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Eine Runde Risiko: Extremes Golfen mit Stefan Kretzschmar

Der Ex-Handballprofi kennt keine Kompromisse: Deutschlands bester Linksaußen im Duell mit Deutschlands schwierigstem Golfplatz in Bad Saarow.

Vielleicht ein paar Bälle schlagen zum Aufwärmen? „Nee, das ist gegen meine Golfphilosophie“, sagt Stefan Kretzschmar schnodderig und schiebt seinen Trolley Richtung Tee eins, ohne die Driving Range auch nur eines Blickes zu würdigen. Wir sind mit dem ehemaligen Linksaußen der Handballnationalmannschaft auf Deutschlands nominell schwierigstem Golfplatz verabredet – dem Nick Faldo Championship Course des Arosa in Bad Saarow am Scharmützelsee. Bis vor sechs Jahren nagelte Kretzschmar die Bälle aus den unmöglichsten Winkeln und selbst durch kleinste Lücken ins Handballtor. Ob seine Golfbälle auch auf Deutschlands schmalsten Fairways landen? Der 40-Jährige mit den weißblond gefärbten Haaren, eng angegelt wie eh und je, hat noch etwas verquollene Augen. Es ist halb elf, aber er sei einfach kein Morgentyp, entschuldigt er sich. Auf dem Abschlag der ersten Bahn schnappt Kretzschmar sich dann doch noch seinen Driver, klemmt ihn mit den Armen hinter den Rücken und rotiert alibihaft ein paar Sekunden. Die Schlägerwahl scheint schon getroffen, obwohl ein langes Eisen oder ein Holz bei diesem Par 5 vielleicht die taktisch klügere Wahl wären. „Sicher vorlegen? Das sind für mich Schimpfwörter“, stellt Kretzschmar klar. Bei ihm gebe es kein Durchschnittsgolf, jeder Schlag sei extrem. „Extrem gut oder extrem schlecht.“

Sein Drive landet mit einer guten Portion Slice nach rund 200 Metern deutlich ab vom Fairway im höheren Gras. Statt Mist oder Shit schreit er laut „Kretzsche“ und greift neben sich auf dem Boden nach seiner halbgerauchten Zigarette. Wer nicht hören will, muss spüren. Das anschließende Eisen aus dem Rough setzt er so tief an, dass der Ball nach 15 Metern Hoppeln wieder zum Liegen kommt. Am Ende steht eine Acht auf der Scorekarte, weil er den Ball auf dem Grün zweimal zu ängstlich Richtung Loch stupst.

Dabei ist hier kein Anfänger am Werk. Kretzschmar gehört nicht zu den ehemaligen Spitzensportlern, die sich erst nach ihrer Karriere vor Langeweile auf dem Golfplatz wieder finden. Seinen ersten Schläger habe er 1995 beim vorolympischen Turnier in Atlanta in den Händen gehalten. An einem freien Tag seien die deutschen Handballer auf einen Golfplatz eingeladen worden – ohne große Instruktionen. „Mit den Leihausrüstungen haben wir denen den Platz umgegraben“, erinnert sich Kretzschmar. Trotz mittelmäßiger Performance sei er sofort angefixt gewesen: „Ich habe mir noch dort ein komplettes Golfset gekauft.“ Sein aktuelles Handicap liegt bei talentierten -25,8.

An Loch zwei, einem mittellangen, geraden Par 4, wählt er wieder den Driver, landet diesmal allerdings zu weit links. Der zweite Schlag ist dafür ein glattes Déja-vu, wieder hoppelt der Ball nur einige Meter. „Wenn es nicht läuft, dann steigere ich mich oft in eine Abwärtsspirale hinein und alles wird noch schlimmer“, erklärt er ganz freimütig. Nach sieben Schlägen und erneut deutlich zu zaghaften Putts fällt Ball endlich ins Loch. Entweder wir befinden uns bereits in der Abwärtsspirale, oder das verschmähte Aufwärmprogramm findet gerade auf dem Platz statt.

Loch drei offenbart erstmals, wie viel Punch in Kretzschmars Golfschwung steckt. Für die 160 Meter nimmt der Exprofi ein 5er-Eisen. Das überrascht angesichts seiner immer noch muskulösen Statur und den langen Armen. Aber Kretzschmar weiß, was er kann und landet mit seinem Ball mitten auf dem Grün – ein richtig guter Schlag. Trotzdem spielt er ein Bogey, weil sein Putter einfach nicht warm werden will. „Das ist ein so demütigender Sport“, sagt er, als er nach seinem Ball ins Loch greift.

Er sei ein Typ, der überhaupt nicht verlieren könne, der nach Niederlagen unausstehlich sei. Seine ganze Handballkarriere lang habe sich das nie verändert. „Am stärksten habe ich gespielt, wenn ich ein Feindbild als Gegenspieler hatte“, sagt Kretzschmar. Beim Golf seien diese Gewohnheiten und Erkenntnisse wertlos. Wütend sein auf einen Rasen oder eine Sandmulde? Das würde zu weit führen. „Ich habe aber schon mal im Zorn einen Schläger im hohen Bogen in den Wald geschleudert“, berichtet er und schaut auf sein Golfbag. Nun, da er mit sehr teuren, extra auf ihn angepassten Schlägern spiele, verzichte er auf solche Ausbrüche.

An Loch fünf, einem 179 Meter langen Par 3, landet sein Ball links im Bunker neben dem Grün. Aus dem Sand manövriert ihn Kretzschmar aber sicher aufs Grün und locht mit zwei Putts ein. „Ab jetzt heißt ein zu kurzer Putt Kretzsche“, hadert er trotzdem. Putten sei schon immer sein größtes Manko. Er könne einfach keine Grüns lesen, üben wolle er es aber auch nicht. „Ich bin kein Trainingstyp“, erklärt er. Immerhin kündigt er an, ab jetzt alle Bälle viel schneller zu putten.

Nach etwa zwei Stunden, auf dem Grün von Loch acht, die erste Krise: „Ich glaube, dass wir so nicht bis zum Ende kommen“, sagt Kretzschmar und schaut hungrig zu Fotograf Mike. „Jetzt eine Bockwurst.“ Das Frühstück ist offenbar zu kurz gekommen. Das Begleitteam kann nur einen Müsliriegel anbieten, den Kretzschmar jedoch sofort annimmt. Nach neun Löchern liegt er mit 57 Schlägen vier Punkte über seiner Spielvorgabe. Noch ist nichts verloren.

Nach einem perfekten Abschlag an Loch elf, schreibt Kretzschmar dem Müsliriegel die erste Heilkraft zu, jedoch nur, bis er auf dem Grün angekommen ist. Die guten Vorsätze fürs Putten greifen nicht. Am Ende steht eine wahre golferische Schmach von vier Putts. Wie im Reflex sucht Kretzschmar nach einem Feindbild und haut dem nichts ahnenden Mike seinen Putter aufs Hinterteil – Feindbild Fotograf. „Kretzsche“ ist jetzt in seinem Element, und die folgenden Löcher beweisen, dass dieser Befreiungsschlag die Wende bringt.

Von nun an sind keine Katastrophenschläge mehr dabei, und sogar die Putts geraten plötzlich etwas zu lang. Sein golferisches Idol sei Tiger Woods, erzählt Kretzschmar und versenkt an Loch 15 ganz in Tigermanier einen sechs Meter langen Putt zum Bogey. Wir mögen im Artikel doch zehn Meter schreiben, bittet er und wird dann ernst: „Wenn ich als ehemaliger Profi sehe, wie Tiger Woods seit vielen Jahren die Weltspitze dominiert, dann ist der Mann ein Vorbild für jeden Sportler“, schwärmt er. Ist Golf ein Sport, wenn ein ehemaliger Weltklassehandballer das so sagt? Kretzschmar überlegt kurz. „Na ja, eigentlich nur Geschicklichkeit und Mentales“, relativiert er. Trotzdem würde er seinem Idol Tiger gerne noch ein weniger näher kommen und sein Handicap auf unter -20,0 drücken. „Aber dann kann ich nicht mehr so extrem spielen, wie ich es liebe.“ Er bevorzuge sowieso die amerikanische Variante von Golf „mit Freunden, Cart und zwei Bier vorne drin“.

Zehn bis 15 Mal stehe er im Jahr auf dem Golfplatz, meist bei Charityturnieren oder im Urlaub. Bei den Gofus, dem Verein golfspielender Ex-Fußballprofis mit Heimat in Bad Saarow, habe man ihm als Handballer gnädig Asyl gewährt. Da seien echt coole Typen dabei. „Frank Rost ist für mich der beste Golfer da“, findet Kretzschmar, dessen letzte vier Löcher eine golferische Wiedergeburt sind. Zwar reicht es nicht zu einem Par, aber zu vier Bogeys in Folge. Mit 108 Schlägen verfehlt er am Ende seine Spielvorgabe nur um zwei Schläge – ein sehr durchschnittliches Ergebnis für einen Extremgolfer.

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