen, die noch 1866 für ein weißes Promenadenkleid unfassbar ausladende Krinolinen trugen, um wenige Jahrzehnte später in weiche, gerade Reformkleider zu schlüpfen. Noch mehr aber fesseln die Abendkleider: aus plissiertem Seidensatin von Mariano Fortuny oder extravagant bestickt, wie sie Paul Poiret bis 1920 entwarf. Andere Vertreter der Haute Couture wie Christian Dior oder Yves Saint Laurent treffen auf den Visionär. Paco Rabanne, der stilprägend für die sechziger Jahre war und sich bei den Materialien von der Weltraumfahrt inspirieren ließ. Es ein Ritt durch die Zeit, erzählt vor allem anhand der Damenmode, die wichtige Entwicklungen streift und nebenbei ein Stück Sozialgeschichte erzählt.

Im umgestalteten Museum lenkt kaum etwas von diesem Gang durch die Modegeschichte ab.

Im umgestalteten Museum lenkt kaum etwas von diesem Gang durch die Modegeschichte ab. Die Glasvitrinen reichen vom Boden bis zur Decke, sind delikat ausgeleuchtet und gruppieren die Kostüme zu kleinen Epochenräumen. Hin und wieder öffnet sich der Gang, um über Treppen in den Gobelinsaal oder andere Kabinette aus Renaissance und Mittelalter zu locken. Hier offenbart sich Gutbrods Qualität, der Räume miteinander vernetzte und die Besucher ganz unhierarchisch durch das Haus mäandern lassen wollte. Ein weiteres Plus sind die großzügigen Fensterfronten, die man wieder frei gelegt und mit dunkler Folie bezogen hat. Sie ermöglichen den Blick nach draußen, in den Innenhof oder den Tiergarten. Auch das war geplant, und man beginnt Sabine Thümmler zu verstehen: Gutbrod gehorcht Maßstäben, die vor einem halben Jahrhundert en vogue waren. Und wer weiß, wie die Museen von heute in Zukunft gelesen werden.

Innenerneuert. Die Modegalerie mit Kleidern der 1970er und 1980er Jahre von Nina Ricci, Madame Grès und Yves Saint Laurent.
Innenerneuert. Die Modegalerie mit Kleidern der 1970er und 1980er Jahre von Nina Ricci, Madame Grès und Yves Saint Laurent.

© SMB/Achim Kleuker

Die Direktorin weist derweil auf ein anderes, sehr gegenwärtiges Detail hin, das man schnell übersehen kann: Die Kleider in den Vitrinen sitzen perfekt, weil jede Figurine maßgefertigt wurde. Dass sie außerdem kopflos sind und die historischen Accessoires vom Hut bis zum losen Damenstrumpf in kleineren Vitrinen arrangiert werden, gehört zu den weiteren konzeptionellen Entscheidungen im Haus. Genau wie die Möbel des Jugendstil ein Stockwerk höher oder das Design im Basement werden sie nicht als Ensembles begriffen, sondern zu Artefakten erklärt. Der Spot fällt auf Solitäre, die Zeit möglichst authentischer Rauminszenierungen ist vorbei.

„Beste vom Besten“: Silber von Tiffany, Glas von Lalique, Porzellan von Sèvre

Der Dialog der Exponate findet auf anderer Ebene statt. Sie offenbaren sich in den Kabinetten mit Möbeln von Richard Riemerschmidt, den frühen Regalsystemen eines Bruno Paul und jenen Wandvitrinen, in denen die Exponate der ersten Stunde des Museums stehen. Bevor das Haus 1921 in das Berliner Schloss zog und die Bestände der Hohenzollern übernahm, war es 1868 als Deutsches Gewerbe-Museum zu Berlin privat eröffnet worden. Ein merkantiles Projekt, denn der Verkauf deutscher Produkte lahmte, und hier sollten beispielhafte Stücke aus aller Welt den Geschmack der hiesigen Händler und Handwerker bilden. Damals schritt man gleich zur Tat, besuchte die Pariser Weltausstellung – und kaufte laut Thümmler das „Beste vom Besten“: Silber von Tiffany, Glas von Lalique, Porzellan von Sèvre. Man findet es in den Vitrinen, zusammen mit KPM und Klassikern moderner Industriegestaltung, die sich im Keller beim Design des 20. Jahrhunderts fortsetzen. Auch hier ist weniger nun mehr, spinnen die Objekte ihre Fäden von Karl Friedrich Schinkel – der als Berliner Baumeister das Handwerkliche schätzte und dennoch industriell gefertigte, gusseiserne Elemente für seine Möbel verwendete – in die Jetztzeit.

Noch ist es der schwächste Part im reformierten Rundgang, die Objekte wirken oft willkürlich gesetzt, Zusammenhänge erschließen sich nicht. Weit mehr aber stört die große Schrift an den Glastüren, im Eingangsbereich, auf den Garderobefächern – selbst auf den Täfelchen der Exponate. Die begleitenden Grafiker hätten sich mit Gutbrod auseinandergesetzt und eine Typografie gewählt, die dem Charakter seines Hauses entspreche, erklärt Sabine Thümmler. Doch die Schrift, zumal in Versalien, brüllt einen an. Was Gutbrod architektonisch nie in den Sinn gekommen wäre. Wenn die Direktorin die grauen Betonsäulen freilegen lässt, ließen sich vielleicht auch die Buchstaben wieder abkratzen.

Kunstgewerbemuseum, Matthäikirchplatz, Eröffnung: 22. 11., ab 11 Uhr

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