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Mehr als zwei Millionen E-Fahrräder rollen auf Deutschlands Straßen. Die meisten sind "Pedelecs", die den Fahrer bis Tempo 25 beim Treten unterstützen.

© Illustration: Jens Bonnke für den Tagesspiegel

Pedelecs im Test: Vergleich zwischen Tempo 25 und 45: Wie schnell soll das E-Bike sein?

Pedelecs sind ein Renner. Die meisten unterstützen den Fahrer bis Tempo 25, manche bis 45. Dazwischen liegen Welten. Ein Test im Alltag zeigt, wie gut die Räder sind. Doch die Tücken der Tour lauern anderswo.

Die Elektromobilität in Deutschland funktioniert. Sie ist serienreif und ohne Förderung erschwinglich. Millionenfach bewährt sie sich so unauffällig, dass es vielen gar nicht auffällt. Also wird munter weiter über Anschubfinanzierungen und Privilegien wie Gratisparken und Busspurfreigabe debattiert – weil Politik und Lobbyisten unter E-Mobility meist nur elektrisch angetriebene Autos verstehen.

Im Schatten dieser Großdiskussion rollen mittlerweile deutlich mehr als zwei Millionen E-Fahrräder auf Deutschlands Straßen. Die meisten sind „Pedelecs“ im engeren Sinne: Sie unterstützen den Fahrer bis Tempo 25 beim Treten. Seltener sind S-Pedelecs, also die Expressversion. Sie helfen bis Tempo 45. Verlockend ist der Gedanke, sich als Pendler mit elektrischer Unterstützung radelnd von nervigem Auto-Stadtverkehr und überfüllten Bahnen zu emanzipieren, aber trotz 20 Kilometer Arbeitsweg nicht verschwitzt im Büro anzukommen – wahlweise gemütlich mit dem Standard-Pedelec oder rasant mit dem Renner.

Der Kollege beim Pressedienst Fahrrad, der die Testräder organisiert hat, berichtete von „Grinsmuskelkater“ nach einer Proberunde auf dem flotten Zweier. Der Vergleich beider Systeme im Alltagsbetrieb verspricht, spannend zu werden.

Akku sitzt hinterm Sattelrohr

Um die Risiken und Nebenwirkungen zu minimieren, beginnt der Test mit dem 25-km/h-Modell: Das „Flogo“ des Schweizer Herstellers Flyer steht für die gängige Vernunft-Variante. Mit seinen 20-Zoll-Rädern ähnelt es einem Klapprad, obwohl nur Sattel und Lenker verstellbar sind. Der Panasonic-Motor mit 250 Watt sitzt am Tretlager. Diese Lösung entwickelt sich spätestens seit dem erfolgreichen Einstieg von Konkurrent Bosch in den Pedelec-Markt zum Standard. Zu Recht, wie sich bald nach dem Start zeigt: Das Rad fühlt sich gleichzeitig stabil und leichtfüßig an.

Der unvermeidlich klobige, rund drei Kilo schwere Akku sitzt hinterm Sattelrohr und kann zum Laden mit demselben Schlüssel vom Rahmen befreit werden, der auch ins Schloss am Hinterrad passt. Eine pfiffige Lösung, die man bei Preisen ab 3300 Euro aber auch erwarten darf.

100 Kilometer Reichweite zeigt das bei jedem Licht gut ablesbare Lenkerdisplay im Smartphone-Stil, sobald man es angeschaltet und auf dem Tastenfeld unterm linken Daumen die Unterstützungsstufe „Standard“ gewählt hat. Mit „Eco“ soll der Akku sogar für 120 Kilometer reichen, auf „High“ immerhin 80. Der Standard-Schub erweist sich als ordentlich. Vor allem an Ampeln kommt man viel flotter in Gang als gewohnt – sofern man zügig hochschaltet.

Der Sport wird zur Entspannung

Denn der Motor unterstützt bei normaler Trittfrequenz (etwa 70 Umdrehungen pro Minute) am stärksten. Die Achtgang-Nabenschaltung macht gut mit, die Sensorik des Antriebs erkennt stets den Nachhilfebedarf und gibt bei Gegenwind oder an Steigungen entsprechend mehr Schub. Anfangs ist es ungewohnt, mit einem kurzen Tritt in die Pedale gleich so schnell zu werden. Man muss sich beherrschen, nicht immer gleich mit Tempo 25 ins Getümmel zu fahren.

Und auf freier Strecke zeigt sich eine weitere Tücke, die allen 25er-Pedelecs eigen ist: Will man beispielsweise einen anderen Radler überholen und dazu kurz schneller fahren, schaltet der Motor ab. Er tut das sehr dezent, aber trotzdem wird aus dem Flyer schlagartig ein ganz normales, ziemlich schweres Fahrrad.

Deshalb kommt ein trainierter Radfahrer im Flachland per Pedelec auch nur wenig schneller voran als mit reiner Muskelkraft: Mehr als 23 km/h Durchschnittstempo sind selten drin. Der Unterschied: Man dampft nicht mehr nach flotter Fahrt und flucht nicht mehr bei Gegenwind oder Ampelhopping; der Sport wird zur Entspannung.

Für einen fitten, jungen Menschen ist das kein starkes Argument. Für einen älteren oder nicht hundertprozentig gesunden aber sehr wohl. Pedelecs sind aus gutem Grund bei Senioren besonders gefragt. Die zunehmend übliche Schiebehilfe – das Rad fährt auf Knopfdruck ganz langsam selbst – scheint verzichtbar: An flachen Rampen nützt sie was, für steile (wie sie manchmal neben Treppen verlaufen) ist sie zu schwach. Und wer sein Rad häufig über Treppen tragen muss, hat wegen des Gewichts der Stromer immer ein Problem.

Ich geb’ Gas, ich will Spaß!

Doch damit enden die schlechten Nachrichten: Der Akku hält tatsächlich 95 Kilometer, bevor er (etwa vier Stunden lang für gut zehn Cent) wieder geladen werden muss. Das Rad ist gut durch jeden Verkehr gekommen und stand dank hydraulischer Felgenbremsen stets rechtzeitig. Wenn ihm etwas fehlt, dann eine Federgabel für steten Bodenkontakt des Vorderrades.

Das subjektiv harte Gefühl artet in arges Gezappel aus, wenn die kleinen Räder über Pflaster oder Waldwege hoppeln und man obendrein eine Hand zum Abbiegen raushalten muss. Ansonsten liegt Schönheit auch bei Fahrrädern im Auge des Betrachters. An Technik und Qualität des Modells lässt sich jedenfalls wenig aussetzen. Zeit für den Umstieg aufs schnelle Modell: Ich geb’ Gas, ich will Spaß! Und schnell zur Arbeit und wieder nach Hause will ich auch.

Kollegen, die das graue 20er-Modell belächelt haben, stehen nun beeindruckt vor dem hellblau-orange lackierten Mountainbike mit seinen fetten Reifen und der martialischen Federgabel sowie blitzenden Scheibenbremsen. „Charger GT“ heißt das 4000 Euro teure Geschoss des deutschen Herstellers Riese & Müller. Ein Name wie ein röhrender Ami-Schlitten. Und ein Hingucker, wo immer man auftaucht.

Man sieht ein Fahrrad, obwohl eine Rakete kommt

Wie man auftaucht, ist eine andere Geschichte. Die zerschmetterte Fliege am Lenker erzählt sie eigentlich schon. Je nach gewählter Unterstützung fährt man mit dem S-Pedelec meist 30 bis 42 km/h. Also definitiv zu schnell für Radwege (die im Stadtgebiet ohnehin tabu sind; siehe Kasten), aber einen Tick zu langsam fürs Gemüt vieler Autofahrer, die sich partout vorbeidrängeln wollen – gern auch in Tempo-30-Zonen.

Sie haben nämlich ein Problem, das alle haben: die Gewohnheit. Man sieht ein Fahrrad, obwohl in Wahrheit eine Rakete kommt. Im Großstadtgetümmel nimmt einem fast jeder die Vorfahrt: Rollkofferzieher, Einparker, Ausparker, Abbieger, Radler. Alle! Sie verschätzen sich, und man muss mit rauchenden Bremsscheiben ihre Irrtümer ausbügeln. Wenn es gut läuft, kommt man in der Stadt auf Durchschnittstempo 30. Mehr schaffen auch Auto und S-Bahn selten, vom Bus zu schweigen. Aber mit jedem km/h mehr wächst der Stress.

Das Problem bei alldem ist nicht das Rad, sondern die Welt. Abseits der Zivilisation ist das „Charger“ eine Spaßkanone. Mit Tempo 30 den Müggelberg hoch? Geht (wobei die Reichweite auf 20 Kilometer schrumpft) – und strengt trotzdem an, weil man das schnelle Pedelec im Gegensatz zum normalen nicht so leicht ans Limit bringt.

Citybewohner können aufs S-Pedelec verzichten

Wer schnell sein will, muss kräftig treten – und wird belohnt, wenn der Bosch-Tretlagermotor leise jault und die eigenen Kräfte beflügelt. Wer beim Radeln gern die Blümchen am Wegesrand beschaut und den Vögeln lauscht, kann aufs S-Pedelec verzichten. Wer nicht genau weiß, ob die Pubertät schon durch ist, sollte es sogar. Dasselbe gilt für Citybewohner; speziell wenn sie unterhaltspflichtig sind und/oder nicht an ein Leben nach dem Tod glauben.

Aber gereifte Persönlichkeiten mit Landsträßchen oder Fernradwegen in Reichweite können mit dem S-Pedelec Glücksgefühle erleben. Dass es länger ist als andere Räder, stört nur in Aufzügen und Kellern. Beim Schleppen gilt für alle Pedelecs: Es geht, wenn es sein muss. Aber Elektromobilität gehört ohnehin auf die Straße und nicht auf die Schulter.

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