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Die Protestierer fordern wirtschaftliche und soziale Reformen.

© dpa

"Mubarak, hau ab": Tote bei Demokratie-Demos in Ägypten

Nach den Protesten in Tunesien gehen nun in Kairo Tausende auf die Straße. Das Regime reagiert mit Drohungen und Polizeipräsenz. Bei den Auseinandersetzungen gab es erste Tote.

Am Ende waren sie wie berauscht von ihrem eigenen Erfolg. „Mubarak, hau ab“, „Hosni, es reicht – geh nach Saudi-Arabien“, skandierte die Menge und dann immer wieder „Allah ist groß“. Eine schwangere junge Frau mit Kopftuch kniet betend auf dem Rasen. Andere schwenken ägyptische Fahnen, den Mund gegen das Tränengas mit einem weißen Schutz bedeckt. Noch nie in der jüngeren Geschichte Ägyptens sind in Kairo so viele Menschen gegen das Regime von Präsident Hosni Mubarak auf die Straße gegangen – und haben sich getraut, ihrem Ärger Luft zu machen. Tunesien ist unser Vorbild, sagen sie, und wir wollen es noch besser machen.

Den ganzen Nachmittag lang strömten tausende auf den Tahrir-Platz am Nil, nachdem sie unterwegs zahlreiche Polizeisperren durchbrochen hatten. Für viele war es die erste Demonstration ihres Lebens überhaupt – wie Computerfachmann Ahmed Hamed. Zweimal sei er in den vergangenen Jahren eingesperrt worden, berichtet er, während die Menge um ihn herum „Freiheit, Freiheit“ skandiert. Das letzte Mal holten Geheimpolizisten ihn um zwei Uhr früh aus dem Bett, schlugen seine komplette Wohnungseinrichtung kurz und klein. Nach vier Wochen Gefängnis ließen sie ihn wieder laufen – ohne Anklage und ohne Erklärung. „Wir alle haben die Nase voll von diesem Regime“, sagt der 44-Jährige. „Dreißig Jahre geht das jetzt schon so – keine Wahlen, keine Freiheit und kein Respekt vor uns Bürgern.“

„Revolution und Freiheit“ war dann auch das Motto, unter dem die Oppositionsparteien und Menschenrechtsgruppen per Facebook den Dienstag zum „Tag der Revolte gegen Folter, Armut, Korruption und Arbeitslosigkeit“ ausgerufen hatten. Behörden und Schulen waren offiziell geschlossen, denn eigentlich war „Festtag der Polizei“. Doch für die Beamten gab es diesmal nichts zu feiern. Zehntausende Uniformierte waren in Kairo, aber auch in Alexandria, in den Deltastädten Mansura und Tanta sowie in Assiut und Assuan in Oberägypten gegen die Regimekritiker im Einsatz. In der Hauptstadt setzte die Polizei zunächst Tränengas und Schlagstöcke ein – zog sich aber angesichts der Übermacht der Masse bald zurück. „Wir sind keine Feiglinge, wir haben keine Angst mehr“, riefen die überwiegend jungen Leute. Viele Töchter waren auch mit ihren Müttern gekommen, Söhne mit ihren Vätern, ja ganze Familien. Der 16-jährige Ahmed hat sogar seine Großmutter untergehakt, die sich immer wieder aufgeregt umschaut. „Wir wollen nicht mehr so weiterleben“, ruft er im Vorübergehen.

Am Morgen noch hatte der wegen seiner Härte berüchtigte Innenminister Habib al-Adly in einem Interview mit der staatsnahe Tageszeitung „Al-Ahram“ die Organisatoren der Proteste verspottet. Sie seien sich offenbar nicht bewusst, dass ihre Aktionen „keinerlei Wirkung“ haben würden, sagte er und drohte mit einem harten Vorgehen der Polizei. In der Stadt Suez wurden zwei Demonstranten getötet, nachdem die Polizei das Feuer eröffnete, wie es aus Sicherheitskreisen hieß. In Kairo starb demnach auch ein Polizist, nachdem er bei Ausschreitungen verletzt worden war.

Außenminister Ahmed Aboul Gheit hatte einen Vergleich seines Landes mit Tunesien als „baren Unsinn“ und „Phantasterei“ vom Tisch gewischt – auch wenn sich in Ägypten in den letzten Tagen mehrere Menschen aus Protest gegen ihre miserablen Lebensumstände öffentlich anzündeten. Denn rund die Hälfte der 80 Millionen Einwohner lebt unter der UN-Armutsgrenze von zwei Dollar pro Tag. Seit knapp dreißig Jahren herrscht in dem Land am Nil der Ausnahmezustand, der vom Parlament im Mai 2010 erneut für zwei Jahre verlängert wurde. Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind stark eingeschränkt. Polizei und Staatssicherheit dürfen jeden Bürger willkürlich verhaften und beliebig lange festhalten. Folter bei Verhören ist an der Tagesordnung, mehr als 10.000 politische Gefangene sitzen nach Angaben von Menschenrechtlern hinter Gitter.

„Dies hier ist nur der Anfang – jetzt wird das Volk nicht mehr zu stoppen sein“, ruft der junge Apotheker Hissan Saleh. „Endlich haben die Ägypter die Barriere der Angst durchbrochen“, freut sich der 24-Jährige, während Tränengasgranaten durch die Luft zischen. „Wir werden es schaffen, wir gehen hier nicht mehr weg, bis Mubarak gestürzt ist.“

In Tunesien soll derweil die in Aussicht gestellte Umbildung der unter Druck stehenden Übergangsregierung schon an diesem Mittwoch erfolgen. Das sagte Regierungssprecher Taïeb Baccouch am Dienstag nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Tap. Zeitgleich mit der Ankündigung würden zahlreiche personelle Veränderungen bei den tunesischen Botschaftern und bei den Gouverneuren der Regionen bekannt gegeben. Laut einer regierungsnahen Quelle innerhalb der Opposition sollen die fünf derzeit vakanten Ministerposten von unabhängigen Persönlichkeiten übernommen werden. Zudem seien nun mehrere Vertreter des alten Regimes des gestürzten Staatschefs Ben Ali zum Rücktritt aus dem Kabinett bereit. Bisher besetzten Ben Alis frühere Gefolgsleute die Schlüsselpositionen in der Regierung. mit AFP

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