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Schwimmen für den Chef. Die deutsche Mannschaft um Weltrekordler Paul Biedermann will ihrem Trainer bei der EM das Vertrauen zurückzahlen.

© dpa

Zum Start der Beckenwettbewerbe: Für den deutschen Nachwuchs kommt die Schwimm-EM zu früh

Damit Henning Lambertz die jungen deutschen Schwimmer weiter in aller Ruhe fördern kann, braucht der Bundestrainer bei der EM Ergebnisse von Paul Biedermann und seinen anderen etablierten Profis.

Selbst die Krücken passen ins Bild. Vor dem heutigen Start der Beckenwettbewerbe bei der Schwimm-EM scheint Chef-Bundestrainer Henning Lambertz permanent zu lächeln, auf alle Schultern in seiner Reichweite zu klopfen und großen Optimismus auszustrahlen. Sogar die leichte Knieblessur des 43-Jährigen fügt sich hervorragend in die demonstrative Lockerheit, die rund um das deutsche Team herrscht: Lambertz hat sich die Knorpelquetschung beim spaßbetonten Fußballtennis im Trainingslager auf Sardinien zugezogen. „Die Stimmung im Team ist sehr gut, alle sind heiß“, sagt Lambertz. „Alle fiebern auf den Start hin, das freut mich als Cheftrainer besonders.“

Die EM kommt für den Nachwuchs eigentlich zu früh

Deutschlands beste Schwimmer hätten allerdings durchaus auch Grund dazu, ein bisschen angespannt zu sein. Die letzten großen internationalen Wettkämpfe verliefen allesamt überhaupt nicht nach Wunsch, 2012 in London blieb man ohne Olympia-Medaille. Bei der Heim-EM steht das Team also unter genauer Beobachtung – und einem gewissen Druck. Lambertz will das deutsche Schwimmen mittelfristig in die Weltspitze zurückführen, bei Olympia 2020 in Tokio soll dieser Auftauchvorgang abgeschlossen sein. Die EM kommt auf diesem Weg eigentlich zu früh. Der Chef-Bundestrainer steht in Berlin somit vor einer paradoxen Situation: Damit er die Jugend weiter in aller Ruhe fördern kann, braucht er Ergebnisse von den Alten.

Denn Medaillen und herausragende Ergebnisse werden im Velodrom wohl nur die etablierten Sportler des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) liefern. Und selbst die halten sich bei aller zur Schau gestellten Lockerheit doch sehr zurück, wenn es darum geht, Prognosen über ihre Leistungen abzugeben. Weltrekordler Paul Biedermann, der in der EM-Vorbereitung zweieinhalb Wochen krank war und mit dem Training aussetzen musste, will sich zum Thema Medaillen gar nicht erst äußern. „Ich habe mir vorgenommen, meine bestmögliche Leistung abzurufen, das ist mein Ziel“, sagt Biedermann beharrlich. „Vielleicht schwimme ich auch gar nicht gut, aber ich probiere es jetzt einfach und gebe mein Bestes.“ Zum Auftakt wird der 28-Jährige die 400 Meter Freistil schwimmen, bekräftigte Lambertz am Sonntag. Zudem seien Starts über 100 und 200 Meter Freistil angepeilt, aber nicht sicher.

Vor zwölf Jahren erlebten die deutschen Schwimmer einen beispiellosen Triumphzug

Auch Steffen Deibler möchte nicht in die Rolle des Anführers gedrängt werden und sagt ein wenig verärgert: „Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, irgendwelche Vorschwimmer zu benennen.“ Dabei setzt Lambertz stark auf Eigenverantwortung. Kurzstreckenspezialstin Dorothea Brandt lobt den Chef-Bundestrainer dafür, dass er im Gegensatz zu seinen Vorgängern viel stärker das Gespräch mit den Schwimmern suche. „Er hat eine spezielle Art mit uns zu reden, er hört uns zu, lässt uns zu Wort kommen“, sagt die 30-Jährige. „Er nimmt uns auch viel mehr in die Verantwortung. Jeder muss lernen, dass er in Topform sein muss, wenn er auf den Startblock steigt.“

Um ihrem Chef bei seinen Reformen den Rücken frei zu halten, müssen die Schwimmer dieses Vertrauen bei der Europameisterschaft zurückzahlen. Vor zwölf Jahren fand die EM schon einmal in Berlin statt, damals erlebten die deutschen Schwimmer einen beispiellosen Triumphzug. „Es ist zwölf Jahre später, wir haben andere Athleten am Start“, sagt Lambertz. „Dass wir nicht auf zehn Goldmedaillen wie 2002 schielen, ist klar.“ Dafür erhofft sich der Chef der Schwimmer durch die EM gerade für den Nachwuchs „einen Schub mehr Motivation, sich in dieser Sportart zu engagieren und richtig hart zu trainieren“. Sechs bis acht Medaillen sollen die DSV-Athleten laut Zielvereinbarung mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) holen. „Wenn alle ihre Leistung bringen und alle Sterne richtig stehen, ist so eine Zahl nicht komplett unrealistisch“, sagt Lambertz vorsichtig. „Die Medaillen sind aber eine punktuelle Betrachtung, das andere ist das Gesamtbild. Das ist für mich immer ein bisschen wichtiger.“

DSV-Leistungssportdirektor Lutz Buschkow bezeichnet die EM als „entscheidend“

Der Essener will, dass sich seine Schwimmer verbessern. Bei der WM 2013 war das im Vergleich zur Qualifikation bei der Deutschen Meisterschaft nicht einmal bei 20 Prozent der Zeiten der Fall. Lambertz will diese Quote bei der EM auf 40 Prozent steigern. „Daraus kann ich dann ableiten, ob die Wege, die wir gehen, und die Maßnahmen, die wir gemacht haben, gut sind“, sagt er. Sein Chef, DSV-Leistungssportdirektor Lutz Buschkow, bezeichnet die EM als „entscheidend“, besonders im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Rio. „Wir wollen sehen, wie die Konzepte von Henning und seinem Team greifen“, sagt Buschkow. Für den Verband sei es wichtig, dass er gegenüber dem DOSB und dem Innenministerium „dokumentieren und nachweisen kann, dass wir auf dem richtigen Weg sind“.

Mit guter Laune allein wird sich das nicht bewerkstelligen lassen.

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