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Hatice Akyün ist Autorin und freie Journalistin. Sie ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause.

© promo

Meine Heimat: Nur-Deutsche und Auch-Deutsche

Wird 2013 als Jahr der Massenausbürgerungen in die deutsche Geschichte eingehen? Unsere Autorin meint ja - und kritisiert, dass ein Bürokratiemonster viele Kinder von Migranten zwingt, sich für eine Staatsbürgerschaft zu entscheiden.

Was haben wir in diesem Jahr an denkwürdigen Ereignissen: 50 Jahre deutsch-französische Freundschaft, 80 Jahre Machtergreifung Adolf Hitlers, 30 Jahre Die Grünen im Bundestag, 150 Jahre Sozialdemokratie. Aber die Zeit läuft ja weiter, und irgendwann werden wir uns an das Jahr 2013 erinnern. Das Jahr, in dem in Deutschland geborenen Kindern die deutsche Staatsbürgerschaft weggenommen und massenhaft ausgebürgert wurde. Allein schon die in sich widersprüchliche Wortschöpfung Optionspflicht ist fraglich. Da steht die erste Silbe für Wahlmöglichkeit, aber die zweite hebt es mit Zwang und vorgeschriebener Handlung wieder auf.

Sie erinnern sich? Schäuble, Koch und Konsorten mit der Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft, die annullierte Bundesratsentscheidung und der Kompromiss, der die Optionspflicht beinhaltete. Sie besagt, dass Kinder, die in Deutschland geboren sind, Deutsche sein können, auch wenn es die Eltern nicht sind. Diese Regelung wurde für zehn Jahre rückwirkend ermöglicht. Nach Adam Riese müssen sich also ab diesem Jahr die ersten dieser Optionskinder, da sie nun 23 Jahre alt sind, entscheiden. Entweder sie geben die Staatsbürgerschaft ihres Ursprungslandes ab oder sie verlieren die deutsche Staatsbürgerschaft, wenn sie es nicht tun.

Es ist schon ungeheuerlich, wie man innerhalb eines Amtsganges seine Identität auflösen kann. Aber genau dort liegt der Kern des Problems: Es ist eine Staatsbürgerschaft mit Haltbarkeitsdatum, ein Besucherausweis statt eine ernstgemeinte Mitgliedschaft. Mit der Lebensrealität in Deutschland hat die Optionspflicht wenig zu tun. Diese Jugendlichen, die sich nun entscheiden sollen, verstehen sich längst als multikulturelle Deutsche. Sie haben keine Oder-Identität, sondern eine Und-Identität.

Das Kind einer Migrantin, die nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt zum Bespiel, muss nicht optieren. Wenn beide Elternteile EU-Bürger sind, und nur das Kind deutsch, bekommt es sowohl die deutsche als auch die Staatsangehörigkeit der Eltern. Ab hier wird es jetzt verwaltungstechnisch komplizierter: Wenn man für Deutsch optiert, das Ursprungsland der Eltern aber die Ausbürgerung nicht mitmacht, wie die Staaten Iran oder Irak, wird die Mehrstaatlichkeit geduldet. Und jetzt kommt’s: Wer zum Beispiel Schweizer Staatsbürger ist oder US-Bürger, ist außen vor. Wer aber Türke, Kroate oder Serbe ist und seinen Herkunftspass nicht abgibt, fliegt aus der deutschen Staatsbürgerschaft raus. Bürger der EU dürfen ihren Zweitpass sowieso behalten.

Mal ehrlich: Ist das in Ordnung, dass durch die amtliche Hintertür Ausländer erster und zweiter Klasse geschaffen werden? Außer den in Blut-und-Boden-Ideologie Ewiggestrigen kann es doch niemand ernsthaft für sinnvoll erachten, dieses Bürokratiemonster aufrechtzuerhalten. Es stößt nämlich genau jene vor den Kopf, die Deutschland längst als ihre Heimat verstehen, aber ihre Wurzeln nicht kappen wollen.

Loyalität hat man zu dem Land, das einen akzeptiert – und nicht zu einem Stück Papier macht. Oder wie mein Vater sagen würde: „Zenginin sermayesi kasasinda, alimin sermayesi kafasinda“ – das Kapital des Reichen ist im Geldschrank, das des Klugen im Kopf.

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