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Eine Frage des Formats. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scheint im Wahlkampf keinen Fettnapf auszulassen.

© Henning Kaiser/dpa

Peer Steinbrück: Das Ich entscheidet den Wahlkampf

Seht her, ich bin’s, der stramme Peer, und es geht noch mehr: Voller Adrenalin inszeniert sich Peer Steinbrück mit einem Stinkefinger, während seine Partei das Wir plakatiert. Und es gibt neue Bilder des SPD-Spitzenkandidaten. Sie zeigen, wie er kämpft.

Vielleicht ist das der Schlüssel zu ihm, zu seinem Wesen. Vielleicht hatte Sigmar Gabriel den Punkt getroffen, als er, der Parteivorsitzende, quasi erleichtert, nach dem Fernsehduell mit Angela Merkel sagte: „Peer, du bist ’ne coole Sau.“

Coole Sau, was für ein Begriff. Steinbrück, eben noch einer, der Staat macht, der Staat machen kann, und jetzt das. Es hat ihn gefreut, ganz bestimmt. Wer sein Gesicht gesehen hat an dem Abend, der sagt das. Und möglicherweise ist es so, dass er es glaubt. Dass er es irgendwie, nicht in diesen Worten, doch immer geglaubt hat: Dass dieser eine Moment kommen wird, in dem es alle sehen werden. Dieser Moment: Ich werde es euch noch zeigen.

Im Fernsehstudio hatte er es ja schon gezeigt, alles das, was ihn – auch – ausmacht. Da hatte er klargemacht, warum man, eigentlich ein Mann, Sigmar Gabriel zuerst, auf die Idee kommen konnte, dass er Kanzler kann. Zunächst musste er halt noch Kanzlerkandidat werden, aber das war doch kein Problem, kein ernsthaftes, oder? Er stand ja in den demoskopischen Werten, in der Beliebtheit wie in dem Zutrauen in seine Fähigkeiten, bei den Deutschen ganz oben. Ganz oben! Weit vor Merkel. Sie konnte nicht an ihn heranreichen.

Als hätte es "boom" gemacht. Cool.

Ja, und dann diese Sendung, nach all dem. Was er einstecken musste. Man könnte sagen: Der Mann, der da stand, hatte Sendungsbewusstsein, in jeder Hinsicht. Diese Präsenz, mit Zahlen, Daten, Fakten, Zusammenhängen. Überwältigend geradezu. Von der ersten Sekunde an, gewissermaßen. Er nahm Maß – und mit einem Mal war er da. Als hätte es „boom“ gemacht. Cool.

Die Moderatoren schienen nach fünf Minuten schon fertig zu haben, Flasche leer. Was erlaube Will? Und den Raab wollte er auch noch schlagen, mindestens mit einem schnellen Witz.

Alle in der SPD bewegt das, bis heute, all die anderen Kandidaten. Ihr Spitzenkandidat, ein Spitzenmann. Und Merkel schaute und schaute und schaute. Und weil Fernsehen alles zeigt, zeigte es auch, wie Flecken unter ihrem Rouge auftauchten. Hektische, würde man bei jeder anderen sagen. Aber sie ist anders. Ihre Waffe ist das Sedieren, und sei es sich selbst. Nur die Ruhe! Den einen Moment wird sie gleichwohl wie paralysierend empfunden haben, ganz sicher. Das ist wie beim Boxen, wenn die Kontrahenten zum Kampfbeginn ihre Handschuhe gegeneinander schlagen. Ein Zeichen der Fairness – und ein Moment der Erkenntnis. Ist er stark oder schwach? Wie groß ist sein Wille? Er reckte danach vor den Genossen die Faust.

Die Wucht seiner Schläge wirft ihn beinahe selbst um

Eine Frage des Formats. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scheint im Wahlkampf keinen Fettnapf auszulassen.
Eine Frage des Formats. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scheint im Wahlkampf keinen Fettnapf auszulassen.

© Henning Kaiser/dpa

Sein Wille ist groß. Er kennt Merkel, gut sogar, er ist einer, der genau hinschaut, er hatte ja auch genügend Zeit in der großen Koalition. Sie führte von hinten, wie eine Schäferin, er umrundete die Herde, mal bissig, mal bellend, immer unverzichtbar. Die Spareinlagen sind sicher, sagte sie den Deutschen in Zeiten der Krise, er stand neben ihr, hinter ihr, grimmig, entschlossen, wie es seine Art ist. Ihr wäre der Satz ohne ihn nicht so über die Lippen gekommen. Das hat sie gewiss auch nicht vergessen.

Er ist ja auch gut. Er kann ja was. Da frage man mal im CDU-Präsidium nach, bei denen, die mit ihm neben Merkel in der Regierung zusammengearbeitet haben. Die von ihm das Amt übernommen haben, Wolfgang Schäuble zum Beispiel. Der kennt sich nun wirklich aus in der Politik. So viele Jahrzehnte, wie er sie betreibt, ein Menschenleben lang. Da war Respekt. Auch als er antrat, oder anders: angetreten wurde als Kanzlerkandidat. Selbst das änderte nichts. Achtung, ein echter Gegner!

Inzwischen gilt der Spruch: nicht mal mehr ignorieren. Ihn reden lassen, ihn für sich selbst sprechen lassen. Alle Gesten, alle Posen, alles Großsprecherische hinnehmen, an sich vorüberziehen lassen. Was damit verbunden ist: sich nicht in einen Händel mit ihm hineinziehen lassen, nur nicht. Auf Distanz halten, die Methode Merkel halt. Sie anzuwenden bedeutet, gar nicht zu reagieren, auszuweichen. Ist das ein Kampf: Sie pendelt ihn aus, die CDU, mit vereinten Kräften. Er schlägt unentwegt, mit Wucht, mit Dynamik, schnell – aber trifft er auch? Was trifft er? George Foreman, der Box-Weltmeister im Schwergewicht, der sagenumwoben einem lange lethargischen Muhammad Ali unterlag, ist übrigens am selben Tag wie Steinbrück geboren. Foreman ist nur jünger.

Zuweilen, jetzt gerade, wirkt es, als werfe ihn die Wucht seiner Schläge beinahe selbst um. Da verliert er die Balance. Als wolle er ein Schröder sein, einer von den ganz harten Jungs, ein Wahlkämpfer, der bis zur letzten Minute dranbleibt, der alles gibt und – fast – noch triumphiert. Sie plakatieren das Wir, aber sein Ich entscheidet. Da kann es passieren, dass der Mittelfinger zur Cohiba wird, zur vulgären und fast obszön ehrlichen Geste seines Adrenalins: Seht her, ich bin’s, der stramme Peer, und es geht noch mehr.

Streusel? Er zeigt seine Brusthaare

Es braucht keine Worte, da hat er recht, es ist das unausgesprochene Motto seines Wahlkampfs: Es geht noch mehr. Er will gewinnen, sicher. Aber weil er ahnt, ach was, weil er weiß, dass das ganz schwer, wenn nicht unmöglich wird, weil Merkel das Amt besetzt – deshalb will er sie wenigstens überall sonst toppen. Und sei es im Persönlichen. Sie spricht über Streusel auf dem Kuchen und Kartoffelsuppe, er zeigt seine Brusthaare.

Das ist er, Peer Steinbrück: Will er zu seinem Ziel vordringen, ist er unerbittlich. Mit ihm zu reden, wenn er sich herausgefordert fühlt, ist eine nahezu ultimative Anforderung an Wachheit, Schnelligkeit, Stehvermögen, dann ist die Zeit egal, morgens früh, abends spät, er will bezwingen. Nicht bezwingend sein mit Charme, das ist ihm selten wichtig. Liebenswürdigkeit ist für ihn, noch mehr als für andere, eine Sache der Gelegenheit. Und die unwichtigste Eigenschaft, um in Kämpfen erfolgreich zu sein. Für ihn ist so viel ein Kampf, er nimmt ihn sofort an. Auch wenn da gar keiner ist.

Immer hartnäckig, das ist er. Die Umstände und Chancen schnell berechnend. So fleißig, dass er anderen unheimlich werden kann. Umsichtig kann er sein, allerdings auch kompromisslos. Sein Gesicht soll seine Gedanken nicht verraten, eigentlich. Und tut es doch, immer wieder. Er ist nicht der in sich Gekehrte. Manchmal kehren sich die Gedanken nach außen, das zeigen die Augen, die scharfen Falten um den Mund. Obacht, dann ist er nicht mehr fern, der heiße Strom an Gedanken, an denen man sich verbrennen kann. Auch er selbst. Ihm zu folgen, verlangt volle Aufmerksamkeit.

Er tut das, was man nicht erwartet. Auch eine Art Humor

Eine Frage des Formats. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scheint im Wahlkampf keinen Fettnapf auszulassen.
Eine Frage des Formats. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück scheint im Wahlkampf keinen Fettnapf auszulassen.

© Henning Kaiser/dpa

Er verlangt sie ja auch. Das ist die andere Seite. Peer Steinbrück ist bestimmt keiner, der eine Abfuhr so einfach hinnimmt. Dafür will er viel zu sehr auch richtig gesehen werden, in seiner An-und-für-Sichlichkeit anerkannt sein. Darin ist er sogar härter als der harte Junge Schröder. Widerstand? Muss gebrochen werden. Zögern gilt nicht. Handeln zählt. Da kann er leidenschaftlich werden, das hat er doch allen gezeigt, mehrmals jetzt, auch im Fernsehen. Ablehnung? Muss überwunden werden. Schnell, denn er verliert ungern Zeit, prinzipiell und momentan schon gar nicht: Ihr könnt mich alle mal – kennenlernen.

Ihn kennenlernen, das ist ein Lernprozess. Er tut immer das, was er als seine Pflicht ansieht, und dann plötzlich das, was man von ihm überhaupt nicht erwarten würde. Das ist auch eine, seine Form von Humor. Er findet das lustig und sagt es auch. Er macht sich angreifbar und spielt damit: Seht her, so offen bin ich, schlagt mich doch, wenn ihr könnt. Aber ihr könnt mich nicht treffen, nicht wirklich, nicht ihr. So ist ein Herausforderer, der weiß, dass er gewinnen muss. Möglichst. Unentschieden reicht nicht. Und unentschieden, das passt sowieso zu einem Steinbrück nicht.

Seine Frau hat ihn verletzlich gezeigt

Seine Frau, die trifft ihn wirklich. Das hat man auch gesehen, öffentlich und im Fernsehen. Ein Gespräch auf offener Bühne, sie redet über ihn. Und landet einen Wirkungstreffer, sozusagen – der ihm nicht geschadet hat. Ironischerweise, und das passt vollkommen zu den Steinbrücks, hat es ihm sogar geholfen, zu sich selbst zu finden, mehr er selbst zu sein, unverstellter.

Dahinter, weit hinter allen Fassaden ist ziemlich sicher der Wunsch gut verborgen, gemocht, ja, geliebt zu werden. Sein nach außen zur Schau getragenes Ego ist der erste Teil der Fassade. Da muss ihn keiner ermutigen, keiner sein Ego streicheln, erst recht kein Mann, das würde er sich verbitten. Direktheit ist ihm lieber, die gerade Schilderung eines Sachverhalts, ehrlich. Er hat doch Haare auf der Brust und trägt kein Unterhemd.

Aber ihn selbst, ohne jede Fassade, zu würdigen, heißt, seine Seele zu touchieren. Und so ist es dann gekommen: Seine Frau hat ihn in aller Öffentlichkeit, in aller Ehrlichkeit als verletzlich gezeigt. Sie hat damit vielen eine neue Seite offenbart. Ein Missgeschick? Wer weiß, aber trotzdem dann auch wieder eines, das ihn in seiner Zähigkeit herausgefordert hat, von vorne zu beginnen. Denn auch darin soll ihn niemand toppen, nicht wahr? Der Beifall für ihn war nie größer als in diesem besonderen Moment. Bis dahin. Danach kam das Fernsehduell, die Wahlkampfarena, die Fotostrecke mit dem Mittelfinger.

Was heißt das eigentlich, cool? Also Steve McQueen war cool, war eine Ikone der Coolness, als Peer Steinbrück noch jung war. Ganz besonders im Drama „Bullitt“, was gesprochen wie „bullet“ klingt, Geschoss. Jahrzehnte ist das her, 1968. Unvergessen an dem Film: seine ewig lange Verfolgungsjagd. Das passt alles, oder? Es würde ihm als Analogie natürlich gefallen. Steve McQueen schaut auch immer grimmig.

So gesehen heißt cool: gelassen, kühl, souverän, kontrolliert, nicht nervös. Und im heute jugendlichen Sinn? Heißt es so viel wie geil, schön, angenehm, erfreulich und vor allem lässig.

Was für ein Bild von ihm kann man sich anhand dessen jetzt machen! Und dazu noch die jüngsten Fotos von ihm. So lässt sich Peer Steinbrück erklären. Man kann ihn bewerten wie er mit seiner Pose Angela Merkel, auf einer Skala von eins bis zehn: Lässig? Kühl? Verbissen?

Aber auf seine letzte Pose, die nach der letzten Minute am Abend des 22. September, wenn dieser Kampf vorüber ist, auf die darf man gespannt sein.

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