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Gehackt. Kurz nach seinem Brief an die "Netzgemeinde" platzieren Aktivisten eine gefälschte Meldung auf der Internetseite des CDU-Bundestagsabgeordneten Ansgar Heveling.

© dapd

Netzpolitik bei CDU und CSU: Jenseits von Zensursula

CDU und CSU gelten vielen als netzpolitisches Feindbild. Doch die Zahl derer, die im Internet eine Chance sehen, wächst auch in der Union. Ein Blick in zwei Volksparteien.

Von Anna Sauerbrey

Ende Januar hat Ansgar Heveling (CDU) im Bundestag gesprochen. Er trug einen gut sitzenden Anzug und war akkurat frisiert. Heveling sprach zu vielen blauen Rückenlehnen – kaum ein Abgeordneter hatte sich zu der Debatte um die Digitalisierung von Kulturgütern verirrt. „Wir alle sind uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, darüber einig, und darum lassen Sie mich meine Rede auch mit diesem betont positiv diplomatischen Einstieg beginnen, dass die Digitalisierung unseres kulturellen Erbes in den kommenden Jahren weiter vorangetrieben werden muss“, sagte Heveling. Es folgte eine Rede, die die Wörter „Desiderate“, „zeitnah“, „Kompetenznetzwerk“ und „prioritär behandeln“ enthielt. Am Ende bedankte sich Heveling bei den leeren Reihen für ihre Aufmerksamkeit. Ein typischer Moment im Leben eines Hinterbänklers.

Fünf Tage später darf sich Ansgar Heveling aus Korschenbroich zu den bekanntesten deutschen Politikern zählen – zumindest im Internet. Im „Handelsblatt“ hat er einen Gastbeitrag veröffentlicht, bei dem von „betont positiver Diplomatie“ keine Rede sein kann. „Liebe Netzgemeinde“, schreibt er, „ihr werdet den Kampf verlieren. Auch die digitale Revolution wird ihre Kinder fressen.“ Es folgen, in dieser Reihenfolge, die Wörter „Schlachtennebel“, „verbrannte Erde“ und „Barrikaden“. Der Abgeordnete wirft dieser „Netzgemeinde“ einen naiven und gedankenlosen Umgang mit den Werten der bürgerlichen Gesellschaft vor. Das Netz nimmt den Fehdehandschuh auf. Eine Welle des Spotts und der Empörung, ein „Shitstorm“, schwappt durch die sozialen Netzwerke. Hevelings Webseite wird gehackt. Für einige Stunden ist darauf zu lesen, Heveling erkläre seinen Austritt aus der CDU.

Es ist viel über die Frage geschrieben worden, ob die CDU noch eine Volkspartei ist. In Sachen Netzpolitik ist sie es sicherlich. Der Kulturkampf zwischen den digitalen Enthusiasten und den Netzskeptikern wird auch innerhalb der Union geführt. Längst gewinnen die Netzbegeisterten auch hier an Einfluss. In jener Partei, die 2009 mit der Forderung nach Netzsperren der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen („Zensursula“) zum Feindbild der „Netzgemeinde“ wurde, ändern sich die Zeiten.

Dorothee Bär wirft mit einem Wischen des Zeigefingers enternde Wikinger über Bord. Mit einem „Uuaah“ versinken sie in den Fluten. „Das hier ist auch schön“, sagt sie, tippt sich zurück in das Menü ihres iPhones und öffnet ein anderes Spiel. „Das ist wie Memory.“ Bär ist Jahrgang 1978 und es ist ihre dritte Legislatur als CSU-Bundestagsabgeordnete. Bär ist für die Frauenquote und für das Betreuungsgeld, aber gegen die Vorratsdatenspeicherung. Die ältere ihrer beiden Töchter ist fünf und wird im Sommer eingeschult – mit dem iPad und dem iPhone kann sie aber schon umgehen. Sie darf darauf Spiele spielen, malen und auch mal ein Youtube-Video anschauen. „Ich sitze aber immer dabei“, sagt Bär, „das geht ja ganz schnell, dass in der Spalte mit den Vorschlägen auch Sachen stehen, die nicht für Kinder geeignet sind.“

Wenn Dorothee Bär über das Internet spricht, fallen, in dieser Reihenfolge, die Wörter „unglaubliche Chancen“, „Trost und Hilfe“ und „wundervoll“, nämlich in ihrer Replik auf den Beitrag von Ansgar Heveling, die sie gleich am Folgetag veröffentlicht hat. „Es war schon Druck da“, sagt sie, „Drrruck“ mit fränkischem „r“. „Zum einen innerlicher Druck, weil ich mich wahnsinnig geärgert habe. Zum anderen großer Druck von außen. Nicht nur viele Bürgerinnen und Bürger meines Wahlkreises und weit darüber hinaus, sondern auch viele Mitglieder von CDU und CSU und besonders auch Mitglieder der Jungen Union waren durch seine Aussagen vor den Kopf gestoßen“. Auch über Twitter – für Bär ein Messgerät, mit dem sie erfassen kann, was die Leute bewegt – traf Bär viel Unmut. In zahlreichen Tweets distanzierte sie sich von Heveling.

Hans-Peter Uhl ist nicht auf Twitter. Für die sozialen Netzwerke, sagt der CSU-Innenexperte, fehle ihm die Zeit - und das Mitteilungsbedürfnis: „In der Zeit, in der andere sich mitteilen, ordne ich meine Gedanken.“ Uhl ist Jahrgang 1944, er hat Jura studiert, gedient, geheiratet, vier Kinder. Er hat in der Bayerischen Finanzverwaltung gearbeitet, sitzt seit 1998 im Bundestag. Er verteidigt die Vorratsdatenspeicherung und lässt sich regelmäßig vom Bundeskriminalamt über das „Lagebild“ in Sachen Internetkriminalität informieren. Oft, wenn Hans-Peter Uhl über das Netz spricht, wie etwa im Bundestag im September 2010, fallen die Wörter „Kinderpornografie“, „Terrorismus“ und „Spionage“. Einmal legte das Hackerkollektiv Anonymous seine Webseite lahm. Der Angriff, sagt Uhl, habe ihn 800 Euro gekostet. Er hat die Polizei eingeschaltet, gefasst wurde aber nie jemand. Dabei sei es ja gar nicht so, dass er die Chancen des Internets nicht sehe. „Auch ich bin fasziniert von dieser weltweiten kommunikativen Revolution. Doch wie jede Revolution hat sie Nebenwirkungen. Ich sehe mich nicht in der Lage, mich daran zu berauschen, ohne die Gefahren zu sehen.“

Es sind bekannte und profilierte Innenpolitiker wie Hans-Peter Uhl, gegen die sich die Netzbegeisterten in der Union bislang schwer durchsetzen können. Der hessische Abgeordnete Peter Tauber ist einer dieser Enthusiasten. Er gibt zu, dass es schwierig ist, an der Fraktionsspitze gehört zu werden. Doch Politik sei eben das „Bohren dicker Bretter“, und manchmal gehe es nur mit „Subversion“. Die Geschichte, zum Beispiel, wie der parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier, neben Bär inzwischen eines der prominentesten Netzgesichter der Union, zum Twitterer wurde, erzählt Tauber so: Ein Mitarbeiter von Altmaier hatte den Account angelegt, um ihn zu reservieren, für alle Fälle. Aus Spaß begannen Tauber und andere, in ihren Netzwerken zu verbreiten, dass Altmaier nun auf Twitter sei – ohne, dass der davon wusste. Nach wenigen Stunden hatte Altmaier 160 Follower, ohne nur eine Nachricht verschickt zu haben. „Da wurde es uns doch ein bisschen mulmig“, sagt Tauber. „Bei einer Abendveranstaltung sind wir dann zu ihm hin und haben gesagt, ,Peter, wir müssen dir etwas beichten’.“ Altmaier habe nur gelacht und den Account übernommen. Wenig später klopfte dann Erika Steinbach bei Tauber ans Büro. Auch sie ist jetzt auf Twitter.

Aber rückt die CDU dadurch auch inhaltlich in Richtung Netz? „Für uns ist das oft frustrierend“, sagt Alvar Freude, ein Netzaktivist und Sachverständiger in der Enquete-Kommission Internet, einer Art Denkfabrik des Bundestages, in der Abgeordnete und Sachverständige gemeinsam Handlungsempfehlungen entwickeln sollen. Freude hat gemeinsam mit Peter Tauber am Thema Netzsperren gearbeitet und sich auch mit ihm geeinigt. Der Vorschlag fand in der Union aber keine Mehrheit. Ein anderer Sachverständiger, der nicht namentlich genannt werden möchte, sagt, die Netzaffinen dienten der Union als Feigenblatt: um modern zu wirken, ohne sich in der Sache bewegen zu müssen.

Warum allerdings der Hinterbänkler Heveling plötzlich so undiplomatisch wurde, bleibt rätselhaft. Heveling erklärte sich zunächst zu einem Treffen bereit, sagte aber wieder ab und fand auch für ein Telefongespräch keine Zeit. In der Fraktion gilt er als ruhiger Zeitgenosse, er ist Experte für Urheberrechtsfragen. Einige der Sachverständigen in der Enquete-Kommission nennen ihn den „Cheflobbyisten der Verwerterindustrie“. Doch selbst die, die in der Sache mit ihm streiten, geben zu, dass er seine Arbeit in der Kommission ernst nimmt. Bereichert hat Heveling das Netz jedenfalls um einen Begriff. Nach „wulffen“ und „guttenbergen“ als Synonymen für „schummeln“ wurde nun das Verb „hevelingen“ geboren. Es steht für „keine Ahnung haben, wovon man spricht“. Das ist unfair. Die Mechanismen des Internets kennt Heveling ziemlich gut. Schon im August 2011 stellte er in einem Interview mit der Rheinischen Post lakonisch fest: „Das Netz ist gnadenlos.“

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