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Drei aus der Kiste: Die Fußball-Europameisterschaft ist ein Fernsehereignis aber Experte will gelernt sein: ARD-Moderator Reinhold Beckmann, ARD-FußballexperteMehmet Scholl und ARD-Moderator Matthias Opdenhövel (von links).

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TV-Bilanz zum EM-Finale: Schöne neue Weltregie

Die Uefa manipuliert Bilder, Mehmet Scholl glänzt, Oliver Kahn wird ausgebremst: Die Berichte von der Fußball-EM zeigen, was im Fernsehen möglich ist – im Guten wie im Schlechten.

Wenn es nach den Regeln und Gesetzen exzellenter Fernsehunterhaltung zugehen würde, dann müsste der Sonntagabend so aussehen: Die ARD zeigt das EM-Finale Spanien gegen Italien, der Moderator heißt Reinhold Beckmann, neben ihm der Experte Mehmet Scholl. Das Spiel kommentiert Tom Bartels, und der Mann kann es ähnlich wie die zwanzig Millionen deutschen Zuschauer, die mehrheitlich für die italienische Mannschaft sind, einfach nicht fassen: der Beamtenfußball der Spanier hat keine Chance gegen das Feuerwerk der Italiener: Pirlos Ideen verblüffen alle – bis auf Cassano und Balotelli, die seine Pässe mit der Grazie von Balletttänzern annehmen. Nach Balotellis drittem Tor zieht sich der Mann komplett nackt aus und küsst seinen Trainer, was die Kameras der sogenannten Weltregie in Großaufnahme zeigen. Und als alles vorbei ist, da stellt Beckmann die richtigen Fragen und Scholl analysiert, und ganz am Ende wird nicht nach Leipzig geschaltet in den Bayrischen Bahnhof zu „Waldis EM Club“, weil die ARD diesen chauvinistischen Wurmfortsatz in ihrem Programm einfach nicht mehr ertragen hat.

Hingucker. Der ausgezogene Italiener Mario Balotelli beim 2:0 gegen Deutschland.
Hingucker. Der ausgezogene Italiener Mario Balotelli beim 2:0 gegen Deutschland.

© dpa

Aber – und das ist das Tolle und das Dumme an Sportübertragungen im Fernsehen – so läuft das eben nicht. Dazu ist der Sport zu unberechenbar: Er kann beim Zuschauer für Begeisterung sorgen oder aber ihn in einem Zustand quälender Langeweile zum Umschalten zwingen. Und dazu ist das Fernsehen zu unberechenbar: Die vergangenen Wochen, in denen ARD und ZDF diese Fußball-Europameisterschaft gezeigt haben, präsentierten die ganze Bandbreite, was im Fernsehen möglich ist – im Guten wie im Schlechten.

Es soll Leute geben, die waren dann auch ein bisschen genervt davon, dass der ARD-Experte Mehmet Scholl durchgehend gelobt wurde, und diese Leute müssen wir an dieser Stelle weiternerven, denn Scholl lieferte die beste Einzelleistung aller Mitarbeiter ab. Der Mann kam weitestgehend ohne Floskeln aus, wenn er etwas nicht wusste, dann sagte er, dass er es nicht wisse, und wenn er anderer Meinung war, dann sagte er diese Meinung.

All das trug er vor mit dem Ernst, der nötig war und dem Witz, der möglich war – eine Balance, die so wichtig ist im Fernsehen und die die wenigsten schaffen. Matthias Opdenhövel zum Beispiel. Der brauchte Jahre neben Stefan Raab, um ein sehr guter Showmaster zu werden – jetzt, als Sportmoderator der ARD, braucht er jemanden, der ihm erklärt, dass man nicht alles mit einem Augenzwinkern wegmoderieren muss: Opdenhövels Hang zur Ironie wirkte stellenweise bemüht, manchmal war sie fehl am Platz, denn alles in allem gilt: So eine Europameisterschaft ist keine Witzveranstaltung – auch wenn sich die Uefa reichlich bemüht hat, das Gegenteil zu beweisen.

Wer kam den um Himmels willen auf die Idee für diese Animation, die die Sender zwangsweise vor, während und nach dem Spiel zeigen mussten? Überhaupt: Was war das denn? Stadien, die aus Blumen wachsen? Wieso Blumen? Wer ist für die grafische Umsetzung verantwortlich? Eines dieser McDonald’s-Kinder, die mit den Spielern ins Stadion einmarschieren mussten? Und sitzen diese Kinder eigentlich auch an den Reglern der sogenannten Weltregie und sorgen dafür, dass die Fernsehzuschauer keine Bilder sehen von Flitzern, bengalischen Feuern und Halbnackten auf der Tribüne? Diese Weltregie, die immer dann eine Superzeitlupe brachte, wenn tatsächlich mal etwas passierte? Oder aber eine vor Stunden aufgenommene Szene so reinschnitt, dass man meinte, es wäre live? Würde es wohl was zum Guten ändern, wenn nicht Michel Platini Uefa-Präsident wäre, sondern – sagen wir mal – Oliver Kahn?

Der Fußballstrand in Usedom in Bildern

Kahn hat ja jetzt ein bisschen Fernseherfahrung und dank seines Jobs beim ZDF kommt er ja auch ein bisschen rum, während der EM war er oft auf Usedom, aber was er da genau gemacht hat, blieb ihm wohl so rätselhaft wie den Fernsehzuschauern. Was sich die Senderverantwortlichen mit diesem „Fußballstrand“ gedacht haben – man will es nicht wissen. Das Wetter war so schlecht wie die Stimmung, die Moderation von Katrin Müller-Hohenstein ist mit „desinteressiert“ noch defensiv charakterisiert. Vor allem aber half sie Kahn nicht. Kahn hat – anders als Opdenhövel – Angst vor Humor, dabei gibt es immer wieder Momente, da ist er zur Selbstironie fähig, und das sind die besten Momente, aber die werden von Müller-Hohenstein nicht eingefordert. Sie bremst ihn, sie stellt unnötige Fragen, sie zeigt langweilige Einspielfilme, die beim ZDF „Splitter“ heißen und in der ARD „Telegramm“, und die nur den Zweck verfolgen, die Übertragung unnötig in die Länge zu ziehen. Als wären die Nullfragen, die die Reporter nach dem Abpfiff an die Spieler stellen, nicht schon des Guten zu viel.

Und was bei beiden Sendern aufgefallen ist: ein eklatanter Mangel an Talenten. Seit Jahren quälen ARD und ZDF uns Zuschauer mit demselben Personal – muss es denn wirklich sein, dass Wolf-Dieter Poschmann immer noch kommentieren darf, obwohl er sich doch offensichtlich nicht für Fußball interessiert? Aber man will ja nicht immer nur jammern.

Was also bleibt Positives aus Sicht des Fernsehkritikers von dieser EM? Dabei gewesen zu sein, als Andrea Pirlo in einer Mischung aus Genialität und Todesverachtung seinen Elfmeter gegen England schoss; als Mehmet Scholl mit Witz und Klugheit das Können von Mario Gomez hinterfragte; als Mario Balotelli einfach nur dastand; als Tom Bartels schwieg, als am Ende des Spiels Irland gegen Spanien die irischen Fans minutenlang das schöne, traurige Lied „Fields of Athenry“ sangen, weil er ahnte, dass dies ein großer Fernsehmoment war.

Ach, ja: Das Finale am Sonntagabend überträgt das ZDF. Katrin Müller-Hohenstein wird Oliver Kahn beim kleinsten Streben nach Lockerheit oder Selbstironie bremsen, zur Not holt sie sich Hilfe von dieser Internetredakteurin. Die Bilder vom Spiel, die freundlicherweise von der Uefa zur Verfügung gestellt werden, kommentiert Béla Réthy wie im Schlaf, was vor allem daran liegt, dass das Spiel der Spanier an die achtzigste Wiederholung eines Lena-Odenthal-Tatorts erinnert. Der Einzige, der in der Lage wäre, diesen Fernsehabend zu retten, ist Balotelli.

„EM-Finale: Spanien - Italien“, ZDF, Sonntag, 20 Uhr 45

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