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Kaum zu halten. Thomas Müller (vorn) hat bei der WM-2014 schon vier Tore erzielt.

© Reuters

WM 2014 - Deutsche Offensive: Gut, dass es Thomas Müller gibt

Die deutsche Offensive ist seriöser geworden – wie gut, dass es noch Thomas Müller gibt. Es ist das Unorthodoxe, das anarchische Moment in seinem Tun, das den 24-Jährigen so wenig fassbar macht für den Gegner.

Da stand er nun für die Fotografen, die irgendwie alberne Trophäe für den „Spieler des Spiels“ unterm Arm, ein laues Lächeln aufgesetzt und ein schiefes Zwinkern aus dem Auge, das im Eck einen Cut trägt. Mit seinen dünnen Beinen in den offenen Schuhen sah er ein bisschen aus wie ein Hühnerdieb, der der Polizei ins Netz gegangen ist.

Natürlich hat Thomas Müller keine Hühner gestohlen, aber es sind eben seine Schlauheit, seine Raffinesse und Kaltschnäuzigkeit bei der Tat, die ihn so anders, so wertvoll machen, die ihn so herausragen lassen. Und seine dünnen Beine, die so harmlos ausschauen. Gerade die sind es, die zum wiederholten Male den Unterschied ausgemacht haben. Gefühlt war die deutsche Nationalelf an diesem verregneten Nachmittag in Recife dem US-Team um drei oder vier Tore überlegen gewesen. Aber das Ding wirklich ins Ziel gebracht hat dann nur wieder einer. Müller eben.

Thomas Müller ist auf dem Fußballplatz ein Phänomen. Und so, wie er spielt, redet er auch – oder umgekehrt. „Jetzt habe ich tatsächlich mal ein schönes Tor geschossen. Ab und zu fällt mir auch mal einer vor den Fuß. Aber ich mache ja nix anderes als trainieren wie ein Wahnsinniger“, sagte Müller und grinste diebisch.

Löws Elf hatte gegen die USA zu wenige Torabschlüsse

Von solchen Typen wünschte man Joachim Löw ein paar mehr in seinem Team. Wenn Müller nicht getroffen hätte, wäre das überlegen geführte Match gegen die USA mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in ein weitgehend ereignisfreies 0:0 ausgelaufen. Bei aller Konzentration auf die defensive Stabilität und Kompaktheit des gesamten Gebildes, die in der wilden Schlussphase gegen Ghana gänzlich verloren gegangen war, geriet das offensive Vermögen dieser Mannschaft ein wenig aus dem Blickfeld. Die Offensive kreierte zwar ein paar hübsche Halbchancen, doch viel zu selten führten sie zu einer abgeschlossenen Handlung. Löws Elf hatte schlicht zu wenige Torabschlüsse. „Es gibt etwas, was wir besser machen können und besser machen müssen“, sagte Joachim Löw und machte ein ernstes Gesicht: „Der letzte Pass im letzten Drittel.“

Wie schon gegen Ghana geriet auch gegen die USA das finale Zuspiel zu ungenau, zu kompliziert oder einfach zu langsam. Hier sind mehr Klarheit und Gradlinigkeit gefragt. „Wir müssen unser Spiel nach vorn schneller machen“, sagte etwa Sami Khedira hinterher. Der saß zwar diesmal nur auf der Ersatzbank, was ihm allerdings einen unaufgeregten Blick auf das große Ganze ermöglichte.

Die Gruppenphase ist nun passé. Die deutsche Mannschaft hat sie vielleicht nicht grandios, aber dennoch sehr seriös bewältigt. „Viele Dinge macht die Mannschaft gut“, sagte Löw. Wohl wissend, dass sie noch ein Stück entfernt ist von ihren besten Tagen, an denen sie ihre Gegner mit Dynamik und Technik aus den Angeln hob. Das liegt einerseits an den recht unterschiedlichen klimatischen Begleiterscheinungen im riesigen WM-Land, andererseits hat man sich auf die Spielweise der Deutschen eingestellt. Und: Verteidigen können heute fast alle Mannschaften auf hohem Niveau.

"Wetter scheint ihm nichts auszumachen", sagte der Bundestrainer

Das ist ja auch der Grund, weswegen Löw die Spielweise und das Spielsystem modifiziert hat. Es laufe noch nicht alles optimal, aber es werde, wie sich Per Mertesacker ausdrückte. „Das waren drei komplett unterschiedliche Gegner. Jedes Spiel hatte seinen eigenen Charakter“, sagte der lange Innenverteidiger. Man habe das schadlos bewältigt: „Daraus ziehen wir sehr viel Mut.“

Den größten Mut macht dann noch immer Müller, weil er scheinbar völlig losgelöst von systemischen Zwängen und sonstigen äußeren Bedingungen funktioniert. Es ist das Unorthodoxe, das anarchische Moment in seinem Tun, das den 24-Jährigen so wenig fassbar macht für den Gegner. Vor allem aber war Löw überwältigt, wie Müller die ganz unterschiedlichen Bedingungen wegsteckte. „Wetter scheint ihm nichts auszumachen“, sagte Löw. Man habe das Gefühl, alles falle ihm leicht – ob Hitze, tropischer Regen oder Waschküchenklima. Während Löw am Seitenrand von Recife aussah wie einer, der gerade so den Fluten des Amazonas entronnen ist, spielte Müller wie in einer eigenen Atmosphäre.

Nun hat er vier der sieben deutschen WM-Tore erzielt. Nachdem er vor vier Jahren mit fünf Treffern schon Torschützenkönig der WM in Südafrika geworden war, hat er in der Gesamtbilanz den einstigen Sturmhelden Rudi Völler (8) hinter sich gelassen und zu Karl-Heinz Rummenigge und Uwe Seeler aufgeschlossen. „Fühlt sich gut an“, sagte Müller keck. Es sei ein schönes Gefühl, sich auf seine Fähigkeiten verlassen zu können.

Kurz bevor Müller an diesem Abend seine Trophäe in Empfang nahm, hatte Jürgen Klinsmann in einem der grell ausgeleuchteten Kellerräume des Stadions vorbeigeschaut. Der 49 Jahre alte US-Coach, der mit seinem Team trotz der Niederlage ebenfalls das Achtelfinale erreicht hatte, erzählte noch dies und das, bis ihm schließlich der wahrhaftigste Satz des Tages aus dem Mund fiel: „Thomas Müller? Diesen Kerl würde jeder gern in seinem Team haben.“

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