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Eisschnelllauf: Deutsche Frauen laufen spektakulär zu Team-Gold

Bäuchlings ins Finale gerutscht und dann auch noch Gold gewonnen: Die deutschen Eisschnellläuferinnen holen sensationell den Olympiasieg in der Teamverfolgung.

Sogar der Hallensprecher in Richmond war überwältigt von der unglaublichen Show, die ihm da gerade auf dem olympischen Oval geboten worden war. Da mag der favorisierte Niederländer Sven Kramer in seinem Finale über 10 000 Meter falsch abgebogen sein. Da mag der US-Amerikaner Shani Davis, 2006 erster dunkelhäutiger Eisschnelllauf-Olympiasieger, in Richmond seinen Titel über 1000 Meter verteidigt haben und eine SMS von seinem großen Fürsprecher US-Präsident Barack Obama bekommen haben: An die bizarre Aufführung von Anni Friesinger-Postma reicht die Geschichte der beiden nicht heran: Gestrauchelt, geschwommen, gesiegt.

Es war 12.40 Uhr Ortszeit, als das zweite Halbfinale in der Teamverfolgung der Eisschnellläuferinnen gestartet wurde. Das deutsche Team, in dem neben der Oberbayerin Friesinger die Erfurterinnen Stephanie Beckert und Daniela Anschütz-Thoms starteten, liefen gegen das US-Trio Jennifer Rodriguez, Jilleanne Rookard und Nancy Swider-Peltz jr. Die deutschen Frauen führten mit der 21-jährigen Beckert, der zweifachen Silber-Medaillengewinnerin von Vancouver, als Lokomotive von Anfang an, bauten den Vorsprung auf die Amerikanerinnen bis auf knapp eine Sekunde aus, als es passierte.

Die gebürtige Bad Reichenhallerin Friesinger, durch einen Strauchler kurz zuvor bereits angeschlagen, plumpste nach der allerletzten Kurve auf den Boden – und mit dem Sturz ging eine Welt für sie unter. In der Gewissheit, die Wiederholung des Olympiagoldes von Turin verspielt zu haben, lag sie wie ein gestrandeter Fisch auf dem Eis und begann in ihrer Verzweiflung ein paar wilde Schwimmzüge und warf geisitesgegenwärtig ihr Bein nach vorne, da der Schlittschuh für die Zeitmessung relevant ist. Auf dem Eis rutschte sie so ins Ziel. In dem Moment wäre Friesinger am liebsten vom Erdboden verschluckt worden. Weil der ihr den Gefallen aber nicht tat, schwamm sie noch ein Stück weiter und traktierte dann mit ihren Fäusten frustriert das Eis.
 
Unglaubliches Halbfinale gipfelt im Sturz von Friesinger

Aber der Höhepunkt der One-Woman-Show kam erst noch: Während die völlig aufgelöste Eisschnellläuferin sich ärgerte, leuchtete auf der Anzeigetafel auf: Deutschland 3:03,55 Minuten. USA: 3:03,78 Minuten. 23 Hundertstelsekunden, die das deutsche Team unter verrücktesten Umständen ins Finale gegen Japan brachte: Friesinger, die nach dem Blick auf die Zahlen große Augen machte und den Mund vor großem Staunen und noch größerer Erleichterung nicht mehr zubekam, hatte sich nach der für sie glücklichen Fügung bereits den Arm gehalten – und so blieb ihr auch ein womöglich weiterer Sturz im Finale erspart.

Anstelle der völlig verausgabten Friesinger, die über Knieprobleme klagte, lief die Berlinerin Katrin Mattscherodt um Gold. Gegen die Japanerinnen lagen die Deutschen schon aussichtslos zurück, fast zwei Sekunden mussten sie auf den letzten Runden aufholen. Und am Ende? Hatten sie nach einem großartigen Finish 0,02 Sekunden Vorsprung und damit den Olympiasieg von Turin erfolgreich verteidigt.

Die Geschichte des verregneten Samstags im Süden von Vancouver aber blieb Anni Friesinger. Vor dem Rennen hatte es ein tagelanges Hin und Her um ihren Start in der Team-Konkurrenz gegeben. Bundestrainer Markus Eicher, früherer langjähriger Heimtrainer der zweifachen Olympiasiegerin, machte zunächst deutlich, dass er einen Start seiner einstigen Schülerin, die bei ihren Einzelrennen nicht überzeugt hatte, für keine gute Idee halte, entschied sich nach guten Trainingseindrücken aber plötzlich anders.

Und dann das: Kurz vor ihrem Freischwimmer berührte Friesinger in der vorletzten Kurve eines jener kleinen Klötzchen, die die Bahnen abgrenzen, und kam aus dem Gleichgewicht. Die 33-Jährige konnte sich zwar noch fangen, war durch das Missgeschick aber ein Stück hinter ihre beiden Team-Kolleginnen zurückgefallen. Ein Problem, weil im Mannschafts-Wettbewerb die Zeit der schwächsten Läuferin jedes Teams zählt. Beckert und Anschütz-Thoms mussten wohl oder übel ihr Tempo drosseln und erlebten Friesingers ungewollte Einlage nach der allerletzten Kurve dann aus den Augenwinkeln mit. 

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