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Am Mittwoch ist der deutsche Schriftsteller Ralph Giordano gestorben.

© dpa

Zum Tod von Ralph Giordano: Davongekommen und dageblieben

Von der Last, ein Deutscher zu sein: Zum Tod des großen, kämpferischen Publizisten und Schriftstellers Ralph Giordano.

„Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“ – so hieß ein Buch Ralph Giordanos, das 1989 veröffentlicht wurde –, dann hätte der Journalist und Schriftsteller seinen 90. Geburtstag im vorigen Jahr nicht erlebt, jedenfalls nicht in Deutschland. Jetzt ist er an diesem Mittwoch in Köln gestorben, nachdem er nicht nur Hitlers letzte Schlachten überlebt hatte, in einem Hamburger Keller versteckt –, sondern auch die letzten und allerletzten Schlachten mit Hitlers vormals, noch immer und schon wieder getreuen Alt- und Neonazis. Deren Duldung, die lange verweigerte und verzögerte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen und der Entschädigung ihrer Opfer nannte Ralph Giordano 1987 „die zweite Schuld der Deutschen“ – und im Untertitel des gleichnamigen Buches sprach er „von der Last, ein Deutscher zu sein“. Aber er sei, so formulierte er es in einer Rede, „angenagelt an dieses Land“.

Ein starkes Bild, aber treffend, gemessen an seinen Leiden, Kämpfen, Irrungen und Wirrungen im vierfach gewandelten Deutschland seiner einundneunzig Lebensjahre: in der Weimarer Republik, Hitlers Reich, zwei verfeindeten deutschen und schließlich doch vereinten Republiken. An anderer Stelle erklärte er diese „Angenageltheit“ auch mit der Sprache, die ihn nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aus Deutschland weggehen ließ: „Mir wurde klar, wie sehr ich trotz der Leiden und des Verrats, denen wir ausgesetzt waren, mit meiner Stadt, Hamburg, verbunden war und auch mit dem Deutschen, dieser wundervollen Sprache – sie aufzugeben, wäre ein weiteres und schreckliches Opfer gewesen, eine Sprache, ohne die ich nicht leben könnte, zumal ich entschieden hatte, zu schreiben.“

1955 übersiedelte Ralph Giordano in die DDR

Geboren und verfolgt als Sohn jüdischer Eltern in Hamburg, am 4. Mai 1945 aus dem Kellerversteck befreit, begann er seine Karriere als Journalist bei der „Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung“ und als Jungkommunist und westdeutscher Journalistikstudent in Leipzig. 1953 veröffentlichte er in der DDR unter Pseudonym ein „Westdeutsches Tagebuch“, 1955 übersiedelte er sogar für neun Monate in die DDR. Rasch ernüchtert kehrte Ralph Giordano nach Hamburg zurück und verließ die inzwischen illegale KPD. Seine Abrechnung mit ihr und den eigenen stalinistischen Irrtümern trug den sarkastischen Titel „Die Partei hat immer recht“ und wurde fast so legendär und war ebenso einprägsam wie Wolfgang Leonhards „Die Revolution entlässt ihre Kinder“.

Ein professioneller Kommunismus-Experte und Kreml-Astrologe wie Leonhard wurde dennoch nicht aus Ralph Giordano. Sein Lebensthema war und blieb der Nationalsozialismus, dessen Wurzeln und Nachwirkungen in der bundesrepublikanischen deutschen Gesellschaft, der er einen konstitutionellen Mangel an Zivilcourage vorwarf. Sogar eine Art Kollektivschuld machte er aus, was antisemitische Vorfälle betraf, zum Beispiel an einer Schule in Sachsen-Anhalt 2006, da sprach er davon, dass „ganz Deutschland an dieser Untat beteiligt“ gewesen sei. Gegen Neonazismus und Rechtsextremismus war er deshalb, wie er 1994 nach den Brandanschlägen von Mölln und Hoyerswerda in einem Offenen Brief an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl schrieb, zur Gegenwehr bereit „bis in den bewaffneten Selbstschutz hinein“.

Giordanos Werk bleibt unbestritten und unbestreitbar

Da hatte er die Zustimmung und den Beifall der alten und neuen Linken, der er so oft seine Stimme und seine Feder geliehen hatte. Das änderte sich allerdings, als er während des Irak-Kriegs Positionen der Friedensbewegung und deren Anti- Amerikanismus kritisierte und sich in seinen letzten Lebensjahren gegen einen fundamentalistischen Islamismus engagierte. Den Bau der Kölner Großmoschee nannte er ein falsches Signal, einen Dialog mit der Türkisch-Islamischen-Union (DITIB) als Bauherrin lehnte er ab wegen deren Leugnung des Völkermords an den Armeniern, dem er 1986 eine Fernsehdokumentation („Die armenische Frage existiert nicht mehr – Tragödie eines Volkes“) gewidmet hatte. Und dem Bundespräsidenten Christian Wulff hielt er auf dessen Diktum, der Islam gehöre zu Deutschland, entgegen, das sei eine „blauäugige Gleichsetzung des real existierenden Islam mit einem EU-konformen Islam“. Dafür erhielt er zwar Beifall von Necla Kelek und Lea Rosh, erntete aber „Unverständnis“ (Günter Wallraff) bei vielen Linken und Beschimpfungen als vermeintlicher „Ausländerfeind“ (Micha Brumlik). Dieser Streit wird nach seinem Tod nicht beendet sein.

Aber von seinem Werk bleibt so viel Unbestrittenes und Unbestreitbares, dass es sein – so wie er schon im Jahr 1986 sein Tagebuch betitelt hat – „sündhaft langes Leben“ überdauern wird. Allem voran sind da sein weitgehend autobiografischer Familien- und Generationenroman „Die Bertinis“, der 1988 von Egon Monk verfilmt wurde, sowie seine Autobiografie „Erinnerungen eines Davongekommenen“ (2007). Davongekommen war er vor der Gestapo, den Bomben auf Hamburg, den jahrzehntelangen Morddrohungen von Neonazis, Antisemiten, Islamisten und angemaßten Antifaschisten. Nur dem Tod, der ihn jetzt mit 91 Jahren ereilt hat, dem kommt niemand davon.

Hannes Schwenger

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