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Schön und gut jetzt!: Barcelonas brillante Langeweile

70 Prozent Ballbesitz, Tiki-Taka, gähn: Die spanische Liga revoltiert gegen die Übermacht des FC Barcelona – auch unser Autor hat genug von Barças brillanter Langeweile. Und Sie, liebe Leser? Diskutieren Sie mit!

Messi! Xavi! Iniesta! 70 Prozent Ballbesitz! Tiki-Taka! Wenn in der kommenden Woche die Champions League startet, werden alle wieder vom großen Favoriten FC Barcelona schwärmen. Spätestens seit der 3:1-Demonstration gegen Manchester United im vergangenen Endspiel gelten die Katalanen als das Nonplusultra der Taktik, als Triumph des schönen Spiels. In Barças Jugendinternat La Masia scheinen sie tatsächlich die Weltformel des Fußballs entdeckt zu haben. Diese Formel überwältigt jeden Gegner, nimmt ihm die Luft zum Atmen, seziert ihn mit Pässen, so scharf und präzise wie Skalpelle. Es ist ein Ereignis, Barças aktueller Mannschaft zuzusehen – und es geht mir wahnsinnig auf die Nerven.

Fußball war einmal ein Spiel, in dem zwei Mannschaften um den Ball kämpften, in dem es hin- und herging. Wenn der FC Barcelona spielt, geht es nicht hin und her, sondern immer wieder im Kreis, bis sich die Lücke auftut. Das ist technisch erstklassig, taktisch anspruchsvoll und auch effektiv, aber furchtbar einseitig. Barça kombiniert sich bis an den gegnerischen Fünfmeterraum und wieder Dutzende Meter zurück, dann fängt alles von vorne an. Fußball-Ästheten lieben das. Ich bin aber kein Fußball-Ästhet – wie die meisten Fans. Mir gefallen Spieler, die bestimmte Dinge nicht beherrschen, sie aber trotzdem versuchen. Spieler, die scheitern. Mir gefallen Spiele, die Wendungen haben. Am Fußball gefällt mir das Unkontrollierte, Dramatische, das Rohe, das Unberechenbare. Perfektion in Endlosschleife mag beeindruckend sein, das Herz kann man sich aber nicht daran erwärmen. Welcher Klassik-Liebhaber will schon zwanzig Mal hintereinander den Berliner Philharmonikern bei Beethovens 9. Sinfonie zuhören?

Ich empfinde es auch nicht als fußballerischen Fortschritt, wenn sich Barcelona nach endlosen Passstafetten eine Ecke erarbeitet, nur um den Ball dann doch wieder kurz ins Feld zu spielen und weiter zirkulieren zu lassen. Das alles wird gerne als „berauschend“ beschrieben, mich ödet die permanente Brillanz eher an. „Den Ball zu haben, ist die beste Verteidigung“, findet Andrés Iniesta. Früher habe auch ich mich gefreut, wenn Barcelona am Ball war. Welcher geniale Einfall würde als nächstes kommen? Heute stöhne ich innerlich auf, wenn Barça nach minutenlangen Kombinationen den Ball kurz verliert, ihn dann aber sofort wieder erobert: Jetzt geht das schon wieder los. Früher leistete sich der Verein mit Ronaldinho ein schlampiges Genie, das nach einem Ballverlust auch mal stehen blieb oder es mit dem Tricksen übertrieb. So etwas passiert Iniesta nie. Aber Genialität ohne Schlampigkeit ist Strebertum.

Wenn ich sehen will, wie eine Mannschaft den Ball besitzt und beschützt, ohne dass das andere Team herankommt, kann ich auch Handball gucken. Aber da geben die Schiedsrichter irgendwann ein Zeichen, dass der Torabschluss kommen muss, beim Basketball dröhnt nach 24 Sekunden die Wurfuhr. Bei Barça gibt es nur die nächsten acht Minuten Tiki-Taka. Ich wünsche mir sehnlichst, dass ein Trainer, ein Klub, eine Mannschaft eine fußballerische Antwort darauf entwickelt. Ich habe aber keine Ahnung, wie die aussehen könnte. Natürlich kann niemand ernsthaft wollen, dass sich José Mourinhos Fußball-Gewaltphantasien durchsetzen.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Barcelona unter Trainer Pep Guardiola beinahe unschlagbar wurde.

Seit Trainer Pep Guardiola, selber früher Spieler in Barcelona, im Jahr 2008 seinen alten Klub übernommen hat, scheint Barça unaufhaltsam. Dreimal infolge gewann Guardiola die spanische Meisterschaft, zweimal die Champions League. Ein Ende ist nicht abzusehen. Auf europäischer Ebene haben es die Katalonier zumindest finanziell mit ebenbürtigen Gegnern zu tun – in Spaniens Liga ist das anders. Die Fernsehgelder in der Primera Division landen schon lange zum allergrößten Teil beim FC Barcelona und dessen Erzfeind Real Madrid, derzeit sollen die Klubs mehr bekommen als die restlichen 18 Vereine zusammen.

Entsprechend sieht die spanische Liga auch Jahr für Jahr aus: An der Spitze stehen die beiden Altvorderen, dahinter kommt erstmal lange gar nichts. Auch diese Saison begann vor zwei Wochen so: Barcelona besiegte Villarreal mit 5:0, Real fertigte Saragossa mit 6:0 ab. Kein Wunder, dass die kleineren spanischen Klubs jetzt protestieren und eine gerechtere Verteilung der Fernsehgelder fordern. „Bei der jetzigen ungleichen Verteilung ist der Titel schon vorab vergeben“, klagt der Präsident des FC Sevilla, Jose Maria del Nido, die spanische Liga sei „die größte Schweinerei der Welt“. In der Primera Division gelten ohnehin andere Regeln als beispielsweise in der Bundesliga, Erfolge fußen auf Schulden. Auch Barça bildet hier keine Ausnahme, rund 400 Millionen Euro Verbindlichkeiten drücken den Klub, trotzdem wurde auch in diesem Sommer gut eingekauft.

Man muss zugeben: Im Grunde genommen spricht sehr wenig gegen einen Verein, der in einem Champions-League-Finale sieben Spieler aufs Feld schickt, die aus der eigenen Jugendarbeit stammen. Es hat auch seinen Grund, dass die drei Barça-Profis Messi, Iniesta und Xavi bei der Wahl zum Weltfußballer 2010 die ersten drei Plätze belegten. Ich finde es auch charmant, dass in Barcelonas Straßen Wahlplakate hängen, wenn im Fußballverein der Präsident gewechselt wird. Diese Seite des Vereinsmottos „Més que un club“ (Mehr als ein Verein) gefällt mir. Wer aber seine Einzigartigkeit so mantrahaft betont, sollte sich auch treu bleiben: Seit kurzem trägt der Klub erstmals einen zahlenden Sponsoren auf dem Trikot, die Qatar Foundation will über fünf Jahre 165 Millionen Euro überweisen. Fans sammeln jetzt Unterschriften gegen den Deal, Ende September soll es eine Abstimmung geben. Will Barcelona tatsächlich „Mehr als ein Verein“ bleiben, muss die Klubführung auf die Mitglieder hören.

Bei aller Kritik: Einen Lieblingsspieler habe ich doch beim FC Barcelona: Carles Puyol. Der 33-Jährige mit der Mopp-Frisur war lange Kapitän der Mannschaft, obwohl er spielerisch eher das verkörpert, wofür Barça nicht steht. Puyol ist wuchtig, in seinen technischen Möglichkeiten beschränkt und er scheut sich auch nicht, einen Ball auf die Tribüne zu dreschen. Man kann das mittelalterlich finden, ich finde, das gehört zum Fußball dazu. In letzter Zeit kommt Puyol aber immer seltener zum Einsatz, er kann mit dem Spiel seines eigenen Teams nicht mehr mithalten, Barcelona braucht ihn nicht mehr.

Aber wenn für Spieler wie Puyol im modernen Fußball kein Platz mehr ist – wieso sollte man dann weiter zuschauen?

70 Prozent Ballbesitz, Tiki-Taka, gähn: Die spanische Liga revoltiert gegen die Übermacht des FC Barcelona – auch unser Autor hat genug von Barças brillanter Langeweile. Und Sie, liebe Leser? Diskutieren Sie mit!

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