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Durch die Castingshow "Popstars" fanden sich fünf Sängerinnen zur Band "No Angels" zusammen und erlangten internationalen Ruhm. Sie sind noch immer die erfolgreichste deutsche Band, die aus einer Castingshow hervorgegangen ist.

© dpa

20 Jahre RTL 2: Das Nischenfernsehen, das Geschichte schreibt

RTL 2 zeigt seit 20 Jahren „Big Brother“-TV und Serien wie „True Blood“. Inzwischen muss der Privatsender aber mehr bieten als Gossip-TV und macht der "Tagesschau" Konkurrenz.

RTL hat das (öffentlich-rechtliche) Fernsehen vom Altar heruntergeholt. Gott sei Dank, werden die Freunde und Fans des Privatfernsehens sagen. Sagen sie das auch noch, wenn sie an RTL 2 denken? Dieses Programm ging exakt heute vor 20 Jahren auf Sendung. Neun Jahre später als RTL, und diesen Zeitraum brauchte es auch, damit RTL 2 starten konnte – als gnadenloses U-Fernsehen mit Hang zum Trash-TV. Der Muttersender RTL hatte die Erwartung dessen, was im Fernsehen laufen und sein Publikum finden kann, mit Premieren wie der Ausziehshow „Tutti Frutti“ angefüttert. Da gab es leises Aufstöhnen, einen lauten Aufschrei gab es bei „Big Brother“ im Jahr 2000. Ausgewählte Mitmenschen spielten „Second Life“ im RTL-2-Fernsehhaus, im Mit- und Gegeneinander täglich und hundert Tage lang von Kameras beobachtet. Der Erfolg lockte, und weil er lockte, fand auch Guido Westerwelle, der FDP-Mann mit Ambition auf 18 Prozent Wählerstimmen, seinen Weg in den Container. Davon erholten sich weder die Partei noch Westerwelle so schnell.

Dieses Fernsehen über und mit Menschen wie dir und mir, möglichst unverstellt und unverkrampft und doch in einer fernsehaffinen Situation, dieses B-Fernsehen durchzieht und prägt die Programmgeschichte. Ein bisschen Ruhm ist für die Protagonisten immer drin: Zlatko wurde „Shakesbier“, Jürgen wechselte vom Feinblechner zum Glücksspielmoderator, Tauschmutter Andrea hat es bei Fans vom „Frauentausch“ zur „Erdbärkäse-Nadine“ gebracht. RTL 2 bietet Fernsehen auf niedrigschwelligem Niveau. Wer kann bei den „Geissens“ mit dem Argument der Überforderung aussteigen?

Dass die heutige Jubiläumsshow „20 Jahre RTL 2“ im Untertitel „Die Zukunft ist jetzt“ heißt, zeigt an, was sich der Sender streng verboten hat: dass die Konkurrenz plötzlich einen höheren Proll-Faktor hat. „RTL 2 ist ein Sender, der immer wieder versucht, seine Nische zu finden und etwas zu machen, was es vorher in Deutschland noch nicht gab“, sagte Michael Fingerling von der zuständigen hessischen Medienanstalt LPR. Der Sender in München-Grünwald beschäftigt die Medienwächter mit schöner Regelmäßigkeit. Zuletzt war es das Format „X-Diaries – Love, Sun, Fun“ über feiernde Touristen, das wegen zu viel Sex und Alkohol missfiel. Bei der „Big Brother“-Ausgabe 2010 schielte die Kamera gierig auf die Brüste zweier Frauen – „Jugendgefährdung“!

In vielen Aufregerlein steckten auch wichtige, vielleicht grundlegende Fragen drin. Stephanie zu Guttenberg, Frau des Ex-Verteidigungsministers, machte in „Tatort Internet“ Ende 2010 mit der Kamera aktiv Jagd auf pädophil veranlagte Kriminelle – Aufgabe einer Fernsehsendung oder der Strafverfolgungsbehörden?

Weil sich die Zuschauer in einem Zustand der Dauererregung befinden sollen und ein Spannungsabfall streng verboten ist, hat RTL 2 wie andere Fernsehsender an der Schraube gedreht: Bei der sehr erfolgreichen Soap „Berlin – Tag & Nacht“ (mit inzwischen 2,5 Millionen Facebook-Fans) und ihrem Ableger „Köln 50667“ reden die Protagonisten nicht mehr, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, sondern wie es das Drehbuch vorgibt, Realität goes „Scripted Reality“. So haben es die Produzenten besser in der Hand, Emotionen zu schüren, das Personal zu hetzen, jede Langeweile auszuschalten.

Nun sendet RTL 2 24 Stunden am Tag. Da muss mehr kommen als nur Gossip-TV. Der Privatsender hat Innovationen ins Medium eingeschleust. Nachhaltig war die Idee zur Castingshow „Popstars“, die nicht nur die „No Angels“ hervorgebracht hat, sondern eine nicht enden wollende Flut vergleichbarer Formate im ganzen Medium. Ob die „Kochprofis“ wirklich den Kochwahn begründet haben, wird von der Konkurrenz bestritten, sei’s drum, Jamie Oliver war da. Erotik machte „Peep“, „Bravo TV“ mit Heike Makatsch schaffte es bis zur Grimme-Preis-Nominierung, zum Preis selber schaffte es „Der Sandmann“ (1995 mit Götz George). Der Thriller war eine Eigenproduktion, nach aktuellen Maßstäben viel zu teuer. Auch heute setzt RTL 2 auf Selbstgemachtes, aber die Konfektionsware hat die Konsistenz von Kaugummi: möglichst in die Länge und immer länger ziehen wie „Berlin – Tag & Nacht“.

Nur Schreitherapie als Fernsehen wird nicht geboten. Freunde verfeinerter Serienkost delektieren sich an „Californication“, „Band of Brothers“ „True Blood“, ja, RTL 2 ist der Sender, der „Game of Thrones“ als deutsche Erstausstrahlung bringt. Staffel 2 läuft am kommenden Wochenende en bloc. Und ist RTL 2 nur der Sender für die Unterschicht? Die „News“ erreichten bei den 14- bis 29-Jährigen im Februar 310 000 Zuschauer und damit mehr als die „Tagesschau“ mit 290 000. Insgesamt war der Erfolg von RTL 2 schon größer. 2004 lag der Marktanteil bei 4,9 Prozent, 2012 bei 4,0 Prozent. Der größte Konkurrent, das Netz, schläft nicht.

„20 Jahre RTL 2 – Die Zukunft ist jetzt“, 20 Uhr 15, RTL 2

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