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Heiner Geißler muss sich nach seinem Goebbels-Zitat rechtfertigen.

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Stuttgart 21: Geißler und der Krieg

Heiner Geißler hat die unversöhnlichen Widersacher im Streit um den Stuttgarter Bahnhof mit den Worten angeraunzt: "Wollt ihr den totalen Krieg?" Darf Geißler das, darf man aus dem Wörterbuch der Unmenschen zitieren?

Der Mann ist ein älterer Herr, 81 Jahre alt, er ist, was man ein Urgestein nennt, ein Urgestein der Politik, er war mal Hardliner und Polarisierer, er ist sehr gebildet und sehr klug, er weiß, was er sagt, vielleicht ist er ein wenig schwerhörig, ganz sicher ist er immer noch aufbrausend, eine gewisse Cholerik ist ihm zu attestieren, ein Zuspitzer ist er auch.

Mit letzteren Eigenschaften hat Heiner Geißler am vergangenen Freitag die unversöhnlichen Widersacher im Streit um den Stuttgarter Bahnhof angeraunzt: „Wollt ihr den totalen Krieg?“ Ein Zitat, das Original findet sich in der schrecklichen Sportpalastrede, die der Nazi und Reichspropagandaminister Joseph Goebbels am 18. Februar 1943 hielt. Darf Geißler das, darf man aus dem Wörterbuch der Unmenschen zitieren?

Am Montag hat Geißler sich im Deutschlandfunk zu rechtfertigen gesucht. Frage: „Ist das denn totaler Krieg, der da in Stuttgart droht?“ Geißler: „Der droht schon seit geraumer Zeit, er ist schon seit geraumer Zeit vorhanden, es hat über 100 Verletzte gegeben, ein Mensch ist total blind geworden bei dieser Auseinandersetzung.“ Er habe mit dem Zitat (Frage: ... das „stammt von Joseph Goebbels.“ Geißler: „So? Da wissen Sie mehr als ich.“) nur den Leuten klarmachen wollen, dass es jetzt höchste Zeit ist, eine friedliche Lösung zu finden.

Zwei Keulen existieren in Deutschland. Nennt man einen reaktionären Rabbi, der die Liebe zwischen einer Israelin und einem Palästinenser unterbinden möchte reaktionär, schlägt die Antisemitismuskeule zu. Die andere Keule ist der Nazivergleich. Die wird geschwungen, um vermeintlich Ungeheuerliches zu geißeln. Immer und auch in Stuttgart verbietet sich der Vergleich von selbst. Auch, weil bestimmte Formulierungen kontaminiert sind.

Man darf auch nicht, nur als Beispiel, und wenn man noch so sehr gegen die nun nach den Regenfällen über uns kommende Mückenplage ist, man darf ihre Abschaffung nicht mit der Formulierung herbeisehnen, dass man sich eine „Endlösung der Mückenplage“ wünsche. Heiner Geißler, der eigentlich viel zu klug ist für einen verbalen Ausrutscher, ist auch nicht ausgerutscht. Er hat bei vollem Bewusstsein gehandelt. Man könnte ihm seine Verzweiflung über die heillos verrannte Situation in Stuttgart zugutehalten. Aber das macht es nicht wirklich besser.

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