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Nationalelf: Seriös in der Abschlussprüfung

Nach dem 2:0 gegen Israel wähnen sich die deutschen Fußballer im Soll für die Europameisterschaft. Dabei bleibt der DFB-Elf noch viel Arbeit bis zum Auftakt gegen Portugal.

Später am Abend schlug der Regen noch immer auf das Dach, so laut, dass es auch in den Katakomben des Leipziger Stadions zu hören war. Per Mertesacker bahnte sich seinen Weg durch den Wald der Kameras und Mikrofone. Das war so einfach nicht, denn der Verteidiger vom FC Arsenal ist ein gefragter Mann, wenn es um die rhetorische Auflösung komplexer Sachverhalte auf dem Fußballplatz geht. Wie also ließ sich dieser 2:0 (1:0)-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Israel im letzten Testspiel vor der Abreise zur Europameisterschaft interpretieren? Per Mertesacker überlegte kurz und sprach einen Satz, wie ihn auch sein Vorgesetzter Joachim Löw hätte sprechen können: „Wir haben versucht, seriös zu spielen.“

2:0 gegen Israel – das klingt nicht besonders spektakulär. Aber es war allemal seriös, getragen vom Bemühen um Systemtreue, immer der Versuchung widerstehend, gegen einen tief stehenden Gegner alles nach vorn zu werfen. Seriosität ist im modernen Fußball mit seinen komplizierten taktischen Fragmenten eine nicht hoch genug einzuschätzende Charaktereigenschaft. Bundestrainer Löw sprach denn auch sichtbar zufrieden von einer „guten, ordentlichen Abschlussprüfung“. Frage an Torhüter Manuel Neuer, den Meister des lakonischen Kommentars: Ist die Mannschaft im Soll? „Die Mannschaft ist im Soll.“

Neuers Münchner Klubkollege Toni Kroos hatte sogar „eine große Steigerung gegenüber dem letzten Spiel“ erkannt. Es handelte sich dabei um eine gar nicht so uneigennützige Formulierung, denn bei diesem letzten Spiel, einem vogelwilden 3:5 in Basel gegen die Schweiz, hatten Kroos und seine Kollegen vom FC Bayern noch en suite gefehlt. Gegen Israel traten sie gleich in Siebenerstärke auf.

Das erste Spiel für den Bayern-Block seit dem Trauma von München

Für die Münchner war es das erste Spiel nach dem tragischen K.o. im Finale der Champions League gegen den FC Chelsea, und Joachim Löw registrierte neun Tage vor dem ersten EM-Spiel in Lemberg gegen Portugal mit einiger Erleichterung, „dass die Münchner wieder in der Spur sind“. Und: „Man hat ihnen schon zuvor angemerkt, dass sie wieder Freude in der Nationalmannschaft haben. Chelsea war gar kein Thema mehr.“ Passenderweise versuchten sich die Israelis in einer Chelseas Stil nicht unähnlichen Betondefensive, und dazu trugen sie auch noch Leibchen im selben Blauton wie der Champions-League-Sieger. Vor diesem symbolischen Hintergrund erfährt so ein Sieg gegen eine international drittklassige Mannschaft noch eine ganz andere Bedeutung.

Es wird bei der EM wohl einen starken Bayern-Block, wahrscheinlich den stärksten seit 1974, als im WM-Finale gegen die Holländer gleich sechs Münchner standen, geben. Manuel Neuer, Holger Badstuber und Philipp Lahm sind ebenso gesetzt wie Bastian Schweinsteiger, der in Leipzig noch die lädierte Wade schonte, aber laut Löw wieder schmerzfrei ist. Für Schweinsteiger müsste Kroos weichen, denn Sami Khedira ist nach seiner starken Saison in Madrid ebenso unantastbar wie sein Klubkollege Mesut Özil in der Offensive.

Was die Einsatzchancen der weiteren Münchner betrifft, wird Joachim Löw noch ein Weilchen nachdenken müssen. Thomas Müller zeigte in Leipzig auf dem rechten Flügel sehr viel mehr Esprit als Lukas Podolski auf dem linken, aber seiner grandiosen Form des grandiosen WM-Jahres 2010 läuft er immer noch hinterher. Mario Gomez schoss mal wieder sein Tor, doch im Hintergrund lauert der wiedergenesene Miroslav Klose, und für den hat der Bundestrainer bekanntlich eine Schwäche.

Auch der siebte in Leipzig eingesetzte Münchner wackelt: Der lange Jerome Boateng, beim FC Bayern zuletzt in der Innenverteidigung eingesetzt, dürfte als Rechtsverteidiger keine Optimalbesetzung gegen Portugals Naturereignis Cristiano Ronaldo und dessen Zickzack-Dribblings sein. In Leipzig deutete der Bundestrainer schon mal dezent an, Philipp Lahm könnte von der linken Seite hinüberwechseln und sich Ronaldos Bewachung annehmen, wie ihm das schon vor ein paar Wochen in zwei denkwürdigen Spielen gegen Real Madrid gelungen war. Im Halbfinale der Champions League, die für den FC Bayern ja nicht ausschließlich traumatische Züge trug.

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