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Lukaschenko kommt mit seinem jüngsten Sohn Nikolai aus der Wahlkabine

© dpa

Weißrussland: Die Wahl des Propagandisten

Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko lässt für sich abstimmen – die Opposition sieht nur Fälschung.

„Das nächste Wahllokal?“, die fünf Männer am Tresen des Westernpubs „Dudu-King“ gleich hinter dem weißrussischen Parlament schauen ratlos von ihren Bierkrügen auf. „Wir haben keinen blassen Schimmer“, sagt schließlich ein langhaariger Rockertyp. „Von denen war keiner wählen, ich übrigens auch nicht“, meint die Barfrau fast entschuldigend.

Diese wackeren Biertrinker konnte auch der neuste Wahlspot des Staatssenders „Belarus 1“ nicht aufmuntern. Kurz nach Mitternacht stöckeln Modelbeine in roten Highheels über ortsübliche Verbundpflastersteine, dann wird der Bildschirm schwarz. „Geh wählen!“, befiehlt herrisch ein Schriftzug. Tagsüber wird kindergerecht eher mit Volkstanzgruppen und Störchen für eine Teilnahme an den Wahlen geworben.

Das weißrussische Wahlrecht schreibt nämlich eine Mindestteilnahme von 50 Prozent plus eine Stimme vor, damit die Parlamentswahl gültig ist. Der autoritär regierende Staatspräsident Alexander Lukaschenko versucht sich über das Parlament eine gewisse Legitimität zu verschaffen, auch wenn dieses seit Jahren nur noch seine Erlasse abnickt. Seit 2004 gibt es auch keine oppositionellen Abgeordneten mehr in der Großen Kammer. Die wichtigsten Oppositionsparteien haben dieses Jahr zum Wahlboykott aufgerufen.

Video: Lukaschenkos oppositionsfreies Parlament

Doch die meisten Weißrussen lässt auch dieser Schritt kalt. „Es herrscht eine unglaubliche Apathie“, klagt Alexander Feduta von der Bürgerbewegung „Sag die Wahrheit!“. Seit der brutalen Niederschlagung der Proteste nach den Präsidentenwahlen Ende 2010 hätten die Weißrussen einfach nur noch Angst. Dazu komme die Wirtschaftskrise. Die Inflation hat die Ersparnisse der Weißrussen im vergangenen Jahr mindestens halbiert. „Die Leute denken ans Überleben, nicht an Politik“, sagt Feduta.

„Statt einfach zu Hause zu bleiben, sollten die Bürger eher die Option ,gegen alle’ ankreuzen“, findet eine ältere Dame im Wahllokal Nummer 105 gleich gegenüber dem Hauptquartier des weißrussischen Geheimdienstes KGB. Von den ursprünglich fünf Kandidaten sind nur noch drei übrig geblieben, seit die Oppositionsparteien „Weißrussische Volksfront“ und „Vereinigte Bürgerpartei“ ihre Kandidaten aus Protest gegen die Fälschungsmaschinerie zurückgezogen haben. Hinter ihren Namen kann man den handschriftlichen Vermerk „abgezogen“ auf dem Wahlzettel lesen. „Das war viel Handarbeit“, klagt Galina Schandarowa, die Wahlkommissionsleiterin. Vertreter der Opposition hätten es nicht in ihre Kommission geschafft, erklärt sie nüchtern. Landesweit sind es weniger als ein Tausendstel – ein Grund mehr für die Opposition zum Wahlboykott.

Dafür hat Galina Schandarowa das Plansoll erfüllt. In ihrem Wahlkreis 105 haben bis 14 Uhr von den 810 hier gemeldeten Stimmberechtigten 39 Prozent an der Wahl teilgenommen. Dies liegt im Minsker Durchschnitt, wie die staatliche Nachrichtenagentur „Belta“ meldet. Die immer weltoffenere Metropole Minsk gilt als besonders Lukaschenko-kritisch. Landesweit haben laut „Belta“ bereits sechs Stunden vor Urnenschluss mit 50 Prozent genügend Bürger abgestimmt. Die Parlamentswahl ist damit gültig.

Video: Hohe Wahlbeteiligung in Weißrussland

„Das Resultat stand bereits vorher fest“, ist der Oppositionspolitiker Wladimir Nowosiad sicher. Der Liberale ist einer der wenigen, die ihre Kandidatur aufrechterhalten haben. Vor zwölf Jahren saß er schon einmal im Parlament, als einer der letzten geduldeten Oppositionellen. „Mein Wahlkreis kennt mich, ich hätte eine Chance“, sagt er bitter. Doch Lukaschenkos Apparat habe einfach kurzerhand ein sogenanntes „Karussell“ organisiert. Seit Dienstag würden Staatsangestellte von Wahllokal zu Wahllokal in seinem Bezirk gekarrt, wo sie jeweils gleich mehrmals abstimmen würden, erzählt er bei einem Espresso im Supermarkt „Hippo“. Nowosiad hat inzwischen Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstattet. Dann fügt er an: „Für Wahlfälschung droht Gefängnis, doch hinter Gittern lande eher ich als Kläger.“

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