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US-Informant Edward Snowden im Porträt: Einer musste es tun

Träumer? Spinner? Vaterlandsverräter: „Ich unterscheide mich nicht von anderen Amerikanern“, sagt Edward Snowden. Seit zwei Wochen ist er auf der Flucht. Denn er hat seinen Landsleuten offenbart, wie groß das Ausmaß ihrer Überwachung ist. Die Geschichte eines gewissenhaften IT-Experten.

Vielleicht müssen sich die USA wirklich Sorgen machen. Wenn sie von jemandem wie Edward J. Snowden verraten werden, dann sind sie vor niemandem mehr sicher. „Jene“, sagt er, „die die Freiheit für die Sicherheit aufgeben, werden weder das eine noch das andere bekommen, noch haben sie es verdient.“

Benjamin Franklin hat diesen Satz gesagt, und weil Franklin als „der erste Amerikaner“ gilt, er war Mitverfasser der Unabhängigkeitserklärung und beendete als Diplomat in Paris den Unabhängigkeitskrieg, lernen in den USA schon Kinder, wie wichtig Bürgerrechte zu nehmen sind. Sie lernen Franklin-Sätze in der Schule auswendig, sie sollen sie verinnerlichen. Ist es da eine Überraschung, dass Edward Snowden es wörtlich nimmt? Ein Nobody, ein Jedermann?

Er trägt ein grau-blaues Oberhemd, die kurzen Haare und die randlose Brille machen jede Erwartung auf nur ein bisschen Extravaganz zunichte. Er ist bloß der Informant. Aber mit seinen Enthüllungen um die Spähprogramme der USA und Großbritanniens hat es der 30-Jährige auf praktisch jeden Fernsehbildschirm des Planeten geschafft. Dabei ist er nur ein gebildeter junger Mann mit blassem Gesicht, der von sich behauptet, „ich unterscheide mich nicht von anderen Amerikanern“.

So ganz kann das nicht stimmen. Denn es hat selten Fälle wie den Edward Snowdens gegeben. Die Spione Ethel und Julius Rosenberg gaben Informationen über das Manhattan-Projekt, den Bau der amerikanischen Atombombe, an die Sowjetunion weiter – brisant, aber am Ende doch überflüssig. Daniel Ellsberg, ein Militäranalyst, verbreitete während des Vietnamkrieges die Pentagon Papers. Aus ihnen ging hervor, wie sehr die Johnson-Regierung das Parlament über das Ausmaß des Krieges getäuscht hatte – ein Affront. Der Soldat Bradley Manning, der für die US-Army im Irak bei der Aufklärung arbeitete, leitete Video-Aufzeichnungen und eine Unmenge belastendes Material an die Internetplattform Wikileaks weiter – ärgerlich für die USA, aber auch zu viel des Guten. Während Manning Material preisgab, das als „Verschlusssache“ eingestuft worden war, basieren Snowdens Enthüllungen auf streng geheimen Operationen. Durch sie wird das ganze Ausmaß der Datenspionage durch die amerikanische Sicherheitsbehörde NSA sichtbar. Jeder US-Bürger, der mit dem Ausland Kontakt hat, wird ebenso erfasst wie Datenströme jedes in den USA befindlichen Servers, der von ausländischen Firmen betrieben wird.

Ohne Leute wie Snowden läuft in dieser Welt nichts. Denn der 30-Jährige ist Systemadministrator. Ein Architekt der digitalen Welt. Einer von denen, die man ruft, wenn auf dem Computer mal wieder etwas nicht so funktioniert, wie es sollte. Einer, den man machen lässt und lieber nicht um eine Erklärung bittet, weil man sie ohnehin nicht verstünde. Es sind die IT-Experten, durch die aus den kryptischen Befehlsketten des Digitalen eine Jedermannwelt wird. Und obwohl man zuweilen das Gefühl bekommen kann, dass an Leuten wie ihnen jene andere, soziale Welt vorbeiläuft, weil sie oft schweigsam sind und sich unter Menschen deplatziert fühlen, tut sie das eben nicht. Snowden hat sich aus seinem Kokon begeben.

Ein Rätsel ist er der Welt geblieben. Da ist diese Konsequenz. Das alte Leben aufgegeben für ein paar historische Worte Benjamin Franklins. Soll man diese Konsequenz bewundern? Soll man sie fürchten als die Sturheit eines Träumers?

Er nannte sich "Verax": Der die Wahrheit sagt

Seit 17 Tagen versteckt sich Edward Snowden. Er wusste, dass er das würde tun müssen, als er Ende Mai mit einem kleinen schwarzen Koffer sowie mehreren Umhängetaschen, darin vier Laptops, von Hawaii aus aufbrach. Seiner Freundin sagte er, dass er wohl einige Wochen fort sein werde. Seinem Arbeitgeber, der NSA, erklärte er, dass er eine Therapie wegen seiner erst kürzlich diagnostizierten Epilepsie antrete.

Wohin ihn dieser radikale Bruch führt, ist derzeit ungewiss. Zunächst checkte er in einem Hotel in Hongkong ein. Er benutzte seinen eigenen Namen, seine eigene Kreditkarte. Als zu erwarten war, dass er entdeckt werden würde, tauchte er ab. Nun soll er sich im Transitbereich des Moskauer Flughafens Scheremetjewo aufhalten. Er möchte in Ecuador politisches Asyl ersuchen. Ob ihm das gelingen wird, ohne gültigen Pass, gejagt von den US-Behörden, die ein Anti-Spionage-Gesetz von 1917 auf ihn anwenden, und vom Wohlwollen Putins abhängig, ist äußerst ungewiss. In der Maschine, die er nach Kuba gebucht haben soll, saß er jedenfalls nicht. Er ist zum Spielball der Supermächte geworden.

Es gibt ein Video von ihm, von dem er wollte, dass es aufgezeichnet wird. Darin erklärt er seine Motive. Er habe, sagt er, als Beschäftigter des für die NSA tätigen Softwarespezialisten Booz Allen Hamilton privilegierten Zugang zu Informationen erhalten, die weit über das hinausgingen, was normale Angestellte zu Gesicht bekämen. Die würden in ihrer Karriere vielleicht ein oder zwei Vorfälle erleben, in denen Grenzen überschritten würden. „Ich erlebte Missbräuche regelmäßig. Und je mehr ich darüber reden wollte, desto mehr wurde ich ignoriert und desto mehr wurde mir erzählt, dass das alles kein Problem sei.“

Es war also die Ignoranz der NSA-Agenten gegenüber ihrem eigenen Tun, die Snowden aufschreckte. So stellt er es jedenfalls dar in dem zwölfminütigen Video-Interview, mit dem er sich am 9. Juni als Informant der Prism- und Tempora-Affäre zu erkennen gibt. Er zeichnet das Bild einer Superbehörde, die gleichzeitig ein Billiggeheimdienst ist. Wie ein riesiger Datenstaubsauger filtere, speichere und durchsuche sie sämtliche elektronischen Informationen, derer sie habhaft werde. Gewaltige Datenmengen liefen auf, einfach weil es die einfachste und kostengünstigste Methode sei, Kontrolle zu erwerben. „Ich an meinem Schreibtisch war autorisiert, das Leben jedes beliebigen Menschen auszuforschen, vom Bundesrichter bis zum Präsidenten, wenn ich dessen persönliche E-Mailadresse besessen hätte.“

Das Überwachungsprogramm Prism erlaubt es den Diensten, jeden elektronischen Kontakt, jede Mail oder SMS-Nachricht, jeden Telefonkontakt mit dem Ausland auch Jahre später zurückzuverfolgen. Es macht aus US-Bürgern gläserne Menschen, die gar nichts Unrechtes getan haben müssen, um in den Fokus von Ermittlungen zu geraten. Es genügt, sich verdächtig zu machen. Und Snowden glaubt, dass, sind erst die strukturellen Bedingungen für die Totalüberwachung geschaffen, sie auch angewandt wird. „Es wird immer schlimmer.“

Die Obama-Regierung bestreitet die Vorwürfe. Die Maßnahmen seien legal. Überwachungen würden nur mit richterlicher Genehmigung durchgeführt. Für sie ist Snowden „jemand, der – warum auch immer – das heilige Vertrauen in dieses Land stören will“, wie Geheimdienstdirektor James Clapper sagt.

Er läutet das Post-Wikileaks-Zeitalter ein

Snowdon hatte seinen Schritt gründlich vorbereitet. Bereits 2008 will er – damals in Diensten der CIA – erwogen haben, Dienstgeheimnisse preiszugeben. Seine Zweifel blieben einer ehemaligen Kollegin nicht verborgen, sie wird nun zitiert mit der Bemerkung, Snowden habe damals eine "Art innere Krise" durchlebt. Aber er setzte Hoffnungen in Obama, den kommenden Mann im Weißen Haus. Der allerdings ließ die Spähprogramme ausweiten. „Das hat mich abgehärtet“, sagt Snowden jetzt. Im Januar suchte er Kontakt zu zwei Leuten, die ihm vertrauenswürdig erschienen. Laura Poitras, eine Dokumentarfilmerin, und Glenn Greenwald vom britischen „Guardian“. Dass er sich nicht an die „New York Times“ wandte, erklärte er mit einer früheren NSA-Recherche, die in der Redaktion ein Jahr auf Eis gelegen habe. Dasselbe wollte er offenbar nicht auch erleben, die Zeit hatte er nicht.

Snowdens Schritt läutet womöglich die Post-Wikileaks-Ära ein. Denn der Informant wandte sich an Journalisten. Sie sollten sein Material bewerten und ein Forum schaffen. „Tausende Dokumente“ sind Glenn Greenwald übergeben worden, er sagt, das reiche für „ein Dutzend Geschichten“.

Greenwald ist ein Blogger, der von Brasilien aus für den „Guardian“ arbeitet. Er wunderte sich zunächst über den Mann, der sich „Verax“ nannte (Latainisch für die Wahrheit aussprechen) und dem Journalisten detaillierte Anweisungen schickte, wie der seine Mails an ihn verschlüsseln sollte. Auch die erste Begegnung in Hongkong fand unter mysteriösen Umständen statt. Greenwald wurde bedeutet, in einer abgelegenen Hotelbar sehr laut nach dem Weg in einen anderen Teil des Hotels zu fragen. Erkennungszeichen war ein Zauberwürfel.

Das Video, das Poitras in Snowdens Hotelzimmer aufnahm, vermittelt bislang den besten Eindruck von ihm. Wenn ihm eine Frage nach seinen Motiven gestellt wird, atmet er tief ein. Dann antwortet er präzise. Selbst lange Sätze weiß er souverän zu beenden, obwohl ihm die Anspannung anzusehen ist und sein Mund trocken wird.

Er habe für die CIA und die NSA in Genf, Japan, in Maryland und schließlich in Hawaii gearbeitet, im Paradies, wo sein Arbeitgeber Booz Allen Hamilton seinen Sitz hat und für die NSA technische Dienstleistungen anbietet. Er wurde gut bezahlt, 200 000 Dollar im Jahr. Um ihn zu verstehen, sagt er und neigt seinen Kopf zur Seite, muss man sich nur fragen: „Was hat mich bewogen, all das hinter mir zu lassen?“

Edward Joseph Snowden wurde am 21. Juni 1983 geboren. Er wuchs in Wilmington, North Carolina, auf, einer Küstenstadt, in der sein Vater bei der Coast Guard gearbeitet haben soll. Die Familie zog später nach Ellicott City, Maryland, wo seine Mutter bis heute das Haus bewohnt, in dem Edward groß wurde. Nach Angaben von „CNN“ ist sie im örtlichen Gericht stellvertretende Büroleiterin. Die Eltern ließen sich scheiden. Ed beendete die Highschool ohne Abschluss, studierte Informatik am Anne Arundel Community College.

"Es ist nicht an uns, den Geheimdienstlern, zu entscheiden, ob die Programme richtig sind."

Er sei ein „stiller Junge“ gewesen, sagt eine Nachbarin, „wirklich still“. Und ein Kommilitone erinnert sich, dass sie sich die Zeit gemeinsam mit Videospielen und Anime-Filmen vertrieben und eine Website konstruiert hätten. „Das war“, sagt er, „bevor Freaks cool wurden.“ Studiert habe Edowaado, wie Snowden sich nannte, eigentlich nicht.

Sieht so der Ursprung einer Heldengeschichte aus?

Auf der Suche nach einer Erklärung für Snowdens Entschluss sah „New York Times“-Autor David Brooks in Snowden „das Produkt eines der unvorteilhafteren Trends der Zeit: die Atomisierung der Gesellschaft, der Verlust von sozialen Bindungen und die offenkundig wachsende Zahl von jungen Männern in ihren Zwanzigern, die ein technologisches Dasein in dem konturlosen Land zwischen Kindheit und familiären Pflichten fristen“.

Im Internet hat Snowden nur wenige Spuren hinterlassen. Sie führen zu Onlinespielen, Chateinträgen. Er soll dem Präsidentschaftskandidaten Ron Paul eine kleinere Wahlspende überwiesen haben. Außerdem wird bestätigt, dass er sich im Mai 2004 zur Army-Reserve gemeldet hat, um eine Spezialkräfte-Ausbildung zu absolvieren. Auch dazu findet sich eine Äußerung von ihm im Netz: Er wolle "den Menschen im Irak" helfen. Aber das Training wurde nie abgeschlossen, Snowden brach sich das Bein.

Trotz seiner fehlenden College- und Universitätsabschlüsse machte sich Snowden offenbar um seine berufliche Zukunft nie Sorgen. Als "computer wizzard" finde er überall einen Job, offenbarte er einmal. Was sich als richtig erwies. Seit die USA ihren Sicherheitsapparat nach den Anschlägen vom 11. September immer weiter aufblähen, seit sie die Erde mit Methoden der Rasterfahndung nach möglichen Bedrohungen durchkämmen, sind die Snowdens dieser Welt gefragter denn je. Und der junge Mann hatte eine unbescholtene Biografie.

Warum wollte er nicht weiter anonym bleiben? „Die Öffentlichkeit verdient eine Erklärung“, lautet Snowdens schlichte Antwort. Man könne der Regierung nicht ihren Mangel an Integrität vorwerfen und dabei selbst unseriös werden. "Es ist nicht an uns, den Geheimdienstlern, zu entscheiden, ob diese Spähprogramme richtig sind. Das sollte die Öffentlichkeit tun", sagt Snowden und unterstreicht damit seine demokratische Überzeugung, die ihn, das Kind des Internets, erst zu einem Vasallen der Big-Data-Behörden seines Landes werden ließ, dann zu einem Abgefallenen. Wie könne er zulassen, fragte er sich, dass die USA ihren Bürgern jegliche Privatsphäre nimmt.

Dass er sich vor drei Monaten gezielt bei Booz Allen Hamilton anstellen ließ, um an sensibelste NSA-Daten zu gelangen, wie die „South China Morning Post“ am Dienstag zitiert, wirft einen Schatten auf seine Motive. Zu viel Kalkül verträgt der Idealismus nicht. Andererseits hat Snowdon ein für Spione seltenes Kunststück fertig gebracht: Er hat das System enthüllt, ohne dessen Früchte zu verraten.

Erschienen auf der Dritten Seite.

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