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Arabischer Herbst in Ägypten: Wahlen in Gefahr, das Ansehen des Militärs auf dem Tiefpunkt

Nach den Angriffen auf Christen in Kairo wächst die Angst, dass das große Projekt Demokratie in Ägypten scheitern könnte.

In Kairo geht die Angst um. Verschwörungstheorien machen die Runde. An allen Ecken stecken Menschen die Köpfe zusammen und diskutieren. Nachts marodieren Schlägerbanden durch die Viertel. Die Gefahr landesweiter Unruhen zwischen Christen und Muslimen ist nicht gebannt. Und es hagelt Absagen von Touristen. Zum ersten Mal seit dem Sturz von Hosni Mubarak macht sich am Nil die Sorge breit, dass das große nationale Projekt der Revolution vom 25. Januar für Demokratie und Selbstbestimmung untergehen könnte in Gewalt, Zerfall und Niedergang.

„Wir wollen den Sturz von Tantawi“, skandierten die Menschen vor dem koptischen Krankenhaus in Kairo – womit sie Armeechef Hussein Tantawi meinten, den derzeitigen Leiter des Obersten Militärrats (SCAF). Im Internet schauten sich Zehntausende entsetzt die Videos mit den Radpanzern an, die wild durch die Menge rasten und wahllos Demonstranten niederwalzten. Selbst der zentrale Trauergottesdienst in der koptischen Kathedrale, zu dem kein führender Politiker und kein einziger hoher Militär erschienen war, wurde immer wieder unterbrochen von wütenden Rufen „Nieder mit der Militärherrschaft“. Gleichzeitig wachsen die Zweifel, ob in diesem Klima der Verunsicherung und Gewalt die für den 28. November geplanten ersten demokratischen Parlamentswahlen in der Geschichte Ägyptens überhaupt stattfinden können. Am Mittwoch begann die offizielle Registrierung der Kandidaten.

Vor acht Monaten noch als Retter der Revolution gefeiert, gilt das Verhältnis zwischen SCAF und Volk inzwischen als tief gestört. Noch nie seit dem Ende von Mubarak standen die Generäle unter der Führung von Feldmarschall Tantawi so in der Kritik wie nach den blutigen Vorfällen an der Nil-Corniche. Denn was das staatliche Fernsehen am Sonntagabend in einer Propagandasendung dreist als ruchlosen Angriff koptischer Bewaffneter auf die Armee zu intonieren versuchte, erweist sich durch Zeugenaussagen, Videos und ärztliche Gutachten nun als mörderisches Wüten von Soldaten gegen die eigenen Landsleute. Mindestens sieben Opfer wurden erschossen und zehn von Radpanzern zermahlen. Von den angeblich getöteten drei Militärpolizisten dagegen fehlt jede Spur.

Noch fünf Tage vor den Ausschreitungen hatte eine Expertenkommission, die die Regierung in Fragen interreligiöser Spannungen berät, vor einer solchen Eskalation gewarnt. Sie empfahl Premierminister Essam Sharaf eindringlich, den Gouverneur von Assuan zu entlassen und blockierte Bauanträge für koptische Kirchen umgehend freizugeben. Der Gouverneur – noch aus Mubaraks Zeiten – hatte den Angriff von Salafisten auf die Mar Girgis Kirche im Dorf Marinab nahe Edfu in zahlreichen Interviews indirekt gerechtfertigt mit der falschen Behauptung, der Umbau des Gotteshauses sei illegal. „Die Kopten haben einen Fehler gemacht, und dafür müssen sie bestraft werden“, trompetete der ehemalige General noch letzte Woche gegenüber Modern TV. Der ägyptische Regierungschef dagegen ignorierte seine Ratgeber und ließ die Dinge laufen.

Und so verfügt nach der Katastrophe an Kairos Nilufer niemand an der Spitze des Landes noch über die Autorität, Ägypten in ruhigeres Fahrwasser zurückzusteuern. Die Laienpolitiker in Generalsuniformen stehen im Verdacht, den demokratischen Wandel gezielt zu verschleppen, ehemalige Regimegrößen zu decken und vor allem darauf zu achten, die Pfründe aus ihrem weitverzweigten Wirtschaftsimperium zu sichern. Auch das Übergangskabinett von Premier Sharaf hat allen Kredit verspielt. Am Dienstag reichte als erster Vizepremier Hazem al Beblawi seinen Rücktritt ein. „Ich kann so nicht weiterarbeiten“, ließ er Mitarbeiter als Begründung streuen. Sein Gesuch jedoch wurde von der Armeeführung postwendend abgelehnt.

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