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Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Wladimir Putin.

© AFP

Merkel und Putin: Achtung Selbstachtung

Putin und Russland begeben sich immer mehr in die Isolation und immunisieren sich gegen jegliche Art von Kritik. Diplomatie wird als Schwäche verlacht, eigene autoritäre Momente als Stärke goutiert. Wir waren wer, wir sind wieder wer, warum auch immer: Das ist die Essenz dieser Politik.

Wladimir Putin regiert ein Land, in dem Stalin beliebter ist als Michail Gorbatschow. Bis heute werden in Russland die Helden des Großen Vaterländischen Krieges verehrt. Denn die Rote Armee hat Hitler besiegt und die Welt von der Gefahr des Faschismus befreit. Trotz der Zeit des Großen Terrors (den sogenannten Säuberungen) und in Kenntnis der Gulag-Bestialitäten: Auf ihre Vergangenheit sind die meisten Russen stolz. Dieser Stolz ist stärker als die Zerknirschung über russische, stalinistische und sowjetische Verbrechen. Weil Putin es meisterhaft versteht, an dieses Grundgefühl zu appellieren, wird er regelmäßig wiedergewählt.

Das muss bedacht werden, um den jüngsten Fast-Eklat zwischen dem Präsidenten Russlands und der deutschen Bundeskanzlerin richtig einordnen zu können. Das Thema Beutekunst rührt in beiden Ländern an tief sitzende nationale Empfindlichkeiten. Die Deutschen haben das formale Völkerrecht auf ihrer Seite, die Russen das Blut vieler Millionen Soldaten, die im Kampf gegen den Nationalsozialismus ihr Leben lassen mussten. Nicht allein um Argumente geht es in diesem jahrzehntealten Streit, sondern vor allem um Sensibilitäten. Dazu gehört freilich eine Tugend – der Respekt vor dem Standpunkt der Gegenseite.

Angela Merkel sollte ursprünglich am Freitagabend bei der Eröffnung der Ausstellung „Bronzezeit – Europa ohne Grenzen“ in der St. Petersburger Eremitage, in der unter anderem der legendäre Goldschatz von Eberswalde gezeigt wird, ein Grußwort sprechen. Das wurde zunächst, entgegen der Absprache, kurzfristig gestrichen. Die Russen verwiesen auf Zeitprobleme. Aus Merkels Sicht indes wäre ihr Nichtreden einer Zustimmungsgeste zur Einverleibung der geraubten Kulturgüter gleichgekommen. Objektiv wortlos, subjektiv mundtot: Das konnte, das durfte sie nicht akzeptieren. Der Termin schien geplatzt. Es folgte die nächste Runde im Gerangel: Plötzlich hieß es, Putin und Merkel würden doch gemeinsam zur Ausstellung gehen und separate Stellungnahmen abgeben.

In der außerrussischen Wahrnehmung Putins reiht sich die Affäre nahtlos in eine lange Kette ähnlicher Düpierungen ein. Sie reicht von zunehmend autokratischen Tendenzen im Land selbst – Kontrolle des Fernsehens, Drangsalierung der Opposition, Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure, Gängelung ausländischer Stiftungen – bis zur offenen Parteinahme für den syrischen Diktator Baschar al Assad inklusive massiver Waffenlieferungen. Putin und Russland begeben sich immer mehr in die Isolation und immunisieren sich gegen jegliche Art von Kritik, ihre Macht stützt sich allein auf den hohen Ölpreis. Die Grenzen ihres eigenen Universums betrachten sie als die Grenzen des Universums überhaupt. Diplomatie wird als Schwäche verlacht, eigene autoritäre Momente als Stärke goutiert. Wir waren wer, wir sind wieder wer, warum auch immer: Das ist die Essenz dieser Politik.

Dagegen hilft als einziges Mittel die Wahrung der Selbstachtung. Insofern war es richtig von Merkel, den Affront nicht einfach zu schlucken. Putin indes interessiert nur der schöne Schein. Er werkelt bereits an seinem nächsten Vermächtnis, mit dem er als demokratisch irgendwie legitimierter Zar in die Geschichte eingehen will: die Olympischen Winterspiele in Sotschi. Wenn die Bundesregierung bis dahin über ein zentrales Denkmal in Berlin nachdenkt, das an die Opfer des Kommunismus erinnert, wäre das ein weiteres wichtiges Signal.

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