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Krieg gegen die Menschen und die Kultur. Ein Haus in der Altstadt von Sanaa. Es wurde bei einem Luftangriff beschädigt.

© Khaled Abdullah/Reuters

Kulturerbe im Jemen: Der vergessene Krieg

Im Jemen wird das Kulturerbe zerstört. Das Deutsche Archäologische Institut versucht, das Schlimmste zu verhindern.

Auch aus dem Jemen keine guten Nachrichten. Die Friedensgespräche, die seit April 2016 in Kuwait geführt werden, sind zwar nach einer Unterbrechung wieder aufgenommen worden, aber immer wieder flackern Kämpfe auf oder kommt es zu verheerenden Anschlägen. Beide Seiten rüsten sich nach Agenturmeldungen für die entscheidende Schlacht um die Hauptstadt Sanaa.

Schiitische Huthi-Rebellen und Verbündete hatten 2014 große Teile des Jemen überrannt und Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi ins Exil nach Saudi-Arabien vertrieben. Ein von Saudi-Arabien geführtes Bündnis bombardiert die Huthis seit mehr als einem Jahr aus der Luft. Bei diesem Krieg, der international nicht die Beachtung findet wie der Bürgerkrieg in Syrien, wurden Tausende von Menschen getötet, verletzt, vertrieben. Bedeutende Kulturdenkmäler sind zerstört, darunter Weltkulturerbestätten. Die syrischen Kulturgüter haben mittlerweile eine weltweite Lobby, das hat die kürzlich in Berlin tagende Unesco-Konferenz eindrücklich unterstrichen. Jemen kann nicht auf die gleiche Teilnahme hoffen.

Die sabäische Kultur ist tief in der jemenitischen Seele verwurzelt

Dabei haben deutsche und französische Archäologen nach einer Unesco-Tagung im Juli 2015 Saudi-Arabien die Koordinaten der Museen, Magazine und archäologischen Stätten zur Verfügung gestellt, um Schaden vom kulturellen Erbe des Jemen abzuwenden. Die Saudis haben sich bedankt, man werde es berücksichtigen, doch Krieg sei Krieg und wer sich in Kulturstätten verschanzt, mache sich zum Ziel, berichtet Iris Gerlach, Leiterin der 1978 in Sanaa eröffneten Außenstelle der Orient-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts.

Es ist in einem der typischen Altstadthäuser von Sanaa untergebracht, nur 500 Meter von der Häuserreihe entfernt, die vor gut einem Jahr bei Bombenangriffen zerstört wurde. „Das Institut ist offiziell geöffnet", sagt Iris Gerlach in ihrem Berliner Büro, „allerdings arbeiten zur Zeit dort nur Ortskräfte, analog zur deutschen Botschaft.“ Andere europäische Länder haben ihre Institute geschlossen und die Arbeit komplett eingestellt. „Wir könnten morgen sofort wieder unsere Forschungen vor Ort beginnen“, sagt Gerlach: „Die Jemeniten sind sehr stolz auf ihre Kultur, nicht nur die islamische, sondern auch die vorislamische. Das DAI restauriert unter vielen anderen Projekten auch den alten Staudamm von Marib, der schon im Koran erwähnt wird.“

In Sure 34,16 heißt es über die Sabäer: „Aber sie wandten sich ab. Da sandten Wir gegen sie die Dammflut, und Wir tauschten ihnen ihre zwei Gärten aus gegen zwei Gärten mit bitterem Ernteertrag und Tamarisken und einigen wenigen Zizyphusbäumen.“ Auch die Königin von Saba wird im Koran erwähnt, die sabäische Kultur ist tief in der jemenitischen Seele verwurzelt. Umso tragischer ist es, dass gerade der weltberühmte Staudamm von Marib bei Kämpfen schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde. Der Damm hat schon immer eine Stammesgrenze markiert und es ist schwer zu sagen, wer nun was getan hat.

Man schaut auf Syrien und Irak, aber nicht auf den Jemen

„Wir Archäologen müssen uns für das einsetzen, was wir gelernt haben, es zählen nur die Fakten. Die Italiener haben jahrelang einen außergewöhnlichen, bis zum Dach erhaltenen Tempel in Baraqish aufwändig restauriert, heute ist er von Bomben dem Erdboden gleich gemacht worden. Häufig sind es wohl Kollateralschäden, eine bewusste Zerstörung ist nur schwer nachweisbar", sagt Iris Gerlach. Das Museum im Hochland von Dhamar, ein weißes, freistehendes modernes Gebäude, ist nur noch ein Trümmerhaufen. 12 500 Funde sind unwiederbringlich verloren, zurückgeblieben ist Chaos.

Schwer getroffen wurden die Zitadelle von Taiz aus dem 11. Jahrhundert und das Archäologische Museum. Das sabäische Kultzentrum Sirwah aus dem 1. Jahrtausend vor Christus wurde ebenfalls teilweise zerstört. Der vom DAI restaurierte Pfeilereingang wurde beschädigt, ebenso die von Gerlach entdeckte größte Inschrift Südarabiens aus dem spätem 8. Jahrhundert vor Christus.

Wahabitische Extremisten hatten schon vor dem Krieg Gräber und Moscheen der Sufiten im malerischen Hadramaut verwüstet. Die jemenitische Antikenverwaltung zählt bisher 60 Orte mit schweren Schäden, viele Kunstobjekte seien zerstört, vieles wisse man gar nicht. „Die jemenitischen Kollegen sind verzweifelt und fühlen sich verlassen, man schaut auf Syrien und Irak, aber nicht auf den Jemen.“ Deshalb arbeitet das DAI an einem Handbuch zum Kulturerbeschutz des Jemen. Das Auswärtige Amt finanziert das Projekt. Unterstützung kommt auch von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Auch vermehrte Raubgrabungen richten erheblichen Schaden an

Für das Bauwesen hat man in der Antike einen Mörtel verwandt, der sich dehnt und gleichzeitig wasserdicht ist. „Wir bilden Handwerker in dieser Technik normalerweise bei den Restaurierungsarbeiten aus, denn diese Technik ist auch für den modernen Hausbau nützlich und schafft somit Arbeitsplätze. Dies ist ein Beispiel für die Trainingsmaßnahmen, die das DAI vor Ausbruch des Krieges umsetzen konnte. Da die Arbeiten zurzeit ruhen, ist die Erstellung unseres Handbuches eine der wenigen Möglichkeiten, den jemenitischen Kollegen hilfreich zur Seite zu stehen“, sagt Gerlach.

Die Kriegszerstörungen sind schlimm, doch Raubgrabungen richten ebenso schwere Zerstörungen an. Dort, wo die Zentralregierung schwach ist, hat es schon immer Raubgrabungen gegeben. In Kriegszeiten herrscht erst recht keine Kontrolle, und die wirtschaftliche Not der Bevölkerung wird immer größer. „Wenn ein Raubgräber mit seinen Funden das Fünffache verdienen kann, dann tut er es, um seine Familie zu ernähren“, sagt Gerlach.

Luftbilder aus der jemenitischen Provinz al-Jawf zeigen eine Mondlandschaft, Loch an Loch. Das DAI verfolgt den internationalen Kunsthandel genau. „Es tauchen immer mehr südarabische Objekte aus sogenannten alten Sammlungen auf, das zielt bewusst auf die Zeit vor der ersten Unesco-Konvention gegen den illegalen Kunsthandel von 1970. Dabei hatte es bis dahin nur vereinzelte Ausgrabungen gegeben. Jedes Objekt, das das Land heute verlässt, stammt nicht aus legalen Grabungen", erzählt Gerlach. Das DAI arbeitet mit Interpol und dem Bundeskriminalamt zusammen, eine Rote Liste der jemenitischen Kulturgüter ist – gemeinsam mit dem British Museum – in Arbeit, um den Behörden Fakten an die Hand zu geben.

Die Bedeutung der Archäologie für die Zukunft muss deutlich werden

„Jeder Altertumswissenschaftler macht sich moralisch angreifbar, wenn er Objekte aus unsicherem Kontext begutachtet oder publiziert. Kein deutsches Museum würde heute Objekte aus einer dubiosen Privatsammlung kaufen“, erklärt Gerlach. Da tauche schon mal eine südarabische Figur für 3150 Euro bei Ebay auf. Auch landen im Zuge der politischen Krise immer mehr Fälschungen beim Zoll.

Daher ist es wichtig, dass das kulturelle Erbe Jemens auch Eingang in den jemenitischen Schulunterricht findet. Man müsse den Menschen die Bedeutung der Archäologie für ihre Zukunft deutlich machen. Das lasse sich mit einfachen Unterrichtsmaterialien auf Arabisch tun. Beispiele aus China und Ägypten liegen vor.

„Der Mensch im 21. Jahrhundert hat ein Recht auf Information über die Kultur der vergangenen Epochen. Er hat jedoch auch die Pflicht, sich mit Worten und finanziellen Mitteln für den Erhalt des Weltkulturerbes einzusetzen“, appelliert der Direktor der jemenitischen Antikenverwaltung, Mohanned Al-Sayani, an die Weltöffentlichkeit. „Es ist ein langer Weg zum Frieden“, sagt Iris Gerlach. Aber es sei gut, dass beide Parteien immerhin miteinander reden, auch dies habe wie vieles eine lange Tradition in diesem Land.

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