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Uwe Schünemann (CDU) ist niedersächsischer Innenminister.

© Kai-Uwe Heinrich

Schünemann zu Verfassungsschutz: "Informationen dürfen nicht nur im Panzerschrank landen"

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) über die Vertrauenskrise und Mängel beim Verfassungsschutz und ein mögliches NPD-Verbot.

Wie tief ist die Vertrauenskrise nach dem Rückzug von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm?

Der Vertrauensverlust ist im Augenblick gravierend. Es muss jetzt alles lückenlos aufgearbeitet und die richtigen Konsequenzen müssen gezogen werden, um den Verfassungsschutz zukunftsfest aufzustellen. Nur so lässt sich das Vertrauen wiederherstellen. Fest steht: Wir brauchen in Zukunft einen schlagkräftigen Verfassungsschutz, weil wir nur durch eine gute Vorfeldaufklärung terroristische Anschläge verhindern können. Die extremistischen Übergriffe werden immer gewalttätiger. Aus diesem Grund müssen wir den Verfassungsschutz dringend professionalisieren und seine Frühwarnfunktion stärken.

Wo sehen Sie die größten Mängel?

Klar ist, dass der Verfassungsschutz reformiert werden muss. Wir haben damit in Niedersachsen bereits begonnen. Bei uns ist er ein Inlandsnachrichtendienst, der nicht nur Informationen sammelt, sondern diese gründlich analysiert und sich mit Sicherheitsbehörden austauscht. Wichtig ist, dass wir bei der Bekämpfung politischer Gewalt zielgerichtet den Ermittlungserfolg im Einzelfall anstreben. Relevante Informationen müssen für alle Sicherheitsbehörden verfügbar sein.

Die Opfer der NSU-Terroristen:

Und was heißt das für das Bundesamt?

Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss sich mehr einschalten als Zentralstelle. Das ist kein Eingriff in die Kompetenzen der Länder, sondern das ist absolut notwendig. Wir brauchen einen Philosophiewechsel, damit wichtige Informationen zur Aufklärung von Straftaten nicht nur im Panzerschrank landen. Dafür ist es notwendig, dass der Verfassungsschutz stärker als bisher an Belangen der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung mitwirkt, ohne selbst Polizeibehörde zu werden.

Abgetaucht. Das Nazi-Trio um Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe konnte über Jahre unerkannt in Deutschland leben und mehrere Morde begehen.
Abgetaucht. Das Nazi-Trio um Uwe Bönhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe konnte über Jahre unerkannt in Deutschland leben und mehrere Morde begehen.

© dapd

Fehlt es dem Verfassungsschutz an Personal für die vielfältigen Aufgaben?

Nein. Das Problem ist vielmehr die Rekrutierung des Personals. Bei der Polizei gibt es eine klare Ausbildung und viele Fortbildungen. Beim Verfassungsschutz ist es sehr unterschiedlich. Da haben sie teilweise Polizeibeamte, die in der Observation tätig sind, die eine Fortbildung bekommen, oder Beamte und Angestellte aus anderen Verwaltungen, die angelernt werden. Aber Sicherheitsarbeit ist heute viel zu spezialisiert. Fachleute sind gefragt und dafür brauchen wir einen eigenen Beruf Verfassungsschützer. Wir müssen eine verzahnte Ausbildung auf Bundesebene auf den Weg bringen, gemeinsam für Verfassungsschützer des Bundes und der Länder. Das könnte an der Fachhochschule des Bundes angesiedelt sein.

Es gab im Fall NSU Kompetenzgerangel zwischen den Behörden. Kommen Machtspiele vor Ermittlungen?

Ich kann die Zusammenhänge im konkreten Fall NSU nur schwer bewerten, weil Niedersachsen bislang nicht unmittelbar betroffen war. Aber klar ist, dass wir die Zusammenarbeit zwischen den Landeskriminalämtern und dem BKA erheblich verbessert haben. Deshalb ist es richtig, dass das operative Geschäft bei den Ländern liegt. Aber der Informationsaustausch muss barrierefrei sein. Die Versäumnisse hängen nicht nur mit Kompetenzgerangel zusammen, sondern auch mit sachlichen Fehleinschätzungen und analytischen Schwächen bei einigen Sicherheitsbehörden.

Bei der Aufarbeitung der NSU-Morde geht es auch um Beziehungen des Trios zur NPD. Gibt es ein neues Verbotsverfahren?

Im Herbst werden die Länder nach einer Prüfung durch den Bund die Lage bewerten können. Ich bin im Moment skeptisch, was ein neues Verbotsverfahren angeht. Man hatte damit gerechnet, dass gerichtsfest ein Zusammenhang zwischen dem rechtsextremen Terror des NSU und der NPD nachgewiesen werden kann, aber danach sieht es derzeit nicht aus. Und wenn es keine neuen Erkenntnisse gibt, wäre es falsch, ein Verfahren anzustrengen.

Uwe Schünemann (CDU), 47 Jahre, ist niedersächsischer Minister für Inneres und Sport sowie Sprecher der Unionsinnenminister. Mit ihm sprachen Ruth Ciesinger und Christian Tretbar.

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