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Blumen hängen in Einschusslöchern am 14.11.2015 in der Rue Alibert in Paris (Frankreich).

© dpa

Terror in Paris: Wir widerstehen!

Wer die Attentate von Paris missbraucht, gegen Flüchtlinge zu wettern, ist ein Lump. Wer die Attentate missbraucht, das Gespräch über die Grenzen der Willkommenskultur zu unterbinden, ist nicht viel anständiger als ein Lump. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es ist nicht allein die hohe Zahl an Opfern in Paris, die auch jenen Tränen in die Augen treibt, die Gefühlsregungen in der Politik für sachfremd halten. Es ist nicht allein das hinter der Tat stehende Maß an Kalkulation, Perfektion und Perfidie, das erschüttert. Es ist nicht allein die Wahllosigkeit, mit der das Morden praktiziert wurde, die jedes Sinnieren über Motive der Terroristen jenseits des Terrorismus verbietet. Nein, es ist das alles zusammen und noch viel mehr, das eine Hinterbliebenenwelt traurig, zornig, ratlos und entschlossen sein lässt.

Diese zum Teil widersprüchlichen Regungen muss eine Gesellschaft aushalten. Der Drang, sie zu ordnen und ihnen eine Richtung zu geben, darf nicht stärker sein als der Wille, sich die Art des Lebens von denen nicht vorschreiben zu lassen, die zum Selbstmord bereit sind. Wut tendiert zur Tat, Taten aus Wut tendieren zum Aktionismus. Die größte Zumutung nach einem Terroranschlag dieser Dimension besteht darin, ihn nicht reflexhaft in die eigene Agenda zu integrieren. Wer Ermordete politisch instrumentalisiert, entehrt sie.

Allerdings wäre es weltfremd, die Resonanzräume zu negieren. Zwischen Attentat und Flüchtlingskrise werden viele einen Zusammenhang herstellen. Denn es gibt sie, die Angst vor Überfremdung, vor einer als latent gewalttätig wahrgenommenen Religion, dem Islam, vor Radikalisierungsprozessen als Folge von Integrationsdefiziten, vor einer unbegrenzten Einwanderung. Wer diese Gemengelage ausblendet und dekretiert, allein die Willkommenskultur sei die beste Waffe im Kampf gegen den islamistischen Terror, läuft Gefahr, die Verängstigten zu pathologisieren. Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts traut sich knapp jeder zweite Deutsche nicht, in der Flüchtlingskrise seine Meinung zu sagen. Aber wenn Terroristen eines verwehrt werden muss, dann ist es doch wohl, den offenen Diskurs durch Polarisierung zu ersticken.

Ihre Tatorte hatten die Attentäter mit diabolischer Raffinesse gewählt

Wer die Attentate von Paris missbraucht, gegen Flüchtlinge zu wettern, ist ein Lump. Wer die Attentate missbraucht, das ergebnisoffene Gespräch über Möglichkeiten und Grenzen der Willkommenskultur zu unterbinden, ist nicht viel anständiger als ein Lump.

Der Islamismus hat zwei Feinde. Da ist, erstens, das freie Wort, das freie Denken. Sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, ist das Gegenteil religiös motivierter Indoktrination. Die Pluralität von Meinungen zu ertragen, gilt Fundamentalisten als unerträgliche Provokation. Da ist, zweitens, die Würde des Menschen, aller Menschen, auch die des Fremden, des Anderen, des Ungläubigen. Frankreichs radikaler Säkularismus, wie er sich auch am Kopftuchverbot zeigt, signalisiert oft etwas anderes, die Ausgrenzung von praktizierter Religiosität.

Viele Flüchtlinge sehnen sich nach freien Gedanken und menschlicher Würde. Aus eigenem Erleben und Erleiden sind sie vor den Versuchungen des militanten Islamismus gefeit. Das muss im Blick bleiben, damit aus Trauer und Zorn, Ratlosigkeit und Entschlossenheit keine falschen Schlüsse gezogen werden.

Ihre Tatorte hatten die Attentäter mit diabolischer Raffinesse gewählt. Sie symbolisieren ein Moment der Alltäglichkeit – Konzerthalle, Café, Fußballstadion. Nun ist nichts mehr wie vorher, und doch muss alles wie vorher sein, der Besuch von Konzerten, Cafés und Stadien. Das Leben geht weiter: Diese Botschaft sind die Lebenden den Ermordeten schuldig.

Aktuelle Entwicklungen zum Terror in Paris können Sie hier in unserem Liveticker lesen.

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