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Helmut Schmidt. Der Altkanzler ist am Dienstag im Alter von 96 Jahren gestorben.

© AFP

Helmut Schmidt zur Hauptstadt: „Berlins Westteil geht im Ostmeer unter“

Im Jahr 2006 sprach Alt-Kanzler Helmut Schmidt mit dem Tagesspiegel über die deutsche Hauptstadt, das Jammern und die Frage, ob es in der Politik so etwas wie moralische Verantwortung überhaupt geben kann.

Helmut Schmidt und Berlin - das war eine nicht ganz hundertprozentige Liebe. Entsprechend fand der Altkanzler auch hier gewohnt hanseatisch-klare Worte. Hier das Tagesspiegel-Gespräch aus dem Jahr 2006 auch zu Fragen der Moral in der Politik und anderen Themen noch einmal zum Nachlesen.

Herr Schmidt, Berlin sei „arm, aber sexy“, heißt es. Stimmt das?

Ich weiß nicht, ob Berlin sexy ist. Das zu beurteilen, überlasse ich anderen.

Und arm?

Berlin ist die Hauptstadt der deutschen Arbeitslosigkeit und die Hauptstadt der deutschen Wohlfahrtsempfänger. Und das Schlimme ist, dass alles dafür spricht, dass es dabei bleibt. Das ist das eigentliche Problem, das die Regierenden seit Helmut Kohl nicht haben erkennen wollen. Und dieses Problem ist eingebettet in das etwas größere Problem der sechs ostdeutschen Länder. Ich schätze mal, wenn es die jährlichen Transferleistungen, die gegenwärtig in der Größenordnung von 85 Milliarden Euro pro Jahr liegen, nicht gäbe, wäre die Produktivität pro Kopf und Nase der Einwohnerschaft im Osten halb so hoch wie in Westdeutschland.

Ist die Lage explosiv?

Eines Tages könnte sie politische Konsequenzen haben. Schon heute wählen 25 Prozent der Wahlberechtigten in Ostdeutschland die Linkspartei. Das kann morgen umschlagen – und dann wählen sie stattdessen NPD oder wie die Nazis dann heißen. Diese ökonomische Schieflage zu dulden, ist das schwerste innenpolitische Versäumnis der letzten eineinhalb Jahrzehnte.

Auch Westberlin ist keine Insel mehr.

Nein, der Westteil der Stadt geht ökonomisch im Ostmeer unter.

Arm, oder arm dran, sind nicht nur die Berliner, sondern offenbar viele Deutsche. Stichworte: neue Armut, Prekariat, Hartz IV. Gibt es eine abgehängte Unterschicht?

Ja, so etwas gibt es in jedem Land der Welt und zu jeder Zeit der Welt. Das hat es im 19. Jahrhundert gegeben, im 20. und auch im 21. Jahrhundert. Allerdings wird es weitgehend dramatisiert. Das Jammern über „Armut in Deutschland“ muss endlich aufhören. Das, was man heute als Prekariat bezeichnet – sagen wir, ein 18jähriges Mädchen, das ein Kind zur Welt gebracht hat und von der Sozialfürsorge, genannt Hartz IV oder Arbeitslosengeld II, eine Wohnung bekommt und einen Fernseher, die Miete braucht sie nicht selbst zu bezahlen –, solche Schicksale gab es immer. Dieses Mädchen gilt als arm und abgehängt, doch in Wirklichkeit geht es ihr unendlich viel besser, als es uns in ihrem Alter gegangen ist. Wer heute von Hartz IV lebt, hat meist einen höheren Lebensstandard als in meiner Jugend ein Facharbeiter mit Frau und Kindern.

Der deutsche Arbeitnehmer, wenn er studiert hat, beginnt mit 28 seinen Beruf…

Das ist schon der erste Fehler.

… und geht mit 63 in Rente. Warum ist das ein Fehler?

Den Luxus eines immer kürzeren Arbeitslebens können wir uns nicht mehr leisten. Mit 63 Jahren in Rente gehen: Dieser Unfug muss aufhören. Und auch der Unfug, dass jemand bis 28 an der Universität herumstudiert.

Wie kann man das abkürzen? Sollen Studenten Studiengebühren bezahlen?

Ja,, natürlich. Aber natürlich mit rückzahlungspflichtigem Bafög! Es ist doch ein Irrsinn, wie viel zigtausende junge Menschen heute an den Universitäten rumstudieren, um schließlich doch ihr Studium abzubrechen. Es gibt zwei Studienrichtungen mit Zwischenprüfungen. Das sind die Mediziner und die Ingenieure. In allen anderen Fächern können sie so lange studieren, wie sie wollen, ohne dafür zu zahlen.

Ist die Reform des deutschen Bildungswesens dringlicher als andere Reformen, etwa auch die des Gesundheitssystems?

Selbstverständlich. Das deutsche Gesundheitssystem zu ändern, ist überhaupt nicht dringlich, es ist unter den großen Staaten eines der besten der Welt.

Wie kommt es, dass unsere Politiker etwas anderes tun, als notwendig wäre, und selbst das, was sie tun, nur schwer erklären können?

Niemand kann etwas erklären, was er selber nicht verstanden hat. Die deutschen Politiker haben nicht verstanden, dass der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit ihre wichtigste Aufgabe wäre. Jetzt glauben sie, der vorübergehende Konjunkturaufschwung würde diese dauerhaft beseitigen. Das ist ein Irrtum. Aber das ist kein deutsches Phänomen, sondern es ist ein Phänomen ganz Westeuropas und auch Nordamerikas. In diesem sogenannten demokratischen, christlichen Westen ist die politische Klasse heute weniger führungskräftig als vor 30 oder 40 Jahren. Eine der Ursachen für diese Entwicklung ist das Fernsehen. Eine weitere Ursache, die sich noch gar nicht richtig ausgewirkt hat, ist das Internet. Fernsehen und Internet erziehen zur Oberflächlichkeit – nicht nur das Publikum, sondern auch die Akteure auf der Bühne vorne, die in Talkshows auftreten.

Gibt es andere Faktoren?

Die heutigen Politiker in den westlichen Staaten haben in der Mehrzahl ein relativ leichtes Leben hinter sich. Sie waren weder in Auschwitz noch in Buchenwald, sie waren nicht im Gulag, nicht in russischer Kriegsgefangenschaft, sie haben nicht die unglaubliche Anstrengung des Wiederaufbaus hinter sich bringen müssen. Die heutigen Politiker gehören zu einer Generation, der es von Kindesbeinen an alle fünf Jahre besser ging. Und sie konnten umsonst studieren, die Betten waren gemacht. Die schweren Prüfungen blieben ihnen erspart. Das führt dazu, dass sie lieber Sicherheit möchten als Risiko.

Fehlt den heutigen Politikern Tapferkeit?

Die Tapferkeit ist eine Kardinaltugend im Sinne von Aristoteles und im Sinne von Thomas von Aquin. Sie setzt aber etwas voraus. Tapferkeit wird erst dann gefordert, wenn man weiß, wofür sie nötig ist.

War Gerhard Schröder tapfer?

Ja, jedenfalls bei seiner Verkündung der Agenda 2010. Er hat gewusst, auf was er sich damit einließ.

War sein Mut vergleichbar mit dem Ihrigem, als Sie den Nato-Doppelbeschluss durchsetzen wollten?

Das kann man durchaus vergleichen.

Herr Schmidt, Sie waren von Anfang an gegen den Irakkrieg. UN-Generalsekretär Kofi Annan sagt heute, es sei dort schlimmer als zu Zeiten Saddam Husseins. Was kann die US-Regierung tun, um aus dem Schlamassel wieder herauszukommen?

Das wüsste der ehemalige US-Außenminister James Baker, der der US-Regierung gerade seine Empfehlungen überreicht hat, wohl auch gerne. In Washington weiß man inzwischen vielleicht, dass es nie eine irakische Nation gegeben hat. Vielleicht weiß man auch, dass es keinen historisch gewachsenen Staat Irak gegeben hat, sondern dass der Irak ein Mandatsgebiet der Briten war, mit völlig willkürlich gezogenen Grenzen. Und in dem Maße, in dem durch die demografische Entwicklung die verschiedenen Bevölkerungen zunehmen, werden die ethnischen, religiösen und wirtschaftlichen Unterschiede die Konflikte weiter verschärfen. Der Irak wird wohl in drei Teile zerfallen. Wann, weiß ich nicht.

Auf dem Balkan ist es seit dem Zerfall Jugoslawiens relativ ruhig.

Ja, aber nur, solange westeuropäisches Militär dableibt. Auch das konnte man vorher wissen. Ich bin kein Pazifist. Aber meine Grundhaltung war stets, dass man sich nicht auf militärische Abenteuer einlässt, deren Ausgang vorhersehbar chaotisch ist.

Ist auch Afghanistan ein solches Abenteuer?

Die Entwicklung dort ist vorhersehbar chaotisch.

Hätten Sie nein gesagt zu diesem Krieg?

Schwer zu sagen. Meine Grundhaltung wäre negativ gestimmt gewesen. Weil ich die Vorgeschichte Afghanistans, die Vorgeschichte der Russen und der Engländer im 19. Jahrhundert in Afghanistan im Hinterkopf habe. Das ist ja eine der Charaktereigenschaften der heutigen Politiker, dass sie keine Geschichtskenntnisse parat haben. Afghanistan ist unregierbar. Die Geschichte der militärischen Intervention europäischer Mächte auf asiatischem Boden ist nicht sehr einladend.

Jetzt wird darüber diskutiert, ob Deutschland in Afrika mehr Verantwortung tragen sollte. Gibt es dazu eine moralische Verpflichtung?

Moralische Verpflichtungen, wo stehen die? In unserem Grundgesetz stehen sie nicht. In der Satzung der Vereinten Nationen stehen sie auch nicht. Im Neuen Testament stehen sie auch nicht. Wo stehen sie?

In der deutschen Geschichte vielleicht – nie wieder Völkermord!

Das klingt wie Joschka Fischer, der die Kosovo-Intervention mit Auschwitz begründet hatte. Das ist ein bisschen sehr weit hergeholt und ein bisschen billig. Nein, ich würde immer sehr zögern. Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes geht dabei verloren, was übrigens auch ein Verstoß gegen die internationale Moral ist.

Auf welchem strategischen Rational beruhte dann etwa die Entscheidung, Truppen in den Kongo zu entsenden?

Das möchte ich auch mal wissen. Mir scheint, es war weniger ein strategisches Kalkül als vielmehr ein moralisches Gefühl der Mitmenschlichkeit. Unsere Regierung ging von der Vorstellung aus, auf diese Weise könnte eine Wahl ohne allzu viel Gewalt ablaufen.

Herr Schmidt, soeben ist ein Buch von Ihnen über China erschienen („Nachbar China“. Helmut Schmidt im Gespräch mit Frank Sieren, Econ-Verlag, Berlin 2006). Darin kritisieren Sie unter anderem, wie der Westen mit dem Reich der Mitte umgeht. Angela Merkel, Jacques Chirac, Tony Blair: Sie alle fordern mehr Menschenrechte in Peking ein. Ist das richtig?

Es bewirkt gar nichts. Und es wird im Wesentlichen nur verlangt, um im eigenen Land die Zustimmung menschenrechtsbewegter Wähler zu bekommen.

Muss man es nicht trotzdem tun?

Wenn ich der Regierungschef eines westlichen Staates wäre, würde ich es nicht tun.

Politik, die auf moralische Argumente verzichtet, wirkt kalt, unnahbar und berechnend.

Das Entscheidende ist nicht das moralische Argument, sondern die moralische Grundlage der eigenen Politik. Darauf kommt es an, nicht auf das nach außen vorgezeigte Argument.

Was muss jetzt im Blick auf die deutsche G-8-Präsidentschaft und EU-Ratspräsidentschaft im Umgang mit China beachtet werden?

Schon seit einer Reihe von Jahren ist es ein schwerer Fehler, China nicht in die G 8 einzubeziehen. Und ebenso ist es ein schwerer Fehler, Indien nicht einzubeziehen. Wir haben gegenwärtig eine positive Weltkonjunktur aus mehreren Gründen, einer davon ist die enorme Nachfrage, die die Chinesen produzieren. Wenn die Chinesen aus irgendeinem Grunde plötzlich aufhören würden, Öl, Stahl oder Energie nachzufragen, ginge die Weltkonjunktur in den Keller.

Wir reden in Europa seit ein paar Jahren über die viel zu niedrige Geburtenrate. Man beklagt, die Gesellschaft werde älter, weniger dynamisch, die Sozialversicherungssysteme könnten nicht mehr finanziert werden. In China gibt es die Ein- Kind-Politik. In absehbarer Zeit wird die chinesische Gesellschaft eine der im Durchschnitt ältesten der Welt sein. Wie kann so ein Land zur Weltmacht aufsteigen?

Für den Aufstieg Chinas zur Weltmacht gibt es mehrere Faktoren. Dennoch bleibt er rätselhaft. Einer der Faktoren ist die Tatsache, dass es diesem riesenhaften Land – heute 1,3 Milliarden Menschen – gelungen ist, seinen vielen Menschen einen Zuwachs an realem Lebensstandard zu verschaffen. Ein anderer Faktor ist der Umstand, dass der ökonomische Aufschwung Chinas sich inzwischen für die umliegenden Nationen in Ost- und Südostasien als außerordentlich wohltuend erwiesen hat. Der dritte Faktor ist, dass trotz dieses großen Erfolges und trotz der Tatsache, dass es sich um eine Diktatur handelt, dieses Land sich in seiner Außenpolitik überaus friedlich bewegt hat – abgesehen von gelegentlichen Gesten gegenüber Taiwan.

Militärisch geht von China keine Gefahr aus?

Ich erkenne keine. Die Chinesen haben eine Riesenarmee, aber sie bedrohen niemanden. Sie haben bislang zweimal ihre Waffen eingesetzt, einmal, als die Amerikaner bis an die nordkoreanisch-chinesische Grenze vorgestoßen waren. Und das andere Mal, als die Vietnamesen in Kambodscha eingriffen. Ansonsten waren sie für eine Weltmacht erstaunlich friedlich.

Zurück zur Ausgangsfrage: Die chinesische Gesellschaft vergreist – und ist trotzdem erfolgreich?

Es bleibt höchst geheimnisvoll, warum nach 3000-jähriger Geschichte plötzlich dieser unglaubliche Vitalitätsaufschwung möglich ist. Wenn das aber in China möglich ist, dann kann man ja vielleicht – das will ich sehr vorsichtig und zurückhaltend ausdrücken – daraus die Hoffnung schöpfen, dass das auch anderswo möglich ist, zum Beispiel hier.

China ist eine Diktatur. Kann dieses Riesenreich den Weg zur Demokratie finden?

Auch ein Riesenreich kann den Weg zur Demokratie finden. Das aber für China zu erwarten, kommt mir reichlich optimistisch vor. Es ist auch nicht dringend notwendig.

Wir in Europa halten die Demokratie für die beste aller möglichen Staatsformen, auch die Amerikaner tun das, sogar die Inder, jedenfalls die indische Oberklasse. Warum ist sie trotzdem nicht wünschenswert für China?

Ich sage nicht, dass die Demokratie für China nicht wünschenswert ist, aber diese Frage ist nicht das Hauptproblem Chinas. Dass die Demokratie ideal sei, wird im Ernst keiner behaupten, der den Koalitionszirkus in Berlin betrachtet oder den in Rom oder Paris. Ideal ist die Demokratie nicht, aber sie ist von all den Regierungsformen bei weitem die für uns beste.

Wo wir gerade beim allgemeinen Koalitionszirkus sind: Eine Politik der kleinen Reformschritte muss Ihnen ja durchaus sympathisch sein.

Ja, das würde sie sein, wenn es sie bei uns gäbe.

Müssen wir in Deutschland, um noch einmal auf China zu sprechen zu kommen, auch kleine Schritte zurück zur Atomkraft machen?

China plant gegenwärtig 30 Atomkraftwerke. Ob die alle gebaut werden, weiß ich nicht; aber jedenfalls wird dort mit erheblichem Nachdruck betrieben, atomare Energie in Zukunft zu nutzen. Das tun beinahe alle Staaten der Welt. Deutschland ist die herausragende Ausnahme. Ob die Deutschen da besonders klug sind, kann man sich mit erheblichem Recht fragen.

Das klingt wie ein Nein.

Ja, so soll es auch klingen. Ich war nie dieser Meinung. Ich habe meine Meinung auch nicht geändert. Die Sozialdemokratie hat als Partei ihre Meinung in diesem Punkt geändert; sie war in den 50er Jahren mit Feuer und Flamme für die nukleare Energie, und seit spätestens Tschernobyl hat sie umgeschaltet auf negativ. Aber das ist ziemlich einmalig in der Welt.

Etwas, was Deutsche und Europäer an China erschreckt, ist das niedrige Lohnniveau, kein deutsches Unternehmen kann da mithalten. Um international konkurrenzfähig zu sein, müssen also deutsche Unternehmen in Forschung und Technologie investieren. Ist hier auch der Staat gefragt?

Ja, genauer gesagt: Die Regierung ist gefragt. Stärker in die Forschung zu investieren, ist eine absolute Notwendigkeit, wenn wir gegenüber der schnell expandierenden ökonomischen Leistungsfähigkeit Chinas und Indiens auf die Dauer unseren Lebensstandardvorsprung halten wollen. Dazu gehört allerdings auch, dass man nicht die Forschung mit tausend Vorschriften behindert. Die Behinderung reicht von der Kernkraft bis zur Gentechnologie. Und sie reicht von dem Medikament gegen Kopfschmerzen bis zu den einzupflanzenden Herzklappen oder Schrittmachern. Überall wird in Europa in schlimmer Weise reguliert, staatlich beaufsichtigt, staatliche Genehmigungsinstanzen wuchern. Da ist ein erhebliches Umdenken notwendig. Die Befreiung der Forschung enthält natürlich Risiken. Die Europäer möchten am liebsten Sicherheit ohne jedes Risiko. Sie sind verwöhnt durch die friedlich verlaufende Periode von 1945 bis 2006. Die Sicherheitsorientierung ist am ausgeprägtesten in Deutschland, aber durchaus sehr kräftig auch in Frankreich und in Italien.

Herr Schmidt, wahrscheinlich ist die Frage ein bisschen unfair. Wissen Sie noch, wo Sie vor ziemlich genau 25 Jahren, am 13. Dezember 1981, waren?

Da war ich auf dem Boden der DDR.

In Güstrow, der Barlach-Stadt, an der Seite von Erich Honecker.

Honecker war keine besonders große Figur. Er war jemand, für den man in gewisser Weise Mitleid, gemischt mit Sympathie, haben konnte. Er hatte festgehalten an den kommunistischen Idealen seiner Jugend, hatte dafür bei Adolf Nazi lange im Zuchthaus gesessen, hatte das alles ertragen und an seinen Idealen festgehalten. Die Begegnung mit ihm ist ohne historische Bedeutung.

Wer ist oder war, abgesehen von Ihrer Frau, die wichtigste Person in Ihrem Leben?

Das weiß ich nicht. Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Wir geben Ihnen Zeit.

Ich kann darauf nur eine vorläufige Antwort geben. Einer der wichtigsten Menschen für mich war der spätrömische Kaiser Marc Aurel, der mich als jungen Soldaten in Russland Gelassenheit gelehrt hat. Er hat mich auch Pflichterfüllung gelehrt für eine beschissene Sache damals. Und unter den Politikern, die ich erlebt habe, war der wichtigste Anwar al-Sadat. Das ist der ehemalige Staatspräsident Ägyptens, der den Mut hatte, mit Israel Frieden zu schließen. Diesen Mut hat er später mit seinem Leben bezahlt.

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